Die Thalia-Schauspielerin Birte Schnöink erhält am Sonntag den Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung. In der Jury-Begründung heißt es, ihr Spiel wirke „nüchtern und unaufwendig, in Wahrheit ist es hoch konzentriert.“

Hamburg. Manchen Künstlern gönnt man Preise mehr als anderen. Birte Schnöink ist eine vermeintliche Leisetreterin des Spiels, eine, die man auf der Bühne leicht übersehen und überhören könnte. Zierlich und von einer gewissen blonden Niedlichkeit passt sie ins Schema all jener jungen Frauen, die sich durch bürgerliche Trauerspiele von Hebbel bis Schiller leiden. In der Begegnung verstärkt sich zunächst der Eindruck, ein scheues Reh vor sich zu haben, doch im Verlauf des Gesprächs wandelt sich das rasch.

Der Thalia-Schauspielerin gelingt es, in ihren Rollen als Homunkulus in Nicolas Stemanns „Faust II“, als Eve in Bastian Krafts „Der zerbrochne Krug“, als Julia in Jette Steckels Shakespeare-Inszenierung und vor allem als Nina in Leander Haußmanns Tschechow-Aufführung „Die Möwe“ vermeintlich schwachen, vom Leben geprügelten Figuren Stärke und Beharrlichkeit zu verleihen. Mit klarem Blick und wachem Verstand leuchtet sie die Figuren bis in die Tiefe hinein aus. Dafür erhält sie an diesem Sonntag im Thalia Theater den mit 10.000 Euro dotierten Boy-Gobert-Preis für Nachwuchsschauspieler an Hamburger Bühnen, vergeben von der Körber-Stiftung. „Birte Schnöinks Spiel wirkt nüchtern und unaufwendig, in Wahrheit ist es hoch konzentriert. So schafft sie komplexe Charaktere: verletzlich und kämpferisch, zart, aber voll innerer Kraft, anrührend, aber nie melodramatisch“, heißt es in der Jurybegründung.

Die Geehrte wirkt fast durchscheinend blass. Verträumt, aber mit wachen blauen Augen. Ihr Gesicht scheint ein wenig wie aus einem vergangenen Jahrhundert zu sein. Wenige Tage vor der Preisverleihung ist sie nervös. Schließlich muss der Preisträger traditionell eine Einlage einstudieren. „Jetzt habe ich eine Idee und einen Plan. Ich bleibe mir treu, aber es wird, denke ich, auch unterhaltsam sein.“ Sanft, verhalten spricht sie. Auf Anhieb glaubt man nicht, dass so eine introspektive Person freiwillig das Rampenlicht sucht. Doch. Genau das tut sie.

Birte Schnöink, 1984 in Bremen als Tochter einer Grafikerin und des Mitarbeiters einer Immobilienfirma geboren, zog es ganz klassisch in die Theater-AG ihrer Schule. „Dort ist der Funke übergesprungen. Der Gedanke, dass man auf einer Bühne eigentlich keine Angst zu haben braucht“, sagt Schnöink. Langsam hat sie sich dann weiter ans Spiel herangetastet. „Der Reiz, die Bühne, ihre Grenzen auszuloten, das fing da an.“ Nach dem Abitur arbeitete sie ein Jahr lang in einer Behinderteneinrichtung. Auch ein Germanistikstudium in Bayreuth, wo sie schnell unglücklich wurde, blieb nur eine Episode.

Denn da klappte es mit dem Vorsprechen an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. „Man befasst sich wahnsinnig viel mit sich selbst. Das ist schon sehr besonders“, sagt Schnöink. „Es bringt sehr viel, sich selbst auf diese Weise kennenzulernen und sich gleichzeitig auszuliefern, in dem man sich da hinstellt und spielt.“ Seither läuft es fast wie von selbst für Birte Schnöink. Noch als Studentin trat sie in Lars Eidingers Inszenierung von „Die Räuber“ an der Berliner Schaubühne auf. Stand in Salzburg in Andrea Breths Inszenierung von Dostojewskijs „Verbrechen und Strafe“ auf der Bühne. Wertvolle Etappen, die sie in ihrer konzeptionellen Herangehensweise und psychologischen Strenge im Rückblick durchaus kritisch sieht. „Irgendetwas hat gefehlt. Heute würde ich da anders rangehen.“

Inzwischen schätzt sie auch Freiräume, die Regisseure wie das eher performativ arbeitende Duo Ojasoo & Semper oder Nicolas Stemann öffnen. „Stemann bastelt einen Raum, in dem man sehr frei herumtoben kann. Das kann total aufgehen.“ Es ging auf. Und das nicht nur einmal. „Ich möchte in der Arbeit immer überrascht werden. Ich will mich nicht wiederholen und mit mir selbst langweilen“, sagt sie. „Ich glaube, weil es mir nicht immer gelingt, mich in der realen Welt mitzuteilen, habe ich eine große Sehnsucht, eine spielerische Fantasie nach außen zu richten.“ Versteht sich, dass Birte Schnöink von Filmemachern entdeckt wurde. Im Januar startet „Amour Fou“ in der Regie der Österreicherin Jessica Hausner, eine bereits bei Festivals herumgereichte Verfilmung der Beziehung zwischen Heinrich von Kleist und Henriette Vogel, gespielt von Birte Schnöink.

Die Jury dürfte sie vor allem mit ihrer Leistung in „Die Möwe“ überzeugt haben, die am 2. Dezember erneut auf dem Spielplan des Thalia Theaters steht. Wie sie da als scheiternde Schauspielerin über ihre Lebenssehnsüchte spricht, mit heller Stimme, wildem Blick und beherrschter Verzweiflung, ist von eindrucksvoller Intensität. Das Thalia Theater ist bis auf Weiteres ihre künstlerische Heimat. Wohnhaft auf St. Pauli, verbringt sie gerne Zeit in Cafés, liest Künstlerbiografien, spielt Gitarre oder Klavier. Bald beginnen die Proben für Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“, Regie Bastian Kraft, Titelrolle natürlich Birte Schnöink.

Wieder ein Part, in dem Schwache Stärke zeigen können. Dass sie auf den ersten Blick eine Imaginationsfläche für Klischees bietet, ist ihr bewusst. Genau das interessiert sie. Anlauf nehmen. Das Unerwartete freilegen. „Der größte Reiz ist, dass auf der Bühne so viel Energie vorhanden ist, von den Kollegen und von den Zuschauern. Da können magische Momente entstehen.“ So etwas wie ein Lächeln stiehlt sich über ihr ernsthaftes Gesicht. Diese ganz spezielle Theaterenergie, sie wird sich auch dank ihres Spiels wieder herstellen.

Boy-Gobert-Preisverleihung So 30.11., 11.00, Thalia Theater, Eintritt frei „Die Möwe“ Di 2.12., 19.30, Karten: T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de