Regisseur Wim Wenders erhält eine besondere Auszeichnung der Berlinale - er bekommt den Goldenen Ehrenbären. Das Hamburger Abendblatt sprach mit ihm über den Oscar, alte Filme und neue Technik.
Berlin. Die 65. Berlinale ist eine Wim-Wenders-Berlinale: Der Regisseur wird an diesem Donnerstag den Goldenen Ehrenbären erhalten. Bereits gestern hat er seinen neuen Film vorgestellt, „Every Thing Will Be Fine“, das wahrscheinlich erste Kammerspieldrama in 3-D mit Stars wie James Franco und Charlotte Gainsbourg. Zugleich zeigt Wenders in einer Hommage aber auch ältere Werke. Und das sind in gewisser Weise ebenfalls Weltpremieren, denn die alten Kopien waren zum Teil in schrecklichem Zustand, für ihre Restaurierung wurde eigens die Wenders Foundation gegründet. Wir trafen den 69-Jährigen, der in Düsseldorf geboren wurde, in den neuen Räumen seines Büros, das gerade von Berlin-Mitte nach Prenzlauer Berg umgezogen ist.
Hamburger Abendblatt: Herr Wenders, Gratulation zur Oscar-Nominierung für „Das Salz der Erde“. Ist das der eine Preis, der Ihnen noch fehlt?
Wim Wenders: Danke für die Blumen! Ob er fehlt, weiß ich nicht. Und ob er mein Leben verändert, wenn er nicht mehr fehlt, bezweifle ich. In der Tat war ich ja ein paar Mal nah dran... Und das Nahdrangewesensein ist im Nachhinein gesehen eine gute Erfahrung. So werde ich zumindest dieses Mal nicht in die Falle tappen, auch nur im Entferntesten damit zu rechnen.
Es ist Ihre dritte Oscar-Nominierung, zum dritten Mal für eine Dokumentation. Ist der Dokumentarfilmer Wenders in den USA womöglich bekannter als der Spielfilmregisseur?
Wenders: Das „womöglich“ können Sie streichen, das ist durchaus so. Das europäische Erzählkino hat in Amerika noch nie eine Chance gehabt. Filme von Europäern, die dort ein bisschen Erfolg gehabt haben, können Sie an einer Hand abzählen. Selbst die großen europäischen Erzähler von Fellini über Bergman bis Truffaut sind in Amerika marginal geblieben, vom Markt her gesehen. Das ganze europäische Autorenkino ist da eine absolute Randerscheinung, die machen weniger als ein Prozent des Publikums aus. Auch wenn der künstlerische Einfluss auf Sprache und Stil des amerikanischen Kinos enorm ist. Die Dokumentarfilme, das gilt auch für Werner Herzog, sind mehr ins amerikanische Bewusstsein eingedrungen.
Vor der Oscar-Nacht werden Sie jetzt erst mal den Ehrenbären auf der Berlinale erhalten. Wie fühlt sich das an?
Wenders: Das fühlt sich gut an, darauf freue ich mich wie Bolle. „Zu Hause“ so geehrt zu werden, in der eigenen Stadt, das ist wunderbar, und da bin ich der Berlinale und dem Dieter Kosslick sehr dankbar. Das ist auch deswegen so schön, weil ich hier zehn Filme in der Hommage zeigen darf. Und wir haben lange daran gearbeitet, dass die auch vorzüglich aussehen. Ich darf mit Fug und Recht sagen: Diese von Grund auf restaurierten Filme sehen heute besser aus als damals mit ihrer ersten Kopie. Aber sie sehen eben auch nicht so aus, als ob sie damals schon digital gedreht worden wären. Das war mir ganz wichtig.
Das ist ja historisch einmalig, dass ein Filmemacher selbst sein komplettes Œuvre restauriert.
Wenders: Das passiert sonst leider meist posthum. Die Fassbinder Foundation hat eine ähnliche Arbeit geleistet, aber eben erst nach Rainer Werners Tod. Die technischen Möglichkeiten, so zu restaurieren, einen Film in höchster Auflösung wieder so aussehen zu lassen wie am ersten Tag, die gibt es aber auch erst seit ein paar Jahren. Vorher konnte man nur an den Negativen arbeiten, jetzt aber kann man einen Film so scannen, dass das Negativ komplett mit jedem einzelnen Korn seiner Auflösung erfasst ist. Ansonsten: Ich bin ja nun schon ein paar Jährchen dabei, meine ersten Filme liegen weit über 40 Jahre zurück und hatten eine „Überholung“ bitter nötig. An denen hat der Zahn der Zeit schon so genagt, dass einige im Grunde schon über den Jordan waren. Jetzt sehen sie aus wie neu.
