Kurz vor seinem 71. Geburtstag bringt der Hamburger Musiker sein neues Album „Raureif“ heraus. Nach 15 Jahren ist es wieder einmal eine CD mit überwiegend eigenen Texten geworden.

Hamburg. Er ist schon wieder auf dem Sprung. Seinen 71. Geburtstag am 28. Januar wird Achim Reichel auf Mallorca verbringen Die Hamburger Musik-Legende gehört zu den deutschen Winterflüchtlingen. Rechtzeitig vor der Abreise ist Reichels neues Album erschienen, „Raureif“ heißt es. Ein Wohnzimmergespräch mit dem Musiker ist zugleich ein Studiogespräch, auch große Teile von „Raureif“ sind in Reichels Haus in Hummelsbüttel entstanden. An den Wänden hängen Gitarren, der Raum ist mit Equipment vollgestellt.

Hamburger Abendblatt: Das letzte reguläre Studioalbum mit eigenen Texten, „Entspann Dich“, ist vor 15 Jahren erschienen. Wie kam es dazu, dass Sie noch mal ins Studio gegangen sind, um ein neues Album aufzunehmen?

Achim Reichel: Nachdem ich fünf Jahre lang als „Storyteller“ unterwegs war und 100 Konzerte gegeben habe, dachte ich: Das kann’s ja jetzt auch gewesen sein. Ich war im vergangenen Winter mit meiner Frau drei Monate auf Mallorca und hatte natürlich meine Gitarre dabei. Da klimpert man so auf der Terrasse rum und plötzlich perlen ein paar Songideen raus. Hier eine Melodie, da ein Text. Sechs Songs entstanden dort. Ich erinnerte mich an die vielen E-Mails, in denen Fans fragten, wann, nach Shantys, Volxliedern und klassischen Balladenvertonungen, mal wieder mit einer Platte zu rechnen sei, bei der die meisten Texte von mir stammen.

Hört man den Song „In der Hängematte“, kann man sich vorstellen, wie entspannt Sie an die Arbeit gegangen sind.

Reichel: Ich kann ohne Musik nicht leben. Es ging mir auf Mallorca darum, zu mir zu kommen und meinen 70. Geburtstag in einer mediterranen Atmosphäre zu feiern. Als im Winter Geborener ärgere ich mich jedes Mal, dass ich kein Gartenfest feiern kann. „In der Hängematte“ drückt viel von dem aus, wie ich mich gefühlt habe.

Warum haben Sie das Album „Raureif“ genannt und nicht einen sonnigeren Titel gewählt?

Reichel: Ich meine das ein büschen anders: reifer Kerl mit rauer Stimme.

„Raureif“ enthält Songs in sehr vielen verschiedenen Stilen: Reggae, Shantys, Rock, Latin, Tango, Blues, Irish Folk. Ist es die Quintessenz Ihres bisherigen Schaffens?

Reichel: (lacht) Man könnte auch fragen, weiß er eigentlich, was er will?

Ist ja kein Debütalbum, mit dem man eine Marke setzen muss...

Reichel: Ich bin auch noch mal durch meine Archive gegangen und hab so manche Perle dabei gefunden. Zum Beispiel „Herz der Dinge“, ein Text von dem 1987 verstorben Jörg Fauser, in dem es um Betrachtungen eines älteren Künstlers geht. Als Jörg damals mit dem Text ankam, habe ich zu ihm gesagt: „Wir sind noch nicht mal 40, kein Grund sich zu fragen: Wer weiß, wie lange wir noch haben.“ Aber jetzt im Alter von 70 Jahren passt es besser. Das Ganze ist kein Album, bei dem zuerst über ein Konzept nachgedacht wurde. Es ging ums Musizieren. Das macht Spaß und eine Platte zu produzieren auch.

Mit „Ole Pinelle“ findet sich auch ein Rock-Shanty in der Tradition von „Kuddel Daddel Du“ auf Ihrem neuen Werk. Wo kommt dieser Text her?

