Ein Gespräch mit der lettischen Mezzosopranistin Elina Garanca über ihre Traumrollen, Lampenfieber und die Chormusik in ihrem Blut. Am 23. Oktober gastiert sie in der Hamburger Laeiszhalle.

Hamburg. Mit Pferdeschwanz, Pullover und kräftigem Händedruck ginge sie eher als Sportlehrerin denn als Operndiva durch: Elina Garanca, gewissermaßen das blonde Mezzo-Pendant zu Anna Netrebko, begrüßt die Reporterin an diesem Vormittag in einem Hamburger Hotel freundlich und bestimmt. In ihrem bildstarken, schnellen Deutsch schwingt viel Selbstbewusstsein mit.

Ein wenig kräftiger als auf den engelsgleichen Promobildern wirkt sie schon; ihr zweites Kind ist Anfang des Jahres geboren. Gerade hat Garanca die CD „Meditation“ herausgebracht hat, mit Werken von Allegri bis Gounod – und einem kräftigen Schuss zeitgenössischer lettischer Musik. Ihr Mann Karel Mark Chichon dirigiert die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern und den Latvian Radio Choir. Mit dem Programm sind die Künstler am 23. Oktober in der Laeiszhalle zu Gast.

Hamburger Abendblatt: Ihre Kollegin, die große Joan Sutherland, hat über Sie gesagt: „Sie ist eine geborene Diva.“ Wie finden Sie solche Zuschreibungen?

Elina Garanca: Ich habe sie nie gefragt, was sie damit gemeint hat. (lacht) Dieser Stempel gehört ja irgendwie zu meinem Beruf. Ich würde sagen, ich bin eine Diva – bei Bedarf.

Ist das Modell nicht überholt?

Garanca: Wissen Sie, wenn man ernster darüber nachdenkt – Diva, das kommt ja von divinus: das Göttliche, Himmlische, Ungreifbare. Ich hoffe, dass die Musik, die ich mache, so einen Effekt haben kann. Wenn wir aber an die Diva denken, die eine Wassertemperatur von 22 Grad verlangt statt 18 Grad, das ist inzwischen langweilig geworden. Das Mondäne hat sich abgenutzt. Es gibt zu viele Partys. Eine nach der Premiere, eine mit den Sponsoren, hier eine Präsentation und dort ein Empfang...

Man hat’s irgendwann gehabt.

Garanca: Ja, da ändert sich wenig (lacht). Und wenn man sich für die Familie entschlossen hat, kann man sowieso nur für Momente Diva sein.

Sie sind mit Ihrer Familie nach Lettland gezogen. Könnte ein Musiker Ihres Formats dort arbeiten?

Garanca: Wenn man international unterwegs ist, hat man den Vergleich. In Lettland fehlt die gesunde Konkurrenz. Mein Berufsleben hat immer im Ausland stattgefunden.

Also leben Sie nur aus Familiensinn dort?

Garanca: Ja.

Und Ihre Töchter?

Garanca: Sind gerade bei Oma.

In Ihrer Familie wurde viel gesungen.

Garanca: Die Musik war immer da. Mein Großvater und seine Brüder waren Autodidakten, die haben sich Geige und Akkordeon beigebracht und hatten unglaublich schöne Stimmen. Sie konnten keine Noten lesen, aber sie haben alles nach Gehör gespielt.

Ein typisch lettische Biografie. Woher kommt die große Gesangstradition?

Garanca: Lettland hat um die zwei Millionen Volkslieder...

... das macht pro Nase eins ...

Garanca: ... und in der Sommerzeit haben wir viele weiße Nächte. Die Ernte oder die Heueinfuhr, alles wird gefeiert. Es singen einfach alle.

Auf Ihrer CD bringen Sie auch lettische Musik mit Chor. Was war die Motivation für diese Platte?

Garanca: Zum einen habe ich Chormusik im Blut wie jeder Lette. Zum anderen hat sich mein Leben ziemlich verändert, seit ich Kinder habe. Es geht um diese Ruhe, die ich im Alltag sehr oft verzweifelt suche. Ich glaube, das geht sehr vielen so.

Meditation ist ja ein sehr weiter Begriff…

Garanca: Mir geht es auch nicht um eine bestimmte Religion oder dass man morgens um neun in der Kirche oder Moschee sitzt. Man kann im Flugzeug oder in der Supermarktschlange meditieren.

Trotzdem haben Sie überwiegend christlich konnotierte Stücke ausgewählt.

Garanca: Ich bin Katholikin! In der klassischen Musik, wie wir sie kennen, geht es oft um Gott, selbst wenn es keine Bachkantaten sind, sondern Opern von Verdi oder Puccini. Das ist eben unser Kulturkreis.

Hat das Muttersein etwas mit Ihrer Spiritualität gemacht?

