Hamburg. Die Galerie Levy zeigt Objekte, Multiples und außerdem auch die berühmten „FallenBilder“ des 85 Jahre alten Künstlers Daniel Spoerri.
15 Kilo Zwiebeln hat Daniel Spoerri zu seiner vergangenen Vernissage in Hadersdorf bei Wien geschält und dann ein echtes Szegediner Gulasch für 100 Personen gekocht. „Ich koche gern“, sagt er lapidar und lehnt sich in seinen Stuhl zurück. Der 85 Jahre alte Künstler, der heute Abend zur Eröffnung einer museumsreifen Ausstellung bei seinem Galeristen Thomas Levy zugegen sein wird, liebt die Abwechslung, auf dem Speiseteller, in seiner Kunst und im Leben. Mit seinen sogenannten Fallen-Bildern ist er in vielen großen Museen vertreten, einsortiert zwischen Objektkunst, Eat Art und Surrealismus.
Da rümpft er die Nase: „Ich weiß nicht. Solche Begriffe sind etwas Abstraktes. Ich habe nie zu einer Gruppe gehört. Allerdings war Meret Oppenheim meine Freundin, und Marcel Duchamp habe ich sehr geliebt. Ich habe ihn immer gefragt, ob er mein Großvater sein möchte. Als ich dann nach Paris zog und in so einem lausigen Hotel ohne Telefon wohnte, schenkte er mir einen Rohrpost-Apparat. Immer wenn er in Paris war, haben wir uns getroffen.“
Draußen im Park der Galerie Levy steht ein verspielt-tüftlerisch aussehender Brunnen, zusammengesetzt aus den Abgüssen alter Handmühlen. Eine Figurengruppe nicht weit davon zeigt weibliche Büsten mit abstrusen Kopfbedeckungen, Rohrstücken und Ähnlichem. Ja, hier ist das surrealistische Element, das Träumerisch-Poetische und der Humor im Werk Spoerris deutlich zu entdecken. Drinnen in der wunderschönen Ausstellung finden sich dann viele seiner Fallen-Bilder, von den 1960er-Jahren angefangen. Es sind, grob gesagt, kleine Restaurant-Tischplatten, die ohne Beine an der Wand hängen und auf denen eingetrocknete Essen- und Weinreste, Kippen und Serviettenreste auf ihrem Geschirr vor sich hingammeln.
Ganz von allein stellt sich im Kopf des Betrachters eine Szene her: zwei alte Freunde sitzen da, rauchen Kette, trinken und reden, stundenlang. „Die alten Sachen sagen mir heute so wenig wie damals“: Hin und wieder legt Daniel Spoerri in seinem freundlichen roséfarbenen Pullover ganz gern mal einen kleinen Brandsatz in seine Rede. Dann aber richtet er sich auf und sagt: „Das Ganze fing mit dem Statement an, dass der Zufall genauso viel aussagen kann wie eine persönliche Geschichte. Damals war es eine Frechheit, die Kreativität eines Künstlers zu negieren.“
Sein Freund Duchamp hatte ihm das ja schon vorgemacht, er hatte 1914 einen lapidaren Flaschentrockner ins Museum gestellt und gesagt, das sei Kunst. Auch mit Dieter Roth, dem Spezialisten für Verfall und Vergänglichkeit, war Spoerri gut befreundet. „Ich wollte damals beweisen, dass es nicht auf die private Kreativität ankommt“, sagt er. Vielmehr sollte das Leben selbst in die Kunst einziehen und den bis dahin fest abgesteckten Rahmen dessen aufsprengen, was Kunst sei.
Irgendwann wurde ihm das allerdings zu langweilig, und er ließ eben doch die eigene Kreativität fließen – zum Beispiel in die „falschen Fallen-Bilder“, wieder Arrangements mit Gläsern und Geschirr, aber auch mit anderen lustigen Gegenständen, einem Fellbüschel zum Beispiel oder den Fingern einer Puppenhand. „Das macht mir Spaß, damit kann ich Geschichten erzählen!“
Obwohl er zwischenzeitlich, nach 20 Jahren in Paris, nach Griechenland, New York und dann nach Deutschland gezogen war und in Düsseldorf sein legendäres Restaurant Spoerri gegründet hatte, in dem Essen, Erzählen und Kunst eine brisante Mischung eingingen, deren Überreste jetzt hier bei Levy an der Wand hängen. Das ist kein Witz: 365 Tage im Jahr 1972 wurde allabendlich nach der Schließung ein Tisch mit Tellern, Gläsern und Kippen eingepackt und in eine dafür angemietete Wohnung verfrachtet, von wo aus sie dann über einen Galeristen als Kunstwerke verkauft wurden, unter anderem an Gunter Sachs. „Nach diesem Jahr habe ich von dem Geld meine Mühle in Frankreich gekauft“, erzählt Spoerri. Heute aber besitze er nichts mehr, alles stecke in Stiftungen: „Ich brauch ja nichts mehr. Außer dem Kaffee, den ich gerade trinke ...“
Nun, dann ist da ja auch noch der große Park in der Toscana, wo Spoerri die 108 Werke all seiner Künstlerfreunde ausstellt. Auch eine Stiftung. Mit einem Haus, in dem er wohnt. Aber nach 20 Jahren „habe ich den Park verdaut. Dann musste etwas Neues her.“ Spoerri zog es nach Wien, wo er auch ein Atelier hat. Und er fing an, Stoffcollagen aus bestickten alten Tüchern zu fertigen, wortspielreiche „fadenscheinige Orakel“.
Früher, als er jung war, hat er getanzt. Und noch heute, wo er sagt: „Ich lauf am Stock“, tanzen seine Hände durch die Luft, und seine grünen Augen blitzen. Mit irgendetwas spiele er immer herum, sagt Daniel Spoerri. Am Revers seines Jacketts hat er eine metallene Eidechse befestigt (Flohmarkt, zwei Euro), seinen „ordre des arts et des lettres“ und eine Biene aus Pferdehaar.
Sein jüngstes Werk hängt in einem Extraraum und ist entstanden, weil die Meißner Porzellan-Manufaktur auf ihn zugegangen ist und ihm freie Hand ließ. Kannen, Tassen, Teller des wohl feinsten aller Porzellane hat er zerschnitten, zerrissen, weichgeklopft und neu arrangiert, immer mit dem geflügelten Wort vom „Elefanten im Porzellanladen“ im Kopf.
Das Porzellan, sagt er und hebt seine kecken Augenbrauen Richtung Decke, „hat doch jetzt eine ganz andere Lebendigkeit bekommen, es ist ein Augenspiel, eine Art Puzzle ...“ Manch einer würde das als barbarischen Akt bezeichnen. Aber der hat eben den hintergründigen Humor von Daniel Spoerri noch nicht verstanden.
Daniel Spoerri Galerie Levy, 31.3.–8.5., Osterfeldstraße 6, Di–Fr 10–18.00