Oktober 1979. China befand sich im Umbruch. Günter Grass war zu Vorträgen an der Universität von Peking, zu Gesprächen mit chinesischen Autoren und Lesungen in Peking und Shanghai nach China eingeladen worden. Und da ich gerade einige Wochen lang in Peking alles drehte, von dem ich meinte, es könnte die Fernsehzuschauer in Deutschland interessieren, begleiteten wir auch Günter und Ute Grass während ihrer Tage in Peking.
Eine Menge wissbegieriger Chinesen, alle noch im Mao-Look, umgaben uns, als wir das Interview führten. Ich war Reporter, Kamera-Assistent und Toningenieur in einem. Leider beherrschte ich die Stellafox, ein leichtes Tonbandgerät für professionelle Zwecke, nicht gut genug. Wenn man beim Bedienen dieses Geräts den Schalter einmal zu weit drehte, dann konnte das Tonband aus der Spule laufen.
Und genau das war geschehen. Zehn Minuten Interview. Und aus der Stellafox quoll ein wirrer Tonbandsalat! Ich war verzweifelt, stellte aber fest, dass unser Gespräch auf dem Bandknäuel aufgezeichnet worden war. Da sagte Ute Grass: „Ich stricke. Deswegen weiß ich auch, wie man so ein Knäuel aufdröselt.“ Und tatsächlich, innerhalb weniger Minuten hatte sie mein Problem gelöst, während die Chinesen, alle noch im Mao-Look, ihr mit großer Neugier zusahen.
Am Nachmittag hielt Grass einen Vortrag an der Universität. Ich hatte vorgeschlagen, danach ein chinesisches Lokal zu besuchen. Mir hatte jemand eine Tür in einer Straße gezeigt und zugeflüstert, dahinter verberge sich eines der besten Restaurants von Peking. Eine Kellnerin gab uns Speisekarten. Die waren nur in chinesischer Schrift. Also redete die Kellnerin auf mich ein. Ich antwortete ihr, es ergab sich ein Gespräch. Danach fragte Grass, was ich denn bestellt hätte. Ich sagte: „Ich habe keine Ahnung. Ich spreche überhaupt nicht Chinesisch.“ „Aber Sie haben doch mit der Kellnerin geredet“, sagte Grass. „Ja. Aber ich habe immer nur shi shi gesagt. Shi heißt Ja, und man sagt immer gleich zweimal shi, wie um die Bedeutung des Ja zu bestätigen. Ich gehe davon aus, dass Sie uns für dumme Langnasen hält und einfach ein normales Menu servieren wird. Ich habe nur zu trinken bestellt.“ – „Und was?“ – „Ich kann auf Chinesisch gerade mal bis zehn zählen. Also habe ich vier Bier – Tsingtao Pijiu – und vier Schnäpse – Mao tai – bestellt.“ Wir aßen gut und vergnügt, denn ich bestellte immer wieder vier Pijiu und vier Mao tai.
Ulrich Wickert, Publizist