Hamburg. Regisseurin Friederike Harmstorf ist eine Frau für alle Fälle am Thalia Theater. Prominente Schauspielerinnen in ihrer ersten großen Arbeit.

Friederike Harmstorf ist am Ostersonntag ins Thalia in der Gaußstraße geeilt, obwohl sie keinen Abenddienst hat. Dort soll eine ausverkaufte Vorstellung von „Tschick“ laufen, doch Pascal Houdus, einer von drei beteiligten Schauspielern, ist am Vortag umgeknickt. Was tun? Die Vorstellung ausfallen lassen? Einen Rollstuhl besorgen? An Krücken spielen?

Harmstorf spricht mit dem Schauspieler, sieht sich seinen lädierten Fuß an. Houdus will an Krücken spielen, kurz vor Vorstellungsbeginn also Entwarnung für alle Beteiligten. „Es ist selbstverständlich, in so einem Fall Verantwortung zu übernehmen“, sagt die 34 Jahre alte Regieassistentin. „Tschick“ ist eines von zehn Stücken, das von Harmstorf jeden Abend betreut wird, wenn es auf dem Spielplan steht. 70-mal schon wurde das Jugendstück in der Gaußstraße gegeben, 70-mal hat Harmstorf es verfolgt. Abendregie ist eine der wichtigsten Funktionen der fünf Regieassistenten, die am Thalia Theater beschäftigt sind.

Die Aufgaben der Assistenten sind vielfältig. Sie sind während der Proben die rechte Hand des Regisseurs und müssen das gesamte Projekt überblicken. Sie sind vor Probenbeginn da und kümmern sich um Organisatorisches: das Regiebuch, Getränke und Essen für die Schauspieler und die Requisiten. „Manchmal muss man auch den Hausmeister anrufen und bitten, dass er die Heizung repariert, wenn es auf der Probebühne zu kalt ist“, erzählt Friederike Harmstorf. Sie ist das Gedächtnis des Regisseurs und Ansprechpartner für jeden in der Produktion. Kaffeekochen muss sie nicht, das übernehmen die verschiedenen Hospitanten. „Aber als Assistent sorgt man auch dafür, dass die Stimmung gut ist und man eine gute Probe hat“, sagt sie und lacht.

Mit ihrer großen Brille und den zusammengesteckten Haaren könnte sie streng wirken, doch das Gegenteil zeigt sich im Gespräch mit ihr im Foyer der Gaußstraße. Wenn Harmstorf erzählt, sprudeln die Sätze nur so aus ihr heraus. Sie spricht mit Händen und Füßen, sie schneidet Grimassen und ist von einer sympathischen Lebhaftigkeit. „Ich wollte diesen Job unbedingt. Man muss Leidenschaft und Engagement vermitteln können“, sagt sie. Diese Theaterpassion erkannten auch Intendant Joachim Lux, Oberspielleiter Luk Perceval und Ulrich Schrauth, künstlerischer Betriebsdirektor am Thalia. Dieses Trio musste Friederike Harmstorf von ihren Fähigkeiten überzeugen. Empfohlen worden war sie der Thalia-Leitung von Regisseurin Jette Steckel, bei deren Produktion von „Dantons Tod“ sie hospitiert hatte. Insgesamt ein halbes Jahr verbrachte sie als Hospitantin am Thalia, unter anderem bei Inszenierungen von Schorsch Kamerun und Jan Bosse. „Ich hatte ein Ziel vor Augen“, sagt sie. Deshalb ist sie auch nach dem Studium des Kommunikationsmanagements von Berlin in ihre Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt.

