Ein Ghostwriter, drei Verteidiger und viele offene Fragen. Günther Jauchs Talk über Altkanzler Helmut Kohl war wortreich, aber eine entscheidende Frage blieb unbeantwortet.
Berlin/Hamburg. Altkanzler Helmut Kohl hat den Status einer bedrohten Art erreicht. Er zählt zu einer schwindenden Spezies donnernder, anpackender Politiker, die eine gewaltige Lebensleistung haben und nun wie Hunderttausende anderer im Land auf Hilfe angewiesen sind. Manchmal wünscht man sich den Kohl zurück, wie er war: aufbrausend, rechthaberisch, aber auch mit seinen feinen Tönen, die zeigen, wie vorsichtig, wie geschickt er zum Beispiel die deutsche Einheit herbeidiplomatisierte. Das überstrahlt heute zu Recht das Image des Provinzpolitikers. Wer 16 Jahre mit diesen Aufs und Abs das Land regierte, hat per se einmal im Jahr eine Talkshow am Sonntagabend im Ersten bei Günther Jauch verdient.
Doch an Kohl scheiterte selbst der Dauergewinner Jauch. Man könne nicht zusammenführen, was nicht zusammenpasse, gab Jauch am Ende zu. "Es ist misslungen."
Ein bitteres Fazit eines erbitterten Streits um einen verbitterten Mann. Kohl fühlt sich um sein Erbe betrogen, weil sein ehemaliger Ghostwriter Heribert Schwan ein Buch veröffentlichte, das Kohl nicht autorisiert hat. Die Kohl-Protokolle entzweien die Kohl-Jünger und die Enthüller, die alles auf den Tisch bringen wollen, was hinter der vielschichtigen Gestalt Kohl steckt.
Kohls Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner kennt Kohl seit Jahren. Wie wenige nur hat der Anwalt Einblick in die Persönlichkeit, aber eben auch in die juristische Gemengelage um das Gesamtwerk Kohl. Der Auftritt in der vergangenen Woche bei der Buchmesse in Frankfurt sei mutig gewesen, "wenn er so in die Öffentlichkeit geht, wie er ist". Er finde das toll. "Was soll er machen? Soll er ins Kloster gehen?"
Der Anwalt hat gerade erst mit ihm telefoniert. "Er ist an Themen interessiert, es ist anstrengend, ihm zuzuhören, ich war mit ihm befreundet, bevor er geheiratet hat, ich komme sehr gut mit ihm aus, wenn ich ihn besuche, besuche ich ihn alleine."
Und da schimmerte bereits durch, wer für die Missverständnisse um Kohl verantwortlich sein soll: Kohls zweite Frau Maike Kohl-Richter. Das sagte nicht sein Anwalt, wohl aber Ghostwriter Schwan. Er sagte zu dem Auftritt des Altkanzlers auf der Buchmesse:"Wenn ich die Bilder sehe, komme mir die Tränen. Wenn ich die Bilder sehe, wie er an die Öffentlichkeit gezerrt wird. Er ist eitel gewesen, das hätte er nicht gewollt."
Brigitte Seebacher-Brandt, Witwe von Willy Brandt, beklagte: Was Schwan getan habe, sei in keiner Weise in Ordnung. Applaus aus dem Publikum. Warum habe der "Spiegel" denn die Zitate von Kohl nicht autorisieren lassen? Der Journalist Nikolaus Blome sagte, im Fall Kohl sei das Magazin kein Partner, sondern enthülle etwas.
Blome stand bei seinem früheren Arbeitgeber lange im Schatten des Kohl-Freundes Kai Diekmann ("Bild"), nun muss er für den "Spiegel" eine neue Rolle annehmen. War der "Spiegel" Komplize eines Vertrauensbruchs? Die Zitate seien geprüft worden. In Teilen sei die Stimme Kohls auf den Kassetten gehört worden.
Schwan musste die Mitschnitte der Kohl-Interviews nach einem Gerichtsbeschluss herausgeben. Doch der Interviewer und Autor zog sich Kopien und veröffentlicht sie. Dagegen stellte Kohl seine Anwälte auf. Doch die konnten die Veröffentlichung in den vergangenen Tagen bislang nicht stoppen.Schwan hat nach eigenen Angaben zunächst auf alle Rechte verzichtet, angeblich stand im Ghostwritervertrag nichts über Vertraulichkeit. Eine Vertraulichkeitserklärung, so Schwan, hätte er nie unterzeichnet.
