Die Uraufführung von René Polleschs Stück „Rocco Darsow“ macht dem Publikum im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses sehr viel Spaß. Google wird darin zur Plattform für Werbeblättchen.

Hamburg. Die Bühne wird von einem schwarzen Kopf dominiert, der aussieht wie Darth Vader aus den „Star Wars“-Filmen. Er thront auf einer hölzernen Torte inklusive Treppe und geschnitztem Hundekopf, die an Laubsägearbeiten im XXL-Format erinnert. In dem Kopf befindet sich das Tonstudio von „Rocco Darsow“, in dem eine japanische Schlägersängerin „ihren großen Auftritt in ihrem eigenen Bühnenbild hatte“. Schon mit den ersten Sätzen sind die Zuschauer im Malersaal mitten drin in René Polleschs absurder Welt. Der Regisseur und Schriftsteller hat für das Deutsche Schauspielhaus ein neues Stück geschrieben, das jetzt seine Uraufführung erlebte und gefeiert wurde.

Polleschs „Rocco Darsow“ ist ein Spektakel, in dem die vier beteiligten Schauspieler anfangs erst einmal über das Genre verhandeln. Ist es ein Hörspiel? Das bräuchte eigentlich kein Bühnenbild. Doch es geht hier nicht um Radio. Pollesch nimmt das Hör-Spiel wörtlich. Das Publikum hört und sieht dem Spiel der Protagonisten zu. Die sind nicht immer zu sehen, denn weite Teile des Stücks spielen im Inneren des Terminator-Kopfes. Per Video werden die Dialoge auf eine Leinwand übertragen und zeigen die Akteure in Großaufnahme. Sie sinnieren über die Realität, „die immer so tut, als wäre sie schon da, aber sie ist immer erst nachträglich da.“ Und über die Liebe und die behauptete Obszönität des Satzes „Ich liebe dich!“ Mit romantischem Glücksversprechen hat dieser Ausspruch nichts zu tun, die Figuren fallen übereinander her, küssen sich und zeigen so die Aufdringlichkeit des Satzes.

Für B (gespielt von Bettina Stucky) ist die Liebe weit weg von ihrer Realität: „Ich vergesse zum Beispiel immer, mich in jemanden zu verlieben. Ich sitze mit Leuten rum und unterhalte mich und plötzlich denke ich, ach ja, verlieben könnte ich mich ja jetzt auch in das Gegenüber. Aber man geht dann eben lieber essen, als den anderen mit seinem Inneren zu langweilen.“

Die Schauspieler haben ein Konvolut an Sätzen zu bewältigen, sie reden und reden, kommen vom Hundertsten ins Tausendste und liefern bei ihren philosophischen Gedankenspielen so nebenbei manch komische Pointe. Pollesch hat die Souffleuse Katharina Popov gleich mit auf die Bühne gesetzt. Sie hat eine Menge Arbeit und muss blitzschnell reagieren, wenn M (Martin Wuttke) etwa fragt: „Was wollte ich gerade sagen?“ Der Redefluss darf nicht aufhören und wird nur von musikalischen Einspielern unterbrochen. S (Sachiko Hara) als japanische Schlagersängerin singt das kitschige „Sweet Memories“, Zäsuren bekommt Polleschs Text auch durch opulente Orchestermusik, wie sie als Soundtrack für Hollywood-Blockbuster verwendet wird.

Es macht sehr viel Spaß, den Schauspielern zuzusehen und zuzuhören. Christoph Luser in knielangen Hosen ist der vierte dieser entfesselten Bande, die in der Welt der Kino- und Fernsehunterhaltung ihre Vorbilder hat. Im Programmheft empfiehlt Pollesch die Radio-Show der Marx Brothers ebenso wie Monty Python’s Flying Circus und den Geschäftsbericht von Google aus diesem Jahr. Den gibt es zwar nicht als TV-Format, aber Martin Wuttke macht daraus bestes Theater-Entertainment. Die gigantische Internet-Suchmaschine wird darin auf die virtuelle Plattform für Werbeblättchen reduziert. Und die will niemand mehr in seinem Briefkasten haben.

Weitere Vorstellungen: 17./20.12.2014