Hamburg . Interview mit Wulf Köpke, Direktor des Hamburger Völkerkundemuseums, über die Zerstörungen kulturellen Erbes durch die Terrormiliz IS.

In den vergangenen Monaten wurden im Irak durch die Terrormiliz IS jahrtausendealte Kulturstätten zerstört, darunter Monumente und Figuren der Stadt Nimrud, einer bedeutenden assyrischen Ruinenstätte knapp 40 Kilometer südlich der IS-Hochburg Mossul. Eben erst traf es die Ruinen von Hatra, die zum UNESCO Weltkulturerbe zählen. Was wird unserer Kultur fehlen? Warum ist diese Art der Zerstörung so fatal? Und darf man das überhaupt so empfinden, wenn doch gleichzeitig Menschen verschleppt und umgebracht werden? Ein Gespräch über Hintergründe dieser Art des Terrors mit Wulf Köpke, Direktor des Museums für Völkerkunde.

Hamburger Abendblatt: Was, im Wesentlichen, hat die IS zerstört?

Wulf Köpke: Ich habe keinen Überblick mehr, denn man weiß nicht genau, was wirklich geschehen ist, weil man nicht da war. Aber es sind Tempelanlagen, Götterstatuen. Allerdings stelle ich in der öffentlichen Wahrnehmung auch ein Ungleichgewicht fest. Die Zerstörung der Altstadt von Sana’a im Yemen, die gerade erst anhand von Fotos aus unserem Museum von der Unesco restauriert wurde, ist kaum eine Meldung wert. Da schreit kaum jemand. Auch durch die US-Armee wurden Kulturstätten im Irak zerstört.

Was ist so besonders an den zerstörten Stätten?

Köpke: Es ist die Wiege unserer abendländischen Kultur. Das sind mit die ältesten Städte und Königreiche, die uns überliefert sind. Vieles, worüber in der Bibel berichtet wird, stammt von dort. Das ist unserer Kultur sehr nah.

Wo wird denn in erster Linie zerstört? In oder an Tempeln, auch in Museen, wie muss man sich das vorstellen?

Köpke: Es sind vor allem die Ausgrabungsstätten betroffen, die durch das trockene Klima relativ gut erhalten waren. Die haben sich über 3000 Jahre erhalten. Bis jetzt.

Sind diese Stätten gut dokumentiert? Oder verlieren wir mit den Steinen auch das Bild?

Köpke: Das ist alles gut dokumentiert, das wurde teilweise sogar vom Deutschen Archäologischen Institut ausgegraben.

1954 wurde die Haager Konvention verfasst mit dem Ziel, Kulturgut während eines Krieges oder bewaffneten Konfliktes zu schützen. Für die Überwachung ist die Unesco zuständig, die bereits im September 2014 Alarm geschlagen hat. Warum passiert so wenig?

Köpke: Weil sie keine Macht hat, so etwas durchzusetzen. Das hat noch nie funktioniert. Kultur braucht Frieden. Wenn im Irak die Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten aufhörte, wäre schon viel gewonnen. Das wäre der wichtigste Schritt, damit sich etwas ändert. Auch die internationale Gemeinschaft hat im Irakkrieg versagt, da es dort bis heute keine wirklich demokratische Regierung gibt. Die Schuld ist weit verbreitet. Wir begreifen anscheinend nicht, wie komplex die Gemengelage ist. Wir reagieren nur reflexhaft, wir machen da keine richtige Politik.

Nachdem die bedeutende Brücke von Mostar, ein 400 Jahre altes Meisterwerk osmanischer Ingenieursbaukunst, 1993 im jugoslawischen Krieg gesprengt worden war, gab es drei Schuldsprüche vor dem internationalen Gerichtshof gegen die damaligen Befehlshaber. Warum werden solche Taten so selten geahndet?

