Am Schauspielhaus hatte die Uraufführung von „König Artus“ als vorweihnachtliches Ritterspektakel Premiere.

Hamburg. Dieser Artus erscheint so gar nicht ritter- oder sogar königlich. Im gemusterten Pullunder, mit kurzen Hosen, Brille auf der Nase ist Bastian Reiber eher ein vergrübelter Königs-Nerd, er selbst nennt sich ein „verzetteltes Wörterbuch“.

Noch weiß er nichts von dem Glück, dass der alte Zauberer Merlin Schwert nur für ihn in einem Fels festgesetzt hat. Wem es gelingt, es herauszuziehen, der soll die Königswürde in England erlangen, das 15 Jahre nach dem Tod des letzten Herrschers ohne Erben in der Gewalt mordender Banden versinkt.

Die Artus-Legende vom edlen Rittertum, das die Schwachen schützt und das Böse besiegt, liefert die Vorlage für ein vorweihnachtliches Ritterspektakel am Schauspielhaus: die Uraufführung von „König Artus“, inszeniert von Markus Bothe, der mit Nora Khuon auch den Stücktext lieferte.

Dem Team gelingt ein kleines Theaterwunder. Fast zwei Stunden lang begeistert der Stoff über den jugendlichen Ritter mit Schwertkämpfen, Fischen auf der Flucht vor einem tyrannischen Hecht, einem schwer verliebten ungleichen Paar aus Dachs und Igel und den herrlich als Gruftis aufgemachten Bösewichtern: der Fee Morgane, die Jan-Peter Kampwirth mit viel Transvestiten-Charme gibt, und ihrem eitlen Sohn Mordred (Jonas Hien).

Als Alt-Hippie tappt Merlin umher

Aber auch mit viel Herz, aufrechten Kämpferinnen, wahrem Rittertum, das statt tumbem Haudrauf den Dialog mit seinen Feinden sucht und einem jungen Helden, der sich beim Wort „Verantwortung“ nicht hinter dem Herd verkriecht.

Ein karges hölzernes Fort hat Robert Schweer auf die Bühne gezimmert. Als Alt-Hippie mit silbrigem Langhaar und Rauschebart tappt Heiner Stadelmann als Merlin umher und entschwindet schon mal in einem modernen Reisekoffer. Für den armen Artus wird er zur letzten Rettung. Als Findelkind, das bei seinem Ziehvater Sir Hector (Michael Prelle) für niedere Abwasch-Arbeiten auch noch Prügel kassiert, hat er wenig zu lachen, erobert aber im Nu die Herzen der Zuschauer mit Humor und Hirn.

Weil Hector seinen leiblichen Sohn Kaye (bei Johannes Nehlsen ein tumber, sprachverwirrter Nichtsnutz) in den Königsstand hieven will, wird es Artus zu bunt. Er läuft weg. Ein klassischer Außenseiter, der sich zum Glück mit einer anderen Einzelkämpferin zusammentun kann, der Waisen Guinevere, bei Anne Müller eine rachelüsterne junge Amazone, die in Mordred den Mörder ihrer Familie sucht.

Das Familienstück ist ein Fest der Theatergewerke

Gemeinsam singen sie Lieder, bestehen Abenteuer, vor allem, weil Merlin beide in allerlei Tiere verwandelt und mit Aufgaben betraut, die ihre Ritterwürde ans Licht bringen sollen. Bald erkennt Artus die Dynamik der Kriegsführung. Jede Seite behauptet, die andere hätte angefangen. Langsam dämmert ihm auch der Sinn hinter Merlins Prüfungen. „Ich wollte nur nicht mehr abspülen. Und jetzt muss ich Fragen über den Weltfrieden beantworten.“

Ganz nebenbei ist das Familienstück ein Fest der Theatergewerke. Toll funkeln die Fischanzüge der Forellen, die sich ein verpenntes „Moin“ zuwerfen. Auch nach Popcorn-Nahrung suchende Arbeiter im irrwitzigen Ameisendress treten auf. Den Handlungsfortgang vernachlässigt Bothe nie zugunsten einer Ausstattungsorgie. Gekonnt untermalen Liedauszüge und die apart mittelalterlich angehauchte Musik von Peer Baierlein, Christian Gerber und Matthias Trippner das Geschehen.

Bis in die Nebenfiguren hinein gelingen tolle Karikaturen. Etwa die beiden Ritter, Sir Lamorak (Jan Krauter) und Sir Pellinore (Michael Weber), die vergessen haben, warum sie kämpfen und sich aufs Herrlichste Schimpfwörter an den eingerüsteten Kopf knallen. Oder die furienhafte Morgane mit Geweih auf dem Kopf, die in schönster shakespearescher Manier zum Opfer ihrer selbst ausgeheckten Intrige wird. Einzig Anne Müller muss manchmal in ihrem „Mann ey, Artus“-Slang einige flapsige Formulierungen beisteuern.

Doch so einfach ist das Böse nun mal nicht

Die Legende von König Artus stand schon im 5. oder 6. Jahrhundert für die Sehnsucht des Menschen nach Frieden und Freiheit in instabilen Zeiten. Dieser Tage angesichts der Weltlage ein bemerkenswert zeitloses Thema. Gewiss wirkt es zunächst naiv, wenn Artus am Ende für einen Weg der Versöhnung plädiert: „Probleme, die alle betreffen, können nur von allen gemeinsam gelöst werden.“

Die Idee, einen Ritterorden zu gründen, diesen um einen runden Tisch zu versammeln und sogar dem feindlichen Mordred einen Platz an der Tafelrunde anzubieten, findet Nachahmer bis heute. Vom Tarifstreit bis zum Waffenstillstand. Doch so einfach ist das Böse nun mal nicht aus der Welt zu tilgen. Und wenn Mordred sich mit den Worten verabschiedet: „Ich komme wieder“, dämmert auch den jungen Zuschauern, dass sich das Böse in der Welt halten wird, solange es auch Gutes gibt.

Das Einzige, was dagegen hilft, ist Gemeinschaft, positive Bandenbildung für die Utopie von Frieden und Freiheit. Doch auch im Wissen um den Fortgang der Artus-Saga endet das Spektakel mit einem vorläufigen Happy End, das eigentlich keines ist. Und das ahnt man, wenn die Ritter singen: „Keine Ahnung – Wie es weitergeht, / Keine Ahnung – Weshalb die Welt sich dreht / Wir sind Ritter – solang die Welt besteht“.

Es steckt viel unaufdringliche Weisheit in dem furios inszenierten und gespielten Legendenstoff, der das Zeug haben dürfte, bei einigen kleinen Zuschauern das Feuer der Theaterleidenschaft zu entfachen.

„König Artus“ wieder So 23.11., 15 Uhr, 24.–28.11., jew. 10 Uhr, 28.11. auch 18 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13