Menschen aus den verschiedensten Kulturen leben häufig schon lange in der Hansestadt. In der Serie „Weltreise durch Hamburg“ stellt das Abendblatt einige der Kulturen vor. Teil 4: Türkei
Hamburg. Es schäumt, es dampft und es plätschert. In Tücher gewickelte Menschen werden mit Seifenschaum bedeckt, mit Wasser übergossen oder bekommen ein Körper-Peeling. Das alles geschieht in einer feuchtwarmen Atmosphäre, leise Musik ertönt im Hintergrund. Man könnte sich im Orient wähnen, wäre man nicht gerade erst von der Feldstraße hereingekommen. Der Hamam ist ein türkisches Bad, das seinen Gästen eine Mischung aus Sauberkeit, Entspannung und Wohlbefinden für Körper und Seele bietet. Es ist eine Oase der Ruhe im urbanen Gewimmel und bringt ein Stück türkischer Körperpflegekultur nach Hamburg.
Das Licht ist gedämpft, bekleidet mit Bikinislip oder Badehose und in ein Peştemal genanntes Tuch nimmt man im Badebereich Platz. Mit Kupferschalen wird Wasser aus einem Marmorwasserbecken geschöpft und über den Körper gegossen. Dann legt man sich auf das Göbektasi genannte beheizte Marmorpodest, um die Muskeln zu lockern. Den Ruheraum des Hamam tauchen orientalische Leuchter in ein angenehmes Licht, Samoware und Obstschalen stehen dort.
„Was da draußen passiert, ist viel zu hektisch. Man kommt hier auf ganz andere Gedanken“, sagt Selma Yöndem-Ekinci, die den Hamam seit elf Jahren betreibt. Die Mehrzahl der Gäste sind weiblich, etwa 80 Prozent der Gäste sind Deutsche. An manchen Tagen wird der Hamam von Männern und Frauen gemeinsam benutzt, manche Tage sind Frauen vorbehalten. Die Hamams – in Hamburg gibt es drei – gehen auf alte Traditionen zurück. Schon die Römer errichteten in Kleinasien Thermen. Das im Islam geforderte Reinlichkeitsgebot machte die Hamams auch zu bedeutenden sozialen Treffpunkten.
Die Inneneinrichtung des Hamams hat Yöndem-Ekinci selbst gestaltet, die Materialien aus der Türkei importiert. Erinnerungen an ihre Großeltern haben in ihr den Wunsch ausgelöst, einen Hamam zu betreiben. Ihr Opa hatte ein Haus an der Schwarzmeerküste, direkt an den Felsen gebaut. Es gab einen Innenhof mit viel Wasser. Wenn sie daran zurückdenkt, verbinden sich ihre Erinnerungen auch mit Gerüchen. „Seife aus Zitronenmelisse, mit der ich mich damals gewaschen habe, benutze ich auch heute. Düfte sind Erinnerungen.“
Der Sprung von dort in die Gegenwart liefert einige nüchterne Zahlen, die verdeutlichen, wie bedeutend die Gruppe der Menschen mit türkischen Wurzeln in Hamburg ist. Das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein hat ermittelt, dass von den 550.000 Menschen mit Migrationshintergrund in der Hansestadt – das entspricht 31 Prozent der Gesamtbevölkerung – Ende 2013 rund 17 Prozent aus der Türkei stammen. Das ist noch vor den Polen die größte Gruppe. Besonders viele von ihnen wohnen in Hamburg-Mitte, Wilhelmsburg und Altona.
Wenn es Schulferien gibt, machen sich regelmäßig Menschen auf den Weg in die Türkei, und zwar Türken und Deutsche. Früher reisten viele mit dem Auto. Das war eine ziemliche Ochsentour durch Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Serbien-Montenegro und Bulgarien. Heute nehmen viele lieber das Flugzeug. Gut drei Stunden beträgt die Flugdauer für die rund 2000 Kilometer in die Bosporus-Metropole Istanbul, die mit ihren mehr als 14 Millionen Einwohnern und ihrer Lage an der Grenze zwischen Europa und Asien und ihrer langen Geschichte eine Reise wirklich wert ist. Wer noch etwa 450 Kilometer drauflegt, kann in Antalya landen. Die Mittelmeerstadt an der Türkischen Riviera ist bei Touristen sehr beliebt.
Der rege Austausch zwischen beiden Ländern hat auch kulinarische Folgen. In der Hamburger Innenstadt findet man zahlreiche Restaurants, die sich auf die Küche des Landes spezialisiert haben. Darunter ist auch das Restaurant Meran in der Billstedter Hauptstraße 47 in Billstedt. Besonders gern bestellen die Gäste Meram Karişik Izgara Menüsü, sagt Aykut Inanir. Die gemischte Grillplatte besteht aus Hähnchen- und Lammkoteletts, Puten- und Hackfleischspieß, Kalbsmedaillons, dazu gibt es frische Champignons, Zwiebeln, gegrillte Tomate, Peperoni, Reis, gebackene Kartoffel und Salat.
