Filmproduzent Nico Hofmann über sein Drama „Nackt unter Wölfen“, das in der ARD läuft, und die deutsche Vergangenheitsbewältigung.
Eines der großen Fernsehereignisse im April ist der Film „Nackt unter Wölfen“, den die ARD am Mittwoch zeigt. Es geht um das Leben im KZ Buchenwald, dessen Befreiung vor 70 Jahren Anlass für die Ausstrahlung ist. Der Film basiert auf dem autobiografischen Roman von Bruno Apitz, der in der DDR Pflichtlektüre an Schulen war und 1962 von Frank Beyer verfilmt wurde. Die neue Version hat Philipp Kadelbach („Unsere Mütter, unsere Väter“) mit Florian Stetter, Sylvester Groth, Sabin Tambrea und Peter Schneider inszeniert. Produziert hat das aufwendige Drama Nico Hofmann. Der Chef der Ufa Fiction war Regisseur und Drehbuchautor und ist heute einer der wichtigsten deutschen Produzenten.
Hamburger Abendblatt: Das Erinnern scheint in Deutschland ein schwieriges Geschäft zu sein. Beim Mauerfall-Movie „Bornholmer Straße“ war der Zuspruch enorm, am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz eher bescheiden. Ist das den Bundesbürgern zu anstrengend?
Nico Hofmann: Es hat immer damit zu tun, wie man Erinnerungsarbeit zulässt. Bei „Nackt unter Wölfen“ gibt es einen ganz persönlichen Ansatz. Wir gehen mit der von Florian Stetter gespielten Figur des Hans Pippig ins KZ hinein. Da kann man den Schmerz zulassen, den es auf Opferseite millionenfach gab. Dieser fiktionale Ansatz ist etwas anderes als der oft bemühte dokumentarische. Wir leben ja mittlerweile in einer inflationären Bilderflut über diese Zeit. Das führt zur Übersättigung mit Material, das schon tausendfach verwendet worden ist. Dadurch wird Wahrnehmung ikonisiert. Es ist eine Frage der Qualität des Films, des Sendeplatzes und der medialen Vorarbeit.
Das Interesse an diesem Film ist auch im Ausland sehr groß. Hat das etwas mit dem Erfolg von „Unsere Mütter, unsere Väter“ zu tun?
Hofmann: Hat es wohl, denn die interessierten Länder sind fast identisch. Es gibt aus Deutschland heraus seit Jahrzehnten keine TV- oder Kinofilme mehr, die sich mit dem Leben im Konzentrationslager beschäftigen. „Aus einem deutschen Leben“, in dem Götz George einen an den KZ-Kommandanten Höß angelegten Charakter spielt, ist aus dem Jahr 1978. Es gab zwar „Speer und Er“ und andere Filme, aber keinen Versuch einer Innenweltbetrachtung von Auschwitz oder Buchenwald.
Zu der Zeit, in der die Geschichte von „Nackt unter Wölfen“ spielt, herrschten schreckliche Zeiten in Deutschland. In was für einem Zustand befindet sich das Land jetzt?
Hofmann: In gewissen Bereichen der Erinnerungskultur haben wir uns aufrichtig bemüht. Ich bin unserer Geschichte gegenüber in keiner Weise ignorant aufgezogen worden. Das hat bei mir sehr viel mit der Familie zu tun und damit, dass ich mich extrem früh historisch interessiert habe. Viele Deutsche haben eine klare Haltung ihrem Land gegenüber. Wir haben ein Bewusstsein dafür, wer wir sind, und was dieses Land ausmacht. Es erschüttert mich aber, wenn die Bertelsmann Stiftung herausfindet, dass 81 Prozent der Deutschen mit der NS-Vergangenheit abschließen wollen. Das geht nicht. Bei mir geht das schon mal gar nicht. Mein Vater hat mehr als 20 Russen erschossen, meine Mutter war bekennendes BdM-Mitglied. Die Geschichte meiner Familie hat mit dem Dritten Reich zu tun, meine Eltern sind dadurch direkt geprägt, ich indirekt. Ich könnte gar nicht sagen, dass ich jetzt Vergebung und Ruhe will. Woran erinnern wir uns überhaupt? Haben wir eine Vorstellung davon, was in Buchenwald überhaupt passiert ist?
