Hamburg. Am Sonntag wird im Völkerkundemuseum die Ausstellung „Aus einer anderen Zeit“ eröffnet. Sie zeigt, wie sich der Blick der Forscher ändert.
Die Originale dürften unter gar keinen Umständen verkauft werden. Eine Maske, die rituell in Gebrauch war, wird später beerdigt wie ein Mensch. Das erfuhr der Hamburger Ethnologe Jürgen Zwernemann, als er Anfang der 1950er-Jahre gemeinsam mit seinen Kollegen Martha und Kunz Dittmer bei den Nuna und Kassena im heutigen Burkina Faso und Ghana Feldforschungen unternahm. Daher gab er damals bei den westafrikanischen Völkern Masken in Auftrag, um sie für das Hamburger Museum für Völkerkunde aufzukaufen. „Obwohl es Auftragsarbeiten waren, hätten sie sofort tanzen können, denn sie wurden gemäß der rituellen Vorschriften angefertigt“, erinnert sich der inzwischen betagte Zwernemann, der von 1971 bis 1991 als Direktor des Museums für Völkerkunde amtierte.
Sechs Jahrzehnte nach seinen Forschungsaufenthalten in der damaligen französischen Kolonie Obervolta hat Zwernemann sich noch einmal intensiv mit der Kultur der Nuna und Kassena beschäftigt, hat die damaligen Notizen und Tagebucheinträge gesichtet, Fotos analysiert und die knapp 2000 damals erworbenen Objekte wissenschaftlich aufgearbeitet. „Ethnologische Afrikaforschung vor 60 Jahren“, heißt das mehr als 600 Seiten starke Kompendium, das die Forschungsergebnisse zusammenfasst. Dieser Katalog ist zugleich der Ausgangspunkt der Ausstellung „Aus einer anderen Zeit ... Ethnologische Feldforschung 1954-56 in der westafrikanischen Savanne“, mit der am Sonntag der Afrika-Schwerpunkt des Museums eröffnet wird.
Schon der Ausstellungstitel legt nahe, dass seit Zwernemanns Forschungsreisen nicht nur viel Zeit verstrichen ist, sondern sich auch die Methodik der Ethnologie verändert hat. So bemühten sich die Wissenschaftler damals, der „traditionellen Kultur“ der Völker nachzuspüren und blendete möglichst alles aus, was europäisch beeinflusst war. Sie interessierten sich zum Beispiel für die traditionellen Sättel, obwohl die Nuna längst keine Pferde mehr hatten.
„Die Abwesenheit wurde damit erklärt, dass man sie früher für Krieg und Reisen benötigte. Da es keinen Krieg mehr gäbe und man zur Fortbewegung das Fahrrad habe, benötige man keine Pferde mehr“, notierte der Hamburger Forscher, der sich damals nur wenig dafür interessierte, wie sich das Leben unter dem Einfluss der modernen Zivilisation veränderte. Gleichwohl eröffnen der wissenschaftliche Ertrag der Feldforschungen sowie die Fotografien und gesammelten Objekte, die in der Ausstellung zu sehen sind, das faszinierendes Bild einer bedeutenden Forschungsreise.
„Ich bin sicher, dass von dieser Arbeit noch in 100 Jahren noch Afrika-Wissenschaftler profitieren werden, aber auch künftige Generationen von Burkinabé und Ghanaern wird es eine Grundlage des Sich-Erinnerns sein“, sagt Wulf Köpke, der heutige Direktor des Völkerkundemuseums, das sich in diesem Jahr gleich mit mehreren Ausstellungen dem „schwarzen Kontinent“ widmet. „Africa’s Top Models: Schönheitsideale – ideale Schönheit“, heißt eine Ausstellung, die am 11. Oktober eröffnet wird und an der sich auch Mitglieder der in Hamburg lebenden afrikanischen Communities beteiligen. Im Dezember startet schließlich eine Schau, die das Verhältnis von traditioneller Kultur, Naturschönheiten und Tourismus in Botswana hinterfragt.
Schon seit einiger Zeit beschäftigt sich das Haus an der Rothenbaumchaussee mit den kolonialgeschichtlichen Hintergründen der eigenen Sammlung. Wie sind die Objekte zu uns gekommen? Unter welchen Bedingungen wurden sie erworben? Ist die Art ihrer Präsentation angemessen oder könnte sie die Gefühle von Menschen aus den Herkunftsländern verletzen? Um Fragen dieser Art geht es in einem Projekt, das das Museum in Kooperation mit dem Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer von der Hamburger Universität realisiert.
Ziel der Untersuchung st eine „offene und transparente Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit“, was ganz auf der Linie eines im Juli 2014 veröffentlichten Senatskonzepts zu Hamburgs kolonialem Erbe liegt. Ein erstes Ergebnis ist eine multimediale App, in der die Erwerbungsgeschichte ausgewählter Objekte beleuchtet wird, denen die Besucher bei Rundgängen durch das Museum begegnen können.
Wie Wulf Köpke ferner ankündigte, wird die bisherige Afrika-Abteilung, die einen generellen Blick auf den Kontinent eröffnet, bald abgebaut zugunsten von Spezialausstellungen, die tiefgreifender, aber auch aktueller sein sollen. Dafür bildet Zwernemanns Forschungsausstellung den Auftakt.
„Aus einer anderen Zeit. Ethnologische Feldforschung 1954-56 in der westafrikanischen Savanne“ Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, Eröffnung am Sonntag 8.3., 11.00 Uhr