Die Fabrik der Künste zeigt das Werk von Willi Sitte, der wie kein anderer DDR-Maler polarisierte. Er hat Arbeiter heroisiert und Propagandabilder gemalt und über Schicksale bestimmt.
Hamburg. Die Nähe zu den Mächtigen im SED-Staat hat er nie gescheut, Kritik an den bestehenden Verhältnissen in der ostdeutschen Diktatur war von ihm nie zu hören, daher dürfte man Willi Sitte kaum zu Nahe treten, wenn man ihn als „Staatsmaler der untergegangenen DDR“ bezeichnet.
Sitte hat Arbeiter heroisiert und Propagandabilder gemalt, als mächtiger Präsident des Verbandes Bildender Künstler hat er außerdem über Schicksale bestimmt, hat Karrieren befördert oder beendet, von 1986 bis zur friedlichen Revolution im Herbst 1989 gehörte er sogar dem Zentralkomitee der SED an.
Dass damit jedoch keineswegs alles gesagt ist über diesen Maler, der neben Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer zur „Viererbande“ der offiziellen DDR-Staatskunst gezählt wurde, zeigt die Fabrik der Künste ab morgen mit einer Willi-Sitte-Ausstellung, in der unter dem Titel „Menschenbilder“ etwa 70 Werke aus allen Schaffensphasen zu sehen sind.
Sittes Bilder sind unbestreitbar von großer handwerklicher Meisterschaft
Was in der überwiegend chronologisch gehängten Ausstellung sofort ins Auge fällt, ist der wuchtige Gestus, sind die kraftvollen und nicht selten pathetischen Kompositionen, mit denen Willi Sitte seine oft nackten und fast immer üppigen Figuren in Szene setzt. Dabei bedient er sich aus der Repertoire der Kunstgeschichte, vom Barock über manchmal fast epigonenhafte Anklänge an Picasso bis hin zu expressionistischer Farbenwucht.
Sittes Bilder sind zügellos, ungemein dynamisch, dabei jedoch unbestreitbar von großer handwerklicher Meisterschaft. Sein Schönheitsideal wirkt barock und dürfte für den Spießergeschmack nicht nur manches SED-Funktionärs eine Zumutung gewesen sein. Anders als Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke oder selbst der in künstlerischer Hinsicht weitaus schlechtere Walter Womacka ist der sozialistische Malerfürst aus Halle in der DDR-Bevölkerung nie populär gewesen.
Dass in kaum einer ostdeutschen Plattenbauwohnung Kunstdrucke seiner Werke gehangen haben, dürfte nicht nur an der Staatsnähe des Malers gelegen haben, sondern hatte gewiss auch ästhetische Gründe. „Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt“, hieß es im DDR-Volksmund über den Maler, der dem Betrachter seiner Bilder bis heute einiges abverlangt.
Sitte hat sich dem Sozialistischen Realismus nie entzogen
25 Jahre nach dem Sturz der SED-Herrschaft betrachtet man diese Bilder freilich anders als das zur DDR-Zeit möglich war. Das vordergründig propagandistische Motiv verliert an Bedeutung, statt dessen fällt die expressive Kraft seiner Körperdarstellung stärker ins Gewicht.
Das liegt zum Teil natürlich auch am Konzept der Ausstellung, in der nur ganz vereinzelt platte Propagandabilder zu sehen sind, dafür umso mehr Motive, die etwa mythologische Themen aufgreifen und stilistische Anklänge nicht nur an Picasso, sondern etwa auch an Lovis Corinth oder Max Slevogt zeigen. Sitte hat sich zwar den ästhetischen Forderungen des Sozialistischen Realismus nie entzogen, diesen aber auf seine ganz eigene Weise definiert. Vor allem kann man Sitte aber nicht nachsagen, er wäre so blutleer und unsinnlich wie es für so viele andere Protagonisten der stalinistische Staatskunst typisch war.
„Bis heute ist die Kunst der DDR im Westen viel zu wenig bekannt. Deshalb wollen wir Willi Sitte als einen der wichtigsten ostdeutschen Maler zeigen, ohne seine problematischen Seiten auszusparen“, sagt Horst Werner, der Leiter der Fabrik der Künste, der sowohl mit der Witwe des 2013 gestorbenen Künstlers als auch mit der in Merseburg ansässigen Willi-Sitte-Galerie zusammengearbeitet hat.
Eine Sitte-Schau führte 1975 zu einer Kampagne gegen Uwe Schneede
Vor fast 40 Jahren hatte es in Hamburg schon einmal eine Willi-Sitte-Schau gegeben, die damals eine heftige, mit schriller Polemik unterfütterte Kontroverse auslöste. Als Uwe Schneede, der damalige Chef des Hamburger Kunstvereins und spätere Direktor der Kunsthalle, im April 1975 eine Retrospektive mit Sitte-Werken von 1950 bis 1974 eröffnete, sah er sich mit persönlichen Angriffen konfrontiert, deren ideologische Schärfe man heute nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen kann.
Das Abendblatt witterte in der Schau damals eine „Schleichwerbung für den Sozialismus“, während der Kritiker der „Welt“ Uwe Schneede persönlich angriff und sogar dessen Rücktritt verlangte. Als Konsequenz sei „ein sichtbares Opfer notwendig. Aber dieses Opfer kann nur der Kopf von Kunstvereinsdirektor Schneede sein“, hieß es damals in dem Zeitungsbericht, der letztlich folgenlos blieb.
Er hat seine Macht niemals missbraucht, sondern stets „zum Nutzen vieler Kollegen“ eingesetzt
Auch nach der Wiedervereinigung geriet Sitte noch einmal in die Schlagzeilen, als das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 2001 die Verschiebung einer ursprünglich zu seinem 80. Geburtstag geplanten großen Retrospektive mit der Begründung bekannt gab, zuvor müsse man noch seine widersprüchliche Rolle als SED-Funktionär aufarbeiten.
Als er in einem Interview darauf hin behauptete, seine Macht niemals missbraucht, sondern stets „zum Nutzen vieler Kollegen“ eingesetzt zu haben, stieß das bei ehemaligen DDR-Künstlern auf heftigen Widerspruch. Sitte selbst sagte die Nürnberger Ausstellung damals ab, erlebte aber 2006 noch eine späte Genugtuung mit der Eröffnung der Willi-Sitte-Galerie in Merseburg, in der ein großer Teil seines Gesamtwerks untergebracht ist und gepflegt wird.
Willi Sitte. Menschenbilder. Gemälde, Grafiken, Zeichnungen. Fabrik der Künste, 29.10–23.11., Di–Sa 14.00–19.00, So 11.00–18.00, Kreuzbrook 12