Reichel: Den hat Fritz Graßhoff geschrieben, der viele Songs für Hans Albers getextet hat. Ich habe seine Witwe in Kanada angeschrieben und die Rechte angefragt. Sie antwortete auf einer Postkarte und schrieb: „Junger Mann, machen sie mal.“

Auch Kiev Stingl, ein Begleiter aus früheren Tagen, taucht in zwei Songs als Texter wieder auf.

Reichel: Ja, „Der Harte, Kleine, Schnelle“ über einen Fußballstar, dem aus Liebeskummer nichts mehr gelingt. Richtig umgehauen hat mich aber der „Abschiedsbrief“, mit dem das Album endet. Die Zeile „Wie liebevoll du meinen Namen schriebst, als wenn du mich noch immer liebst“ finde ich großartig.

Viele junge Künstler und Bands produzieren Videos und benutzen sie bei YouTube als Werbemaßnahme. Werden Sie auch Videos zu Songs aufnehmen?

Reichel: Auf gewisse moderne Vermarktungsmechanismen habe ich keine Lust. Obwohl viele ältere Videos von mir auf YouTube laufen, habe ich nie einen Pfennig an Tantiemen dafür gesehen. Wenn du mit viel Geld und Aufwand ein Video produzierst, hoffst du, dass es etwas bringt. Aber ich will gar nicht mehr an den großen Speck ran. Ich mache Platten der Musik wegen und nicht unter der Fragestellung: Wie clever müssen wir denn sein, welche Strippen müssen wir ziehen, damit wir Erfolg haben.

Werden Sie im Radio gespielt?

Reichel: Ich war gerade in München und in Stuttgart und wurde dort in eineinhalbstündigen Sendungen interviewt, in der Redeanteil und Musik den gleichen Anteil hatten. Aber Radio ist schon lange schwierig. Ich vermisse auch eine gewisse Solidarität zwischen Künstlern und Medien. Wir haben doch eine gemeinsame Popkultur. Formatierter Rundfunk grenzt zu viel Musik aus. Mir hat schon in den späten 80er-Jahren ein Redakteur gesagt: „Achim, wir machen Hitradio. Wenn du einen Hit hast, spielen wir dich, vorher nicht.“ Ich habe mich gegen diese Anpassung an Formate entschieden. Das kostet Öffentlichkeit, aber das macht nichts.

Sie sind auch an keine große Plattenfirma mehr gebunden.

Reichel: Ich trauere den alten Zeiten nicht nach, ich habe keinen Grund, mit mir unzufrieden zu sein. Ich habe kein Problem damit, dass hinter mir keine große Plattenfirma steht, die Druck macht und sagt, du musst dies oder das tun. Ich habe mein eigenes Label und Indigo als Vertrieb. Auf dem Cover von „Raureif“ bedanke ich mich mit dem Satz: „Vielen Dank an Indigo für den Weg abseits der ausgetretenen Pfade.“

Eine Tournee steht auch an. Was können Ihre Fans erwarten?

Reichel: Wir werden zu fünft sein, diesmal habe ich anstelle eines Schlagzeugers einen Percussionist dabei. Wenn ein Drummer hinter mir losbrettert, muss ich mit der Stimme immer so dagegenhalten, da kannst du mich nach drei Konzerten in die Klinik einliefern. Dann sind die Stimmbänder fertig. In Hamburg spielen wir am 27. April im neuen Mehr! Theater am Großmarkt.

Wo kommt Ihre Energie her?

Reichel: Ich weiß es ja selber nicht. Ich lebe ja nicht wie ein Mönch. Dass ich unsteter Geist es geschafft habe, die Kugel 50 Jahre am Rollen zu halten, ist für mich selber ein kleines Wunder.

Konzert: Mi 27.4., 20 Uhr, Mehr! Theater am Großmarkt