Klaus Modick schreibt in seinem neuen Buch „Konzert ohne Dichter“ über die brüchige Beziehung zwischen Heinrich Vogeler und Rainer Maria Rilke
In der Künstlerkolonie Worpswede war Heinrich Vogeler zu Lebzeiten wohl der bekannteste Maler. Als neoromantischer Ästhet, als Jugendstilkünstler, der auch für seine stilvollen Intérieurs berühmt war, ist er der Nachwelt in Erinnerung geblieben. Im Sommer 1900 stieß dann allerdings ein Dichter hinzu, der mindestens ebenso prominent werden sollte: Rainer Maria Rilke.
Es ist schon eine heikle Sache, Menschen, die es wirklich gegeben hat, im Nachhinein Leben einzuhauchen. Der Autor beraubt sich damit der absoluten Freiheit, Figuren zu erfinden, hat aber allerhand Material, das ihn anregt. In Worpswede wird der Hamburger Schriftsteller Klaus Modick für sein neues Buch „Konzert ohne Dichter“ vieles gefunden haben. Die Originalbilder hängen in den dortigen Museen, Gedichte, Tagebücher und Briefe dienten ihm überwiegend als Quellen. Am 9. Februar erscheint das Buch bei Kiepenheuer & Witsch. Die Hauptrollen in dieser als „chronique scandaleuse“ angekündigten Abhandlung spielen Heinrich Vogeler und Rainer Maria Rilke. „Das Konzert“ gilt als eines der wichtigsten Bilder des Jugendstilmalers. Vogeler steckte damals schon in einer tiefen Schaffenskrise, und um diese rankt Klaus Modick sein Buch. „Die Demontage des Rainer Maria Rilke“ könnte man es über weite Strecken untertiteln. Einen solchen Unsympathen möchte man als Leserin nicht mehr näher kennenlernen: „Die eigentliche Nuss ist hohl. Und dann seine Angeberei. Er will sein kleines Licht heller machen, indem er die Strahlen großer Geister auf sich lenkt. Tolstoi! Rodin! Und so benutzt er auch uns hier. Wenn er Worpswede sagt, meint Rilke nur sich selbst“, stellt Heinrich Vogeler fest. Andererseits gelingt es Klaus Modick nicht, das herauszuarbeiten, was die vielen Frauen so an dem Dichter fasziniert haben muss. Rilke bleibt im Großen und Ganzen ein egomanisches Ekel.
Das erste Drittel des Buches schleppt sich etwas steif und schlecht durchblutet dahin, doch dann nimmt es Fahrt auf. Modick hat sich auf die Seite des Schöngeistes Heinrich Vogeler geschlagen. Trotz seines enormen Erfolges fing er an zu zweifeln, vom wirren Gerede seines neuen Freundes Rilke angetrieben: „Wann verfällt Schönheit zu Dekoration und Kulissenschieberei, wann wird sie zur Lüge? Wann wuchern die floralen Ornamente zu Gestrüpp...? Wann entpuppt sich die Romantik (...) als arrangierte Künstlichkeit, als lukrativer Mummenschanz fürs zahlungskräftige Publikum ...?“
Die angekündigte Chronique scandaleuse kommt dagegen reichlich kurz, denn es bleibt bei Andeutungen. Die junge Malerin Paula Becker und die Bildhauerin Clara Westhoff waren beide in Rilke verliebt und hatten ihn in ihrem Bett. Das bleibt aber seltsam leblos. Und dass Rilke eigentlich der kapriziösen Lou Andreas-Salomé verfallen war, ist für nur eine Szene gut. Modick hat eben andere Schwerpunkte gesetzt.
Einen neuen, heutigen Blick wirft der Autor auf die Maler: Paula Modersohn-Becker „verkaufte kein einziges Bild, kein Galerist wollte etwas von ihr wissen. Inzwischen wusste Vogeler es besser. Im Vergleich zu ihr waren die Mackensens am Ende und Overbecks nur Schollenmaler, Otto Modersohn ein harmloser, altmodischer Märchenonkel. Und Vogeler? Ein eitler, erfolgsbesessener Dekorateur. Dagegen war Paula eine künstlerische Naturgewalt.“
Zunehmend lebendig wird der Mensch Heinrich Vogeler durch die vielen inneren und äußeren Dialoge – über den großspurigen Mäzen Roselius zum Beispiel, über die profane Verwandlung von Kunst in Geld oder über die Ernüchterung, dass seine Ehe nach der Geburt des dritten Kindes den anfänglichen Schmelz verloren hat.
Mit Heinrich Vogelers radikalem Aufbruch in ein anderes Leben und eine andere Kunst beschäftigt sich Modick nicht mehr, ihn interessierte die Phase, in der die Künstlerkolonie ihre größte Blüte erreichte – ein Reich mit zwei Königen.
Klaus Modick, Konzert ohne Dichter. Kiepenheuer & Witsch, 229 S., 17,99 €