Im Film „Im Labyrinth des Schweigens“ geht es um den Auschwitz-Prozess. Giulio Ricciarelli hat aus vielen Fakten und einer Prise Fiktion den Film zusammengestellt. Donnerstag kommt er in die Kinos.
Frankfurt. Es ist eine Zeitreise. Deutschland steckt im Jahr 1958 mitten im Wiederaufbau und träumt nicht nur vom Wirtschaftswunder, sondern erlebt es. Vom Aufarbeiten der eigenen Vergangenheit wollen viele Bundesbürger jedoch damals nichts wissen; es ist ja auch mühsam und ein schwieriger und schmerzhafter Prozess. In dieser Zeit steigt der junge Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) in seinen Beruf ein.
Die Verkehrsdelikte, die er bearbeiten muss, öden ihn an. Dann kommt der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski) ins Gericht, weil ein Freund einen ehemaligen Auschwitz-Wärter erkannt hat, der jetzt als Lehrer arbeitet. Aber niemand will seine Anzeige aufnehmen. Radmann beginnt heimlich zu ermitteln.
Schließlich beauftragt ihn der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) tatsächlich mit den Ermittlungen. Bald finden Radmann und Gnielka Unterlagen, die zu den Tätern führen.
Bei weiteren Ermittlungen stößt Radmann immer wieder auf Widerstände, sogar Behörden behindern seine Arbeit. Letztlich schafft die hessische Justiz es aber, 1963 den Auschwitz-Prozess auf den Weg zu bringen, ein wichtiges Stück Vergangenheitsbewältigung für die Bundesrepublik. Bei Prozessende sitzen noch 20 Personen auf der Anklagebank, sieben werden wegen Mordes, zehn wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Drei werden freigelassen.
Der heute 86-Jährige war damals beteiligt
Giulio Ricciarelli hat aus vielen Fakten und einer Prise Fiktion den Film „Im Labyrinth des Schweigens“ zusammengestellt, in dem er ebenso nachdenklich wie unterhaltsam von einem bedeutenden Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte erzählt. Der Film, der endet, wenn der Prozess beginnt, kommt am Donnerstag in die Kinos. Ein Vorbild für die Figur des Radmann war Gerhard Wiese. Der 86-Jährige war damals als junger Jurist am Verfassen der Anklageschrift beteiligt und erinnert sich im Gespräch an die Ereignisse.
Wiese ist für einen Mann in seinem Alter enorm rüstig und kann sich präzise erinnern. Schwungvoll betritt er im Frankfurter Hof den Raum und kommt sofort zur Sache. Er kam 1962 als dritter Staatsanwalt zu dem Verfahren hinzu. Seine Kollegen hatten sich schon seit 1958 mit der Problematik beschäftigt. Jetzt sollte die Anklage gegen 22 Beschuldigte erhoben werden. Wiese sollte sich um zwei von ihnen kümmern.
Die große Frage war: Wo soll der Prozess stattfinden? Alle verfügbaren Räume waren zu klein. Dann kam der Saal der Stadtverordneten im Frankfurter Römer ins Gespräch. Der Oberbürgermeister gab seine Genehmigung . So bekam der Prozess auch gleich einen repräsentativen äußeren Rahmen. „Der Römer machte schon etwas her, keine Frage“, erinnert sich Wiese. „Wir hatten damals weder Computer noch Drucker oder Kopiergerät, nur eine Schreibmaschine. Das können sich die jungen Leute heute gar nicht mehr vorstellen.“
Menschen, die abscheulichste Verbrechen begangen hatten
Als das Verfahren begann, fand sich Wiese in einer sonderbaren Situation wieder. Er musste sich mit Menschen auseinandersetzen, die die abscheulichsten Verbrechen begangen hatten. Und doch wurde auch das zu einer Art beruflicher Routine. „Zuerst war ich konsterniert. Da sträubt sich einem das Gefieder. Ich habe irgendwann aber einen inneren Schutzschild aufgebaut.“ Zu Hause sprach er kaum über seine Erlebnisse mit den Angeklagten.
Ist man mit dem Auschwitz-Prozess den Opfern gerecht geworden? „Das ist schwer“, sagt er. „Wir wollten es. So weit das mit einem Strafprozess möglich ist, sollten wir es auch geschafft haben. Es war rechtskräftig festgestellt, was für Ungeheuerlichkeiten in Auschwitz begangen wurden. Da kam keiner mehr dran vorbei.“ Sieben Jahre seines Lebens hat Wiese sich mit diesem Prozess beschäftigt. Aus heutiger Sicht hält er ihn für einen Markstein.
Mehrfach war er bei den Dreharbeiten zu Gast. Auch als die Szene gedreht wurde, in der Bauer, der Wieses Vorgesetzter war, einem Behördenleiter klarmachen sollte, dass das Verfahren in Frankfurt und nirgendwo anders laufen sollte.
Gert Voss agierte in dieser Szene eher behutsam. Wiese hatte diese Szene im wahren Leben ganz anders in Erinnerung und machte Voss, immerhin Burgschauspieler, Zeichen, er solle doch energischer auftreten. Regisseur Ricciarelli bat den Zaungast schließlich: „Herr Wiese, können Sie bitte mal rausgehen? Herr Voss fühlt sich verunsichert.“ Als Wiese später hörte, Voss sei im Juli gestorben, empfand er sein eigenes Auftreten als etwas peinlich.
Die Produzenten nutzten Wieses Erinnerungen
Die Produzenten nutzten Wieses Erinnerungen für die Vorbereitungen zum Film. Es kam auch zu einem Treffen mit seinem filmischen Alter Ego Alexander Fehling, der ihn mit Fragen regelrecht löcherte: „Wie sah Ihr Dienstzimmer aus? Was stand auf dem Schreibtisch? Haben Sie einen Hut getragen? Haben Sie sich gesiezt? Hatten Sie eine Kaffeemaschine? Es hat mir sehr gut gefallen, wie intensiv er sich mit seiner Rolle befasst hat. Das Ergebnis spricht ja auch für sich.“
Der Hessische Rundfunk hat sonntags eine Sendung im Programm, in der bekannte Persönlichkeiten befragt werden. Vor kurzem war Alexander Fehling dort zu Gast. Wiese war als Überraschungsgast vorgesehen und hatte sich extra einen schönen Begrüßungssatz zurechtgelegt. Aber Fehling ließ sich nicht überraschen. „Hallo Alexander...“, konnte der Jurist noch sagen, dann fiel ihm der Schauspieler schon ins Wort: „Herr Wiese, das freut mich aber.“
Geduzt haben sich damals übrigens tatsächlich nur wenige der juristischen Kollegen. Wiese war Mitglied in einem Kegelclub, der nur aus Staatsanwälten bestand. Mit fast allen war er per Sie, findet das aber auch völlig in Ordnung. „Das macht nichts. Wir haben trotzdem über alle wichtigen Dinge gesprochen.“
Das Thema Auschwitz-Prozess ist plötzlich wieder aktuell. Zurzeit entsteht noch ein zweiter Film, in dem es darum und um den charismatischen Juristen Fritz Bauer geht. Lars Kraume dreht ihn mit Burghart Klaußner in der Hauptrolle. Er soll 2015 in die Kinos kommen.
Buchtipp: Devin O. Pendas. „Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht“. Siedler, 432 Seiten. 24,99 Euro