Berlin. Helene Fischer dominierte den Deutschen Musikpreis, Udo Lindenberg, Deichkind und Revolverheld bekamen auch was ab

Es ist kein Rätsel, warum deutsche Popmusik im Ausland, abgesehen von einigen Ausnahmen wie Rammstein oder Scooter, keine Rolle spielt. Die Verleihung des wichtigsten deutschen Musikpreises Echo am Donnerstag in der Messe Berlin zeigte es erneut beispielhaft. Es ist ja nicht so, dass es keine gute Popmusik gäbe. Herbert Grönemeyer etwa, der einen Echo in der Kategorie „Künstler national Rock/Pop“ abbekam, ist schon ein Großer. Und Kraftklubs Song nebst Clip „Unsere Fans“ ist definitiv das „Beste Video national“. Aber: Der Echo feiert sich jedes Jahr als deutsches Pendant zu den Grammys oder den Brit Awards, und das ist wirklich ein Hohn, dieses Jahr mehr denn je.

Grundlage für die Nominierung und die Auswahl der Sieger ist, das ist seit jeher so bekannt wie umstritten, kein Kritikerurteil, sondern die reine schnöde Verkaufszahl von Tonträgern. Und so bekam Helene Fischer wie schon 2014 einen Echo für das „Album des Jahres“. Erneut war „Farbenspiel“ der begehrteste Langspieler bei den Konsumenten. „Im zweiten Jahr in Folge darf ich den Echo für das Album entgegennehmen, das ist Wahnsinn“, jubelte Fischer. Ja, das ist Wahnsinn. Irrsinn. Dazu gewann sie auch in den Kategorien „Hit des Jahres“, „Schlager“ und „Musik-DVD national“. Die Multi-Platin-Blonde dazu: „Spätestens jetzt haben die Helene-Fischer-Festspiele begonnen.“ Immerhin kündigte Fischer ihre Echos nicht als Moderatorin der Gala selber an wie 2014, sondern Barbara Schöneberger.

Damit nicht der ganze Abend vorhersehbar wurde, hat sich der Echo einige Spezialkategorien ausgedacht, den Echo für soziales Engagement oder den Kritiker-Preis eines Fachgremiums. Die gingen nach Hamburg.

Weil Udo Lindenberg seit Langem ein wichtiger Lautsprecher für Toleranz ist und „nie nur ein Entertainer“ sein wollte, wie er sagte, bekam er den Echo für sein soziales Engagement. Ein Ansporn für ihn, auch weiterhin für eine „supertolle bunte Republik Deutschland“ einzustehen. Und wie bunt die Republik ist, sah man bei den Gewinnern des Kritiker-Echos. Deichkind setzte sich mit dem aktuellen Album „Niveau Weshalb Warum“ gegen eine starke nominierte Konkurrenz mit Kraftklub, Marteria, The Notwist und Trümmer durch. Und nicht nur der Live-Auftritt mit dem Song „Denken Sie groß“ fiel aus dem üblichen Galarahmen, sondern auch die Botschaft auf den Jogginganzügen der Electro-Chaostruppe bei Ankunft und Show in Berlin: „Refugees welcome“, das Motto der Gegenbewegung zu Pegida, Legida und wie sie alle heißen mögen.

Aber das waren nur die kurzen alternativen Augenblicke im jährlichen gegenseitigen Schulterklopfen der Preisträger, die zum Großteil zum Portfolio von Universal Music gehören. Zu Beginn gedachte Barbara Schöneberger mit dem Publikum den Opfern des Germanwings-Absturzes und ihren Angehörigen, Lindsey Stirling geigte dazu zwischen Kerzen. Auch die gestorbene Entertainer-Legende Udo Jürgens wurde gewürdigt, sein Orchester Pepe Lienhard spielte mit Roger Cicero, Adel Tawil, Andreas Bourani, Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer, Sarah Connor, Xavier Naidoo und Annett Louisan „Ich weiß, was ich will“. Ehre, wem Ehre gebührt. Aber danach: Tränen verkneifen, Entertainment bitte, und die Verteilung der Preise nach dem merkantilen Gießkannen-Prinzip.

Unheilig sahnte in der Kategorie „Gruppe Rock/Alternative national“ ab, obwohl Der Graf zumindest für seine Kritiker nur mit viel Fantasie als Gruppe, Rock oder gar Alternativ anzusehen ist. Die elbisch singende Fantasy-Chanteuse Oonagh wurde zur „Künstlerin national Rock/Pop“ und „Newcomerin des Jahres“, die Hamburger Formatradio-Lieblinge Revolverheld zur „Gruppe national Rock/Pop“ gekürt. Bei der Volkstümlichen Musik gewannen nicht die Rekordpreisträger der Kastelruther Spatzen, sondern Andreas Gabalier. Kollegah dominierte die Hip-Hop-Sparte, Robin Schulz den Dance, und die internationalen Preise wanderten zu AC/DC, Ed Sheeran, Zaz, Pink Floyd, David Guetta und Lindsey Stirling.

Keine Überraschungen also, abgesehen davon, dass nicht Helene Fischer „Live-Act national“ wurde, sondern Andrea Berg. Den Preis für das Lebenswerk bekam nicht Helene Fischer, sondern Nana Mouskouri. Auch eine Verbrüderung von Köln und Düsseldorf, von Wolfgang Niedecken und Campino (sie sangen Bob Marleys „Redemption Song“) sieht man nicht jeden Tag. Wenn man der ARD-Show zusah. Denn mit 3,39 Millionen (Marktanteil 13,3 Prozent) schalteten 800.000 Zuschauer weniger ein als im Vorjahr.

Ach ja, einen weiteren Echo für Hamburg wollen wir nicht unterschlagen: „Handelspartner des Jahres“ wurde der Media Markt Hamburg-Harburg. Dem fehlt jetzt noch ein Grammy.