Wenn man seine frühen Werke selbst restauriert, kann man allerdings Fehler in der Inszenierung nicht beheben. Schmerzt das?
Wenders: Zumindest kommt einem mitunter die Idee, dass man inzwischen anders inszenieren und schneiden würde. Sicher würde man heute weniger langatmig erzählen, als man es damals gemacht hat. Aber das war man ja nicht nur selbst, das war die Zeit, das war die Art, wie man damals Filme gesehen hat. Da war man selber Teil eines historischen Prozesses. Es ist jetzt natürlich auch klar, dass wir in so was nicht eingreifen dürfen und wollen. Aber manchmal gibt es Grauzonen, wenn man etwas endlich so aussehen lassen kann, wie es damals intendiert war. Da hat ein lebender Regisseur andere Möglichkeiten, darauf einzuwirken, als wenn Historiker sich über ein altes Negativ von Fritz Lang hermachen und sich akademisch fragen müssen, was der Mann wohl wollte. Diese Frage zumindest kann ich selbst kompetent beantworten.
Sie haben ja einmal die Rechte an Ihren Filmen verloren. Jetzt haben Sie eigens die Wenders-Stiftung gegründet. War das eine Lehre aus dem vergangenen Schaden?
Wenders: Ja, ganz genau. Die Lehre war für mich, dass Privatbesitz an einem Lebenswerk keine Lösung ist. Wir haben die Rechte allesamt zurückgekauft, aber ich wollte sie nicht als Privatmann besitzen. Man weiß ja nie, was alles passieren kann. Eine Stiftung ist für künstlerisches Eigentum eine ideale Existenzform, denn das Werk gehört sich selbst, bleibt so der Allgemeinheit zugänglich und refinanziert sich auch selbst. Einige Filme sind ja Klassiker geworden, sind international noch im Vertrieb und spielen Geld ein. Und dass dieses Geld jetzt in die Stiftung geht, in eine Nachwuchsförderung, aber eben auch in die Restaurierung der Filme, das ist so viel sinnvoller, als wenn ich selbst damit noch was verdienen könnte.
Das muss ein Wechselbad der Gefühle gewesen sein. Erst kann die Stiftung Ihre alten Filme wiedererwerben, dann machen Sie die Boxen auf und sehen den schlimmen Zustand.
Wenders: Das war zum Teil höchst ernüchternd. Am schlimmsten war „Alice in den Städten“ zugerichtet. Das Negativ war ein einziger Horrorfilm, alle zehn Zentimeter ein neuer Schaden, Risse, Kratzer, Laufschrammen ... Das Material war mausetot! Was immer auch an Unheil passieren kann, war da passiert. Aber wir hatten mit der Stiftung auch das Instrument, das anzugehen, auch wenn das eine irrsinnige monatelange Arbeit war. Als Privatmann könnte man sich das nicht leisten. Vom rein wirtschaftlichen Standpunkt Filme wie „Alice“ oder „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ so aufwendig zu restaurieren, das ist eigentlich der nackte Wahnsinn. Aber eine Stiftung darf da anders denken. Die will ja vor allem die Filme wieder sichtbar machen und quasi „für die Ewigkeit“ sichern, so gut es nur geht. Ich habe vor einem Jahr auch nicht geglaubt, dass wir auf der Berlinale acht Filme in neuem Glanz präsentieren könnten.
„Every Thing Will Be Fine“ läuft auf der Berlinale und nicht in Cannes.
Wenders: Irgendwann war die Überlegung: Wenn wir schon so ein großes Fest feiern, dann doch lieber richtig! Dann machen wir nicht noch ein neues Fass auf, ein paar Monate später, sondern zeigen alles, und zwar hier, zu Hause. Durch den Ehrenbären konnte „Every Thing Will Be Fine“ natürlich nicht im Wettbewerb um die Bären laufen, das wäre komplett unmöglich. Aber Dieter Kosslick hat uns die Möglichkeit gegeben, ihn außer Konkurrenz zu zeigen.
„Everything Will Be Fine“: Ist das auch so etwas wie ein Lebensmotto?
Wenders: Der Titel hatte in der Tat den unglaublich positiven Nebeneffekt, dass man sich, wann immer mal ein Problem auftrat – und das passiert beim Drehen ja öfter –, nur daran erinnern musste, wie der Film heißt. Klar, alles wird gut! Das ist zumindest eine prima Lebenseinstellung.