Im Bucerius Kunst Forum eröffnet am Sonnabend die Ausstellung „Miró. Malerei als Poesie“ und zeigt neben Gemälden auch viele fantastische Künstlerbücher des spanischen Künstlers.
Wenn ein Stern die Brust einer Farbigen liebkost oder Sterne im Geschlecht von Schnecken leuchten, dann hat der Maler-Poet Joan Miró seiner von Kosmos und Sinnlichkeit beflügelten Fantasie freien Lauf gelassen. Ein Stern, ja, der taucht dann tatsächlich irgendwo in dem entsprechenden Ölbild auf, aber sonst ist jedem Betrachter selbst überlassen, was aus diesen schillernden Beschreibungen er darin wo entdecken will. Nach Kandinsky, Chagall und Piet Mondrian nähert sich Direktorin Ortrud Westheider im Bucerius Kunst Forum erneut einem populären Künstler, über den schon alles gesagt schien. Sie entlockt seinem Werk weniger bekannte Aspekte, um daraus eine große Ausstellung zu machen: „Miró. Malerei als Poesie“. Wie gewohnt, erstreckt sich die Schau über zwei Etagen, wobei der Rundgang oben startet.
In der ersten Etage sind Mirós Stillleben, Protestbilder und traumschöne monochrome Bildgedichte ausgestellt, unten bilden die langen Bücher-Vitrinen den Schwerpunkt, umgeben von Gemälden, gesammelt nach Themen. Im angegliederten Kinoraum gibt es diesmal eine Text-Sound-Bild-Collage zu sehen, in der die Schriftsteller zu Wort kommen, mit denen Miró befreundet war: Paul Éluard zum Beispiel oder Tristan Tzara – damit die Besucher, die mit dem Surrealismus nicht so vertraut sind, einen Begriff davon bekommen, was ein surrealistisches oder dadaistisches Gedicht ist, wie es klingt oder vorgetragen wurde.
Sorgfältig ausgearbeitete, noch dem Kubismus verwandte frühe Stillleben wie das Bild „Pferd, Pfeife und rote Blume“, eine spektakuläre Leihgabe aus Philadelphia, schmücken den ersten Abschnitt im Obergeschoss. In der Mitte dieses kubistisch angehauchten Arrangements liegt die von Picasso illustrierte Ausgabe von Jean Cocteaus’ „Der Hahn und der Harlekin“ – und noch heute steht jenes Büchlein im erhaltenen Bibliotheksregal von Joan Miró.
Nach den Stillleben ist im Obergeschoss Mirós frühe Radikalität zu erkennen, denn schon von 1924 bis 1930 entstanden seine halb lasierten, monochromen Bildgedichte: Es sind farblich und motivisch reduzierte Gemälde, in denen Wort und Bild eng verschmelzen, Linien in Kalligraphie übergehen, und Worte die lichte, verrätselte Malerei in Poesie verwandeln: „Sterne im Geschlecht von Schnecken“. Es folgen Mirós „Nachtgedanken“, in denen er seine geballte Protesthaltung ausdrückte – gegen das faschistische Franco-Regime, das sich 1936 an die Macht geputscht hatte. Die eigene ständige Todesangst hätte dazu geführt, „die Monster zu schaffen, die mich gleichzeitig anzogen und zurückstießen“, wie er im Katalog zitiert wird. Auf diesen Bildern tauchen schwarze Silhouetten und Figuren auf, fliehend, kämpfend oder weitere Ungeheuer hervorbringend...
Sein Enkel, Joan Punyet Miró, schreibt im Katalog über seinen Großvater: „Seine Bücher nahmen ihn mit auf Reisen... Er war ein freier, unabhängiger Geist, bodenständig und poetisch zugleich. Wie im Schlaf erschienen ihm Motive und Formen, die er zu Metaphern für alltägliche Phänomene ausbildete...“ Der Maler Miró las die Schriften von Dante und Franz von Assisi, aus denen er „Kraft und Inspiration“ schöpfte, wie sein Enkel erzählt. Joan Punyet zeigt die Seelenverwandtschaft zwischen den beiden großen italienischen Dichtern und seinem Großvater auf, deren Mystik, Geistesdisziplin und universelle Liebe Joan Miró nicht nur beeindruckt habe, sondern die der Maler in sich selbst gefunden habe.
Am deutlichsten ist diese Sicht auf den Kosmos in seinen „Konstellationen“ zu sehen, die schwebenden Gestirnen ähneln oder wirbellosen Gestalten. Im Erdgeschoss bilden die aufregend modernen, riesigen Gemälde Mirós für seine herrlichen Künstlerbücher einen Rahmen wie eine Umarmung: fast fünf Meter ist sein „Nacht“-Bild mit weißem Himmel und blauem Mond lang, und daneben hängen zwei schwarz-weiße, minimalistische Landschaften, Linie und Mond gleich Bild, winzige Kleckse oder die durchscheinende Leinenstruktur beleben sie unmerklich. Diese so prominent ausgestellten Bilder sind die letzte Konsequenz des Vokabulars, das Miró über Jahrzehnte verfeinert hat. Ein Erlebnis!
Gleich dahinter die „Sternenbilder“ aus den 40er-Jahren, und dazu das Künstlerbuch, für das der Surrealisten-Guru André Breton im Nachhinein gedichtet hat: 14 Blätter aus diesem einmalig schönen Zyklus kann man hier bewundern, Mirós Bildsprache wird hier geradezu lebendig, die schwarzen Punkte scheinen sich wie auf einem im Dämmerlicht glimmenden Jahrmarkt in Bewegung zu setzen, Bälle in Knallblau, Rot und Grün gesellen sich dazu. Dass André Breton dazu Gedichte einfielen, versteht sofort, wer sie sieht.
Schön und irgendwie auch immer noch aufregend frisch und neu wirken außerdem Mirós Schriftbänder, -schlangen und -objekte, bei denen er die Buchstaben ihrer Bedeutung enthob und völlig frei als Form oder Linie wahrnahm. Sehr inspirierend und auch sehr komisch.
Miró. Malerei als Poesie. Ausstellung im Bucerius Kunst Forum vom 31. Januar bis zum 25. Mai