Inzwischen ist Friederike Harmstorf im dritten Jahr am Thalia, am 11. April wird sie ihre Abschlussarbeit in der Garage in der Gaußstraße zeigen. „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ von Franziska Walser feiert dann Premiere. Kleine Arbeiten wie szenische Lesungen bei den „Weltenreisen“ hat sie bereits in der Vergangenheit gestaltet, auch an der „Thalia-Soap“ aller Regieassistenten ist sie beteiligt, die Polit-Komödie soll ihr Gesellenstück werden. „So eine Komödie zu inszenieren, ist ein schöne Herausforderung“, sagt sie und lacht hell. „Da muss man schon auf seinen Humor vertrauen.“

In Walsers Stück geht es um drei Gattinnen ehemaliger Staatsoberhäupter. Margot Honecker, Imelda Marcos und Leila Ben Ali. Die drei Frauen treffen während einer Pressekonferenz anlässlich der Verfilmung ihres Lebens aufeinander. Ein Dolmetscher löst mit kleinsten Fehlübersetzungen zwischen ihnen politische Verwerfungen aus.

„Ich habe das Glück, mit vier fantastischen Schauspielern arbeiten zu dürfen“, freut sich Harmstorf. Zusammen mit Patrycia Ziolkowska, Victoria Trauttmansdorff, Sandra Flubacher und Florian Anderer entwickelt sie die Inszenierung. „Da wird angeboten ohne Ende“, beschreibt sie das Engagement der Schauspieler. Druck vor dieser Arbeit spürt sie nicht. „Dazu hatte ich keine Zeit. Die Schauspieler bringen mir Vertrauen entgegen. Das ist eine tolle positive Herausforderung.“

Für die Nachwuchsregisseure geht es während der dreijährigen Assistentenzeit auch darum, einen eigenen Stil zu finden. Für Harmstorf sind das Zuschauen und die Begegnung mit den verschiedenen Arbeitsweisen der Regisseure wichtig. Die Arbeit für Nicolas Stemann bei den „Schutzbefohlenen“ bezeichnet sie als „Geschenk“. „Bei Stemann gab es besonders viel zu organisieren und man musste auf seine vielen Ideen schnell reagieren.“ An Leander Haussmann schätzt sie die Leidenschaft und die positive Energie, die er mit in jede Probe gebracht hat, und an Johan Simons den Umgang mit den Schauspielern: „Ich hoffe, dass ich Schauspieler auch einmal so motivieren kann.“ Drei bis vier Vorstellungen sieht Harmstorf jede Woche durch ihre Abenddienste. „Ich lerne auch von den Schauspielern, wenn ich sehe, wie sie Szenen immer weiter entwickeln.“

Um ihre Zukunft macht sie sich keine Sorgen. Wichtig sei jetzt erst mal die Premiere von „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“. Am liebsten würde Friederike Harmstorf am Thalia bleiben, weil das in den vergangenen Jahren ihre Heimat gewesen ist. Sie hofft, dass möglichst viele Dramaturgen aus anderen Theatern ihre Abschlussinszenierung sehen und sie später Aufträge bekommt. Aber Harmstorf hat auch schon in Berlin mit Eigeninitiative und Improvisationstalent Projekte umgesetzt wie die Offene Bühne „die schreib:maschine“. „Im Ballhaus Rixdorf haben wir eine Plattform für junge Musicalschreiber und -darsteller gegründet, die dort Szenen vorstellen konnten. Das wurde zu einem Selbstläufer. Das Ballhaus war oft so überfüllt, dass die Zuschauer stehen mussten“, erzählt sie. „Reingestürzt“ habe sie sich damals in das Projekt.

Das glaubt man ihr sofort. Ihre Energie ist in jeder Sekunde spürbar. Harmstorf lebt den Ensemblegedanken, der am Thalia Theater immer wieder beschworen wird. „Es ist großartig, an einem Ort zu arbeiten, an dem alle auf ein Ziel hinarbeiten“, sagt sie. Das Gefühl für ihre Arbeit fasst sie in einem Wort zusammen: „Glücklich.“

„Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ Premiere Sa 11.4., 20 Uhr (ausverkauft), Thalia in der Gaußstraße