Türkische Obst- und Gemüsehändler sind aus dem Straßenbild der Hansestadt nicht mehr wegzudenken, aber auch in der Kultur haben Künstler türkischer Herkunft ihre Spuren hinterlassen. Feridun Zaimoglu ist ja eigentlich Kieler. Aber als ihn eine Herzensangelegenheit vorübergehend nach Hamburg zog, hat er in seinem Buch „Zwölf Gramm Glück“ dem Schanzenviertel ein literarisches Denkmal gesetzt. In der Erzählung „Fünf klopfende Herzen, wenn die Liebe springt“ heißt es: „Hier in der Schanze gelten vielleicht andere Regeln als in der Hamburger Reststadt, jedenfalls glauben das die Zuzügler aus den Kleinstädten. Wenn man aber die Hauptstraße, die Lebensader zwischen der Julius- und der Eifflerstraße, abgeht, erkennt man die eindeutigen Zeichen der Yuppisierung, die jedem linkskulturellen Milieu blüht: Auf der rechten Straßenseite wechseln sich Fischrestaurants, portugiesische Stehcafés, Goldschmuckläden und Nostalgiemöbelmärkte ab. Die schicken Dreißiger trinken ihren Galão oder spanischen Rotwein und schauen hinüber auf die andere Straßenseite, auf der man die Wahl hat zwischen dem Kampf um den nächsten Schuss und dem Kleinkrieg gegen die bestehende falsche Ordnung. Vor dem Fixstern stehen die Junkies, in der Roten Flora wohnt das Technische Personal der Revolution, meine argwöhnischen, aufgeregten Freunde, die mir wegen meiner Verbürgerlichung Vorhaltungen machen.“
Mut machen will dagegen das Mut-Theater von Intendant Mahmut Canbay. Es geht zurück auf einen 1997 gegründeten Verein und hat jetzt einen eigenen Veranstaltungsort in der Amandastraße 58 gefunden. Man spielt dort eigene Inszenierungen und macht theaterpädagogische Projekte zu Themen wie Gewalt, Umwelt, Rassismus, Gender und Schuleschwänzen. Gespielt wird auf Kurdisch, Türkisch und Deutsch.
Einen besonderen Stellenwert in der Kulturszene der Stadt und weit darüber hinaus hat das Kino mit seinen Protagonisten. 1986 war der Film „40 m2 Deutschland“ als einer der ersten mit einer Migrantenthematik erfolgreich. Gedreht hatte ihn Tevfik Başer, Absolvent der Hochschule für Bildende Künste. Der in Hamburg spielende Film erzählt von einer jungen Frau aus einem türkischen Dorf, die ihr älterer Mann in die Wohnung einsperrt.
Eine Sonderstellung der Filmemacher in der Stadt nimmt Fatih Akin ein. Er arbeitet als Drehbuchautor, Produzent und Regisseur und hat mit seinen Filmen wie „The Cut“, „Soul Kitchen“, „Auf der anderen Seite“ und „Gegen die Wand“ viele nationale und internationale Preise gewinnen können. Dabei hat er sich in zahlreichen Genres versucht und die Hansestadt immer wieder in schönes Kinolicht gesetzt.
Ebenfalls in Hamburg gestartet sind die Regisseure Buket Alakus, Yüksel Yavuz und Ayse Polat, die zurzeit in Berlin ihr Glück versuchen. Noch relativ neu im Geschäft sind Schauspieler Fahri Yardim sowie die Regisseure Hüseyin Tabak und Özgür Yildirim, die aber die beeindruckende Phalanx in diesem Kulturbereich stärken. Yildirim hat sein Regiehandwerk bei Hark Bohm gelernt, als der noch die Filmstudierenden der Universität Hamburg ausbildete. Als Regisseur konnte Bohm 1988 selbst einen großen Erfolg landen mit einem Film, der von der Liebe eines Hamburger Jungen zu einem türkischstämmigen Mädchen erzählt. „Yasemin“ gewann den Deutschen Filmpreis.
Das Zusammenleben zwischen Türken und Hamburgern mit anderen nationalen Wurzeln gestaltet sich, von Ausnahmen abgesehen, weitgehend unproblematisch. Eine dieser Ausnahmen ist erst ein paar Tage her. Am vergangenen Mittwoch eskalierte eine zunächst friedlich verlaufene Demonstration gegen die Angriffe der Terrormiliz IS auf kurdische Städte in Syrien. In St. Georg warfen Demonstranten Flaschen und Steine, die Polizei stellte Messer, Schusswaffen, sogar eine Machete sicher. Unter den Festgenommenen waren Türken, Syrer und Deutsche.
Normalerweise verlaufen Begegnungen erfreulicherweise ganz anders. Dafür sorgt unter anderem auch die Türkische Gemeinde Hamburg und Umgebung (TGH). Der Verein ist Dachverband für 23 Vereine, in denen rund 2500 Menschen organisiert sind. Das Spektrum recht von Lehrerverein über Mütterinitiativen, Seniorentreffs bis hin zu den Hamburger Fans der Istanbuler Sportvereine Fenerbahçe und Beşiktaş. Hier werden Radfahrkurse für Migrantinnen angeboten, man hilft bei der Einbürgerung und informiert über Gesetzesänderungen. Gegründet wurde die TGH vor 27 Jahren nach der Ermordung des jungen Türken Ramazan Avcı durch Neonazis. Bis heute versteht sie sich als Begegnungsstätte vieler Kulturen, auch Deutsche sind im Vereinsgebäude in der Hospitalstraße 111 willkommen. „Bei uns ist immer Raum und Zeit für ein Gespräch oder einen Tee“, sagt Nebahat Güçlü, die ehemalige Bürgerschafts-Vizepräsidentin ist Erste Vorsitzende der TGH.