„Das Ende der Geduld“ zeichnet mit einer grandiosen Martina Gedeck Kirsten Heisig nach, die in Berlin das „Neuköllner Modell“ erfand. Die ARD zeigt den Film im Rahmen der Themenwoche Toleranz.
Ihr Filmname Corinna Kleist ist eine kleine Hommage an den Dichter Heinrich von Kleist, der sich 1811 am Wannsee das Leben nahm. Im wirklichen Leben hieß die Berliner Jugendrichterin, die im Frühsommer 2010 erhängt im Tegeler Forst im Norden Berlins aufgefunden wurde, Kirsten Heisig. Weil es keine Anzeichen auf Fremdeinwirkung gab, gilt ihr Tod als Selbstmord.
Der Nachruf im „Tagesspiegel“ auf die fußballnärrische Juristin zitierte damals den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Heinz Buschkowsky mit den Worten: „Die Frau war Lebenslust pur. So jemand bringt sich doch nicht um! Schon gar nicht während der Fußball-WM.“
Der Spielfilm „Das Ende der Geduld“, den die ARD heute im Rahmen ihrer Themenwoche Toleranz zeigt, breitet das Ende des kurzen Lebens dieser Richterin, die nur 48 Jahre alt wurde, ebenso wenig aus, wie er Spekulationen über dieses Ende nährt. Dem im Allgäu geborenen Regisseur Christian Wagner gab damals zwar die Zeitungsnachricht von Heisigs plötzlichem Verschwinden den Anstoß, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Und als die Version vom Selbstmord verbreitet wurde, dachte er an eine Dame im Bekanntenkreis seiner Mutter, deren Freitod ihn erschüttert hatte. Doch in seinem Film, der so heißt wie das Buch, dessen fertiges Manuskript Kirsten Heisig noch in den Postkasten warf, ehe sie starb, ist ihm Leben und Wirken der Jugendrichterin viel näher als ihr einsames Sterben.
Sie nannte unbequemen Wahrheiten beim Namen
Der Film dürfte ähnlich polarisieren wie Kirsten Heisig selbst, die in ihren letzten Berufsjahren zu der Überzeugung gelangt war, wenn man nur andere Saiten aufzöge, sei der Jugendkriminalität in Neukölln nicht nur juristisch beizukommen, sondern vielleicht sogar grundsätzlich. Weil sie manche unbequemen Wahrheiten beim Namen nannte – den hohen Anteil an aus arabischen Ländern stammenden Zuwandererkindern und -jugendlichen unter den Intensivtätern, den mangelnden Integrationswillen vieler solcher Familien und das Fehlen von Autorität in einem instabil gewordenen Umfeld mit Folgen wie Schulverweigerung und Jugendgewalt –, geriet sie unweigerlich unter den Sarrazin-Generalverdacht, „den Ausländern“ die Schuld für Versäumnisse der Politik in die Schuhe zu schieben.
Gegen teilweise erhebliche Widerstände setzte Heisig durch, was seitdem „Neuköllner Modell“ genannt und mittlerweile sogar in manchen Kommunen Bayerns praktiziert wird: Kleinere Delikte werden drei bis fünf Wochen nach verübter Tat abschließend verhandelt, die verhängten Strafen sollen erzieherische Wirkung entfalten. Und idealerweise arbeiten alle betroffenen Bereiche – Polizei, Jugendamt, Schule, Justiz – eng zusammen.
Martina Gedeck spielt die Filmfigur Corinna Kleist nach der wahlweise als „Richterin Gnadenlos“ verunglimpften oder als „Richterin Courage“ gefeierten Juristin mit atemberaubender Präzision. Gegen allzu viel Empathie mit den straffällig gewordenen Jugendlichen wappnet sie sich mit Pragmatismus und Professionalität. Wie nahe ihr die Fälle und die Schicksale dennoch gehen, bleibt unübersehbar.
Nicht in die schwere Kriminalität abrutschen
Kleists Engagement ist von der Art, die den Dienstweg meidet. Eines Morgens läuft sie schnurstracks in das für ihren Bereich zuständige Polizeirevier und kanzelt dessen Leiter Hück (Sascha Alexander Gersak in einer weiteren Glanzrolle als Unsympath mit Herz auf dem rechten Fleck) für seine Ermittlungen am Rande der Legalität ab. Später lässt sie sich von ihm durch ihren neuen Kiez fahren, zu einem Sightseeing der Verrohung: „Wer sitzt denn bei Ihnen auf der Anklagebank?“, fragt Hück sie provozierend. „Der Peter und der Hartmut oder der Muhammed und der Ali?“
Die Bereitschaft der Richterin zu juristischem Rigorismus ist nicht durch wie auch immer latente Ausländerfeindlichkeit motiviert. Kleist geht es offenkundig darum, den Teufelskreis von ungeahndet bleibender, sich deshalb rasch wiederholender Bagatellkriminalität in die schwere Kriminalität zu durchbrechen.
Sie ist cool und hart und engagiert, bis der massive Druck einer als Clan auftretenden Familie ein junges Mädchen nötigt, die Gewalt zu leugnen, die ihm angetan wurde. Da packt Corinna Kleist der glühende Zorn. Und vielleicht ist das auch der Moment, wo ihr Zweifel kommen am eigenen Postulat: „Jugendrecht macht wenigstens Sinn. Da kann man noch was ändern.“
Wagners Film ist spannend, gut erzählt und bietet hervorragende Darsteller. Gedeck glänzt, auch den Laien glaubt man jede Geste, jeden Blick.
„Das Ende der Geduld“, heute, 20.15, ARD