Garanca: Auch. Was die Kinder brauchen, ist doch eigentlich nur die Mutter oder der Vater. Dauernd jagen wir dem Wohlstand hinterher und vergessen dabei, wie wichtig es ist, einfach Zeit füreinander zu haben. Ich habe es jetzt ein paarmal erlebt, dass mir jemand sagte „Das mach ich in zwei Jahren“, aber dann konnte er es nicht mehr machen, weil er vorher gestorben war. Solche Erfahrungen beschäftigen mich in letzter Zeit.

Wie hat sich Ihre Stimme verändert durch zwei Schwangerschaften, Geburten, Stillzeiten?

Garanca: Die Stimme hat ein Volumen bekommen, das ich eindämmen muss wie einen Fluss nach dem Regen. Und die schlaflosen Nächte, das Stillen, die Extrakilos, das merke ich natürlich. So richtig habe ich meinen Körper noch nicht wieder gefunden.

Können Sie sich die Zeit dazu geben?

Garanca: Ich versuche es mir zu erkämpfen. Es ist schwer, wenn man so weit vorausplant. Die Projekte, die ich jetzt mache, habe ich zum Teil unterschrieben, als ich noch nicht mal mit dem ersten Kind schwanger war.

Planen Sie einen Repertoirewechsel?

Garanca: Ich bin auf der Suche. Das Alte kann man aber nicht einfach wegschneiden. Wie lange die Übergangsphase sein wird, weiß ich nicht. Ich bin kein Prophet. Ich versuche, parallel zu meinen Auftritten neue Partien zu studieren.

Was sind das für Rollen, die Sie hinter sich lassen?

Garanca: Die Mozart-Rollen, Cherubino aus dem „Figaro“, Dorabella aus „Così fan tutte“. Und Rossini sowieso.

Also gar kein „Cenerentola“-Geträller mehr?

Garanca: Überhaupt nicht. Auch Rosina aus dem „Barbiere di Siviglia“ interessiert mich als Figur nicht mehr.

In welche Richtung soll es gehen?

Garanca: Ich hoffe, dass ich das schaffe: Mich interessiert das schwere, dramatischere Repertoire. Santuzza aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“ oder von Verdi die Eboli aus „Don Carlos“. Didon aus „Les Troyens“ von Berlioz musste ich vor einiger Zeit in Berlin absagen, weil es einfach zu früh nach der Geburt war.

Wie gehen Sie mit den Erwartungen an einen Weltstar um, wenn Sie auf der Bühne stehen? Gewöhnt man sich an den Druck?

Garanca: Eher im Gegenteil. Ein durchschnittlicher Zuhörer hat meistens keine Ahnung, ob jetzt ein Ton gestützt ist oder ob die Phrasierung so oder so hätte sein müssen. Aber für mich ist das das A und O. Oft habe ich einen trockenen Mund einfach wegen der Tatsache, dass ich singen muss. Das wird immer stärker.

Ist das ein Problem für Sie?

Garanca: Ja. Ich habe das mal Plácido Domingo gefragt. Er hat gesagt, es wird mit den Jahren schlimmer, weil man mehr weiß. Man wird selbstkritischer. Vielleicht lernt man auch besser, damit zu leben.

Wie fühlt sich das Singen an, wenn der Mund trocken ist?

Garanca: Das fühlt sich an wie Sand. Der Motor läuft ohne Öl. Der Stimmklang hängt von der Dicke und der Feuchtigkeit der Schleimhautschichten ab. Je gesünder der Stimmapparat ist, desto klarer, brillanter, weicher kann man die Stimme ansetzen. Nur dass mit dem Älterwerden die Regeneration nachlässt, dazu kommen Stress und Aircondition und so weiter, die ganze Maschinerie.

Sind Sänger da sensibler als andere Menschen ?

Garanca: Sicher. Man weiß, wie das ist, und dann hat man Angst davor, und dann hat man Angst davor, dass man Angst haben könnte.

Achten Sie darauf, was Sie vor der Vorstellung trinken und essen und auf solche Dinge?

Garanca: Immer mehr. Wir Sänger machen ja kräftig bei dem internationalen Infektionszirkus mit. Wenn einer aus einer Produktion krank wird, wird meistens der ganze Cast krank. Also versuchen wir alle zu spülen und Pastillen zu lutschen, soviel es geht. Wir denken ständig darüber nach.

Ein anderes Vorbild von Ihnen, die Mezzosopranistin Christa Ludwig, soll einmal gesagt haben: „Man ist vielleicht an sieben Abenden im Jahr richtig toll bei Stimme – aber gerade dann hat man kein Konzert!“

Garanca: Genau, so ist es! (lacht)

Elina Garanca, Brno Philharmonic Orchestra, Karel Mark Chichon Do 23.10., 19.30, Laeiszhalle