Anwalt Holthoff-Pförtner sagte, der juristische Streit sei noch nicht zu Ende. Da zog Autor Schwan einen Zettel aus der Tasche. Holthoff-Pförtner dürfe gar nicht in der Talkshow sitzen. Der Anwalt konterte kühl. "Ich finde es rührend, dass Sie sich um meine Anwaltzulassung kümmern." Und dann sagte er einen Satz, der haften bleibt: "Mit Ihnen verhandeln werde ich nie." Später sagte er: "Kohl ist eine Kampfmaschine."
Angeblich sollen Bänder mit einem Magneten gelöscht worden sein. Schwan behauptet: "Ich habe nichts gelöscht."
Es entwickelte sich eine Diskussion um die Gretchenfragen: Wer spricht für Kohl? Wer darf seine Geschichte, seine Gedanken deuten? Unbeantwortet: Was sagt Kohl heute selbst? Es geht unter anderem um die Einschätzung der friedlichen Revolution in der damaligen DDR. Ging es nur um "Bimbes", die Kohle, die Knete, die notwendig war, die marode DDR zu kaufen? Oder wurde in Bonn auch die Initiative der Bürger richtig gewürdigt, die gegen die Diktatur aufbegehrten?
Edmund Stoiber hatte als Nachfolger von Franz Josef Strauß ein gespaltenes Verhältnis zu Kohl. Als Alt-Landesvater eines ehemaligen Einparteienstaates (Bayern) sah er ihn neben sich auf Augenhöhe und nun natürlich mit mildem Blick. Und es gilt für Stoiber: An ein Denkmal pinkelt man nicht. Er sprang Kohl sofort bei. Kohl habe sich geöffnet. Schon der Anstand verbiete es, das so zu veröffentlichen. Dann schreit er: "Ich argumentiere moralisch. Sie machen das aus ökonomischen Gründen", warf Stoiber dem Autoren Schwan vor.
Schwan antwortete: "Ich habe acht Jahre meines Lebens geopfert. Stoiber tut so, als ob er dabei gewesen sei. So wichtig war er gar nicht. In den 630 Stunden Aufzeichnungen kommt er gar nicht vor."
Kohl habe ihm gesagt, das eine oder andere gehöre nicht in die Memoiren, das könne Schwan allein veröffentlichen.
Stoiber sagte, er selbst mache sich keine Gedanken über sein Vermächtnis. "Ich möchte noch ein bisschen leben." Irgendwann werde er seine privaten Unterlagen seinen engsten Mitarbeitern übergeben. Stoiber war kaum zu halten, Er faltete die Hände, brüllte und erinnerte an die emotionale Seite der Wiedervereinigung und bei Kohl, dem Denkmal. Kohl habe sich "in der Stunde der Einheit" mit Willy Brandt verständigt und an einem Strang gezogen - gegen die Mehrheit der Sozialdemokraten.
Und was sagt Helmut Kohl zu all dem? Er muss für sich sprechen lassen, seine Frau, seine Freunde, seinen Anwalt. Nach einem Sturz ist er gesundheitlich herausgefordert, kann nicht laut sprechen, nur langsam, schwer verständlich, aber die Weggefährten sagen: Sein Geist ist glockenklar, was in der Welt im Großen und in der Bundespolitik im Kleinen passiert, das wird in Ludwigshafen-Oggersheim genau registriert.
Doch für die Jauch-Diskussion bleibt er, was er in den vergangenen Jahren für Anhänger und Feinde blieb: anwesend, aber ein Phantom.
Holthoff-Pförtner sagte, Kohl und seine Frau wollten alle Akten, alle Dokumente unbedingt Historikern zur Verfügung stellen. Eine Stiftung werde sein politisches Erbe verwalten. Es gebe einen Kreis von Menschen, der sich darum kümmere, mehr dürfe er nicht sagen. Maike Kohl-Richter habe dem Anwalt noch am Sonntag gesagt, sie wolle die Akten nicht verwalten.
Dass Schwan seine Bänder ins Bundesarchiv geben wolle, sei ein Problem. Die kopierten Bänder könnten das Produkt einer Straftat seien. Das Bundesarchiv dürfe die womöglich gar nicht annehmen. Da winkte Schwan ab. Er hat angeblich 100.000 Bücher der Kohl-Protokolle in weniger als einer Woche verkauft. Der Ghost hat über das Phantom gesiegt. Bislang.