Einzelschicksale zu erzählen, kann da ein effektiverer Ansatz sein, als die der Dokumentarfilmer.
Hofmann: Nur so geht es meiner Meinung nach. Der Autor der Romanvorlage Bruno Apitz hat es selbst so erlebt. Das Buch und die Verfilmung von Frank Beyer sind in der DDR ideologisch extrem ausgeschlachtet worden. Es war sehr spannend, zusammen mit dem Aufbau-Verlag das Buch noch einmal historisch zurechtzurücken. Das aktuelle Drehbuch von Stefan Kolditz ist ein völliger Neuentwurf. Wenn man die alte Ausgabe des Romans mit diesem Drehbuch vergleicht, stößt man auf große Unterschiede. Die Schnittmenge liegt nicht einmal bei 30 Prozent. Es war sehr spannend, dass wir noch mit Buchenwald-Überlebenden reden konnten. Wir hatten auch eine historische Beratung durch den renommierten Holocaust-Experten Robert van Pelt.
Warum war der Roman in der DDR so erfolgreich, hier aber nahezu unbekannt?
Hofmann: Weil der dort per Staatsdekret in die Schulen gebracht worden ist. Das gab es bei uns nicht. Ich bin mit Erich Remarques „Im Westen nichts Neues“ aufgewachsen, was wiederum im Osten keine Rolle gespielt hat. Buchenwald ist auch deshalb interessant, weil Gefangene aus allen Bevölkerungsgruppen und europäischen Ländern dort inhaftiert waren. Es gab alle Formen der Nazi-Verfolgung, sei es jüdisch, schwul, Sinti und Roma oder politisch verfolgt. Das machte den Mikrokosmos Buchenwald zu etwas Besonderem.
Was können Kunst und Unterhaltung in Zeiten von wieder erstarkendem Antisemitismus und Fremdenhass leisten?
Hofmann: Im besten Fall eine andere Form von Differenzierung. In diesem Fall, um zu zeigen, wie komplex die Vernichtung und das Überleben waren. Der Film macht mehrere Horizonte von Schmerz und Mitgefühl auf und dadurch auch eine Art von Trauerarbeit möglich. Das gelingt selten. Antisemitismus und diese gesamte Pegida-Bewegung funktionieren ja nur, wenn sie als unglaublich undifferenzierte Sammelbewegung von allen möglichen Strömungen daherkommen. Sie funktionieren nur, wenn es diffus wirkt. So etwas entsteht nur aufgrund von Unbildung.
Sie haben sich in Ihren Filmen schon mit vielen bedeutenden Deutschland-Themen beschäftigt. Wollen Sie ein Gewissen der Nation sein?
Hofmann: Die Filme haben sich in den vergangenen Jahren ziemlich verändert. Es waren Tabuthemen und verdrängte Geschichten, die damals zum großen Quotenerfolg geführt haben. Anders kann man es sich heute nicht mehr erklären, dass „Die Flucht“ oder „Dresden“ 13 Millionen Zuschauer hatten. Sie haben damals zu einer neuen Diskussionskultur geführt. Ich habe seitdem meine Mittel verfeinert, aber Sie haben recht, es gibt diesen Drang in mir, Tabus aufzubrechen. Ich frage mich, ob wir je diesen Schmerz der Erinnerung zugelassen haben. Der Film verdichtet all das, was ich bei den Besuchen der Erinnerungsstätten von Auschwitz über Yad Vashem bis zum Holocaust-Museum in Washington je empfunden habe.
TV-Serien sind stark im Kommen. Das ZDF zeigt „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach, ebenfalls für das ZDF hat Matthias Glasner „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ gedreht, von Ihnen kommt „Deutschland 83“. Was ist da los?
Hofmann: Es ist eine Art Neubeginn, mal sehen, ob sich das beim Publikum verfängt oder ob das doch lieber seine Movies will. Es ist schon eine Zeitenwende, der Versuch, auf dem seriellen Feld etwas Neues zu machen. Im „Tatort“ sind wir da wesentlich weiter.
„Nackt unter Wölfen“ Mi, 20.15 Uhr, ARD