Köpke: Das ist ein mühsamer Prozess. Es ist immerhin ein Fortschritt, dass man überhaupt schon darüber nachdenkt, aber es ist marginal, was da bisher erreicht wird. Es ist oft schwierig, so etwas nachzuweisen. Wenn manchmal einer bestraft wird, ist das schon ein Riesenfortschritt. Beim Völkermord in Ruanda sind es ja auch große übergeordnete Interessen, die die Aufklärung verhindern. Waffenhandel ist ein großes Geschäft. Und es ist schwierig, Krieg zu verhindern.

Nach der Zerstörung von Weltkulturerbe könnte der UN-Sicherheitsrat einen Entschluss fassen, um die Kulturgüter zu schützen. Warum passiert das nicht?

Köpke: Weil die Fronten unklar sind: Wer ist der Gute, wer der Schlechte? Ich halte es für möglich, dass Baschar al-Assad den IS lange Zeit gefüttert hat.

Wie berührt Sie die Tatsache, dass auch junge Männer, die in Deutschland aufgewachsen sind, im Irak Kultur zerstören?

Köpke: Ich finde das furchtbar. Sehen Sie nur nach Dinslaken-Lohberg, wo ein islamistisches Zentrum entstanden ist. Dort gab es vorher einen unglaublichen ökonomischen Niedergang, und die jungen männlichen Migranten gingen zum IS aus Frust, aus Abenteuerlust oder Dummheit. Wir haben das Thema Mi­gration lange höchstens auf der Mitleidsschiene gesehen, nicht als Potenzial. Das war unser größter Fehler.

Wieviel hat die Terrorgruppe wirklich mit Religion zu tun?

Köpke: Der IS ist ein zusammengewürfelter Haufen, der mit dem Islam nicht wirklich etwas zu tun hat. Das ist eine Mafia, die sich das Mäntelchen des Islam umhängt. Der Koran wird hier interpretiert, wie es gerade passt, in einer willkürlichen Auslegung, oft auch in einer falschen. Ich habe eine Menge islamischer Freunde, die entsetzt sind! Man darf keinen Keil zwischen Muslime und Christen treiben. Da muss man furchtbar aufpassen.

Die rote Khmer hat in Kambodscha viele Tempel zerstört, die Nazis haben Bücher verbrannt, Terroristen haben 2003 das irakische Nationalmuseum geplündert, in Mali wurden 2012 denkmalgeschützte Grabstätten zerstört ... Warum setzt die Menschheit, die ja auf der einen Seite geistig-kulturell so hoch entwickelt ist, solcher Barbarei so wenig entgegen?

Köpke: Das hat man immer gemacht. Schon vor tausend Jahren. Als Erstes wurden die Frauen geschändet, dann die Götterstatuen. Da ist der Mensch am verwundbarsten. Im Krieg kommen die niederen Instinkte immer noch ungebremst zum Vorschein.

Nachdem die Taliban in Afghanistan die Buddha-Statuen von Bamian gesprengt hatten, hat man wichtige Kulturschätze aus Kabul in die Schweiz ausgelagert und dort sogar in einer Ausstellung zugänglich gemacht. Liegt da die Zukunft?

Köpke: Ich weiß es nicht. Dass diese Dinge als Geiseln genommen werden, sind neue Erfahrungen. Vielleicht muss man das Problem des Weltkulturerbes überdenken. Deutschland müsste zum Beispiel ein viel schärferes Raubgut-Gesetz haben. Da müssten sich Privatleute viel stärker verweigern, und die Museen dürften nur kaufen, was klare Herkunftsquellen hat. Das feste Kulturgut wird dadurch aber leider nicht geschützt. Bei den internationalen Konventionen tut sich immerhin ein bisschen was, es geht eben sehr langsam.

Wurden Ihnen schon Raubkunststücke für das Völkerkundemuseum angeboten?

Köpke: Ja, das wird gelegentlich angeboten. Wir verfolgen da allerdings eine strikte Politik und nehmen nichts an. Wir haben die Polizei informiert.

Handhaben das Ihre Kollegen an anderen Museen ebenso?

Köpke: In Deutschland ja. In den USA gab es ja Ankäufe durch Museen. Man muss es klar sagen: So etwas ist eine direkte Unterstützung der IS.