Alexandr Trusch, 25, ist Erster Solist beim Hamburg Ballett geworden. Er kommt aus keiner Tänzerfamilie und wurde als Kind nicht mit ins Theater genommen. Jetzt tanzt er in „Giselle“ mit Alina Cojocaru.
Hamburg. Manchmal kommt es vor, dass überragendes Talent geradezu vom Himmel fällt. Der Ukrainer Alexandr Trusch aber hat den Tanz nicht in den Genen. Er kommt aus keiner Tänzer- oder Künstlerfamilie, er wurde als Kind nicht mit ins Theater genommen, und hat auch nicht besonders früh an seiner Karriere gebastelt. Trotzdem hat er jetzt mit seiner Ernennung zum Ersten Solisten beim Hamburg Ballett im Olymp des internationalen Tanzes Platz genommen.
Nun probt er den ganzen Tag mit der Compagnie seine Rolle als Herzog Albrecht in dem großen klassischen Ballett „Giselle“, das am kommenden Sonntag nach elf Jahren Pause an der Staatsoper seine Wiederaufnahme erlebt. „Jedes klassische Ballett gibt einem Tänzer ein bisschen mehr Selbstsicherheit“, sagt Alexandr Trusch, 25. Zu seinen wichtigen Rollen gehören Romeo, Nijinsky, der verlorene Sohn, Joseph, der Lensky in John Neumeiers jüngster Kreation „Tatjana“ und weitere. Im Tanz sehr gut zentriert, wirken seine Sprünge, Drehungen und Bewegungen perfekt ökonomisch, sie haben nichts Überflüssiges, aber durchdacht ausformulierte Nuancen, die ihn mit seinem leuchtenden Jungengesicht zu einem besonderen Tänzer werden ließen. Auf der Bühne wirkt Trusch kräftig und männlich, aber im Interview hat er fast etwas Zartes.
Geboren ist er in der Ukraine in der Stadt Dnipropetrowsk. Sein Vater ist Elektro-Ingenieur, seine Mutter Englisch-Lehrerin. Zu Hause war eher Technik das große Thema, und für Technik hat Alexandr Trusch sein Faible bis heute behalten. Dennoch wurde ihm etwas anderes wichtiger. Als seine Halbschwester heiratete, war er neun Jahre alt: „Ich habe die ganze Zeit getanzt, es hat mir solchen Spaß gemacht!“ Das beobachtete der Vater und schlug ihm vor, doch in eine Schule für Volkstanz zu gehen. „Dort wurde ich gleich genommen.“ Er habe als Kind überhaupt keine Vorstellung davon gehabt, was ein Balletttänzer eigentlich tue. „Aber mein Folklore-Lehrer hatte eine fantastische Ausstrahlung. Er war unser Idol und kannte viele Tricks. Der hat mich inspiriert.“ Später waren es dann Michail Baryschnikow und Rudolf Nurejew. Am allerwichtigsten seien aber seine Kollegen vom Hamburg Ballett gewesen, von denen er so immens viel gelernt habe.
Als Alexandr Trusch zwölf Jahre alt war, gingen seine Eltern mit ihm und seinem kleinen Bruder nach Deutschland, weil sie ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten wollten. Da war erst mal Schluss mit Volkstanz. Ein Versuch, das in Hamburg fortzusetzen, misslang, und „ich dachte erst mal, mir fehlt nichts. Aber dann merkte ich, wie sehr ich das Tanzen vermisste!“ Also tanzte er im Ballettzentrum von John Neumeier vor und wurde prompt genommen. Er war dann keiner von denen, die sich schweigend eingliedern und reibungslos funktionieren. Im Gegenteil. Nach zwei Jahren wollte er aufhören, „das war mir einfach zu langweilig dort“. Dann machte er doch weiter, was an seinen Lehrern lag, die ihn immer wieder ermutigten. „Ich war zielstrebig, habe viel gekämpft und viel gestritten. Ich hatte damals Probleme mit dem System, das uns Schülern viel Eigenverantwortung gab“. Und dann spricht er über den großen Anteil dessen, was nicht vom Himmel fällt, sondern sehr hart erarbeitet werden muss: Wenn die anderen nach Hause gegangen waren, übte Trusch weiter, ganz allein, als Letzter im Ballettzentrum, bis auf den Pförtner, der seinetwegen Überstunden machen musste. Zur Strafe musste er alle Ballettstangen säubern. „Aber später machte unsere Schuldirektorin Marianne Kruuse das wieder gut. Sie verschaffte mir sogar ein Stipendium plus Taschengeld.“
In einer Gruppe mit den vielen Mädchen hat er sich einfach „glücklich gefühlt. Ich hatte irgendwann mein Ziel vor Augen, in dieser Compagnie zu tanzen. Und ich lernte ja in einer Zeit, als ich umgeben war von so fantastischen Tänzern wie Jiri und Otto Bubenicek, Alexandre Riabko, Ivan Urban, Lloyd Riggins – es hat mich fasziniert, wie die so eine Qualität entwickeln konnten.“ Technik ist die Basis, Technik öffnet die Tür zu allem anderen, weiß Alexandr Trusch, der ja immer noch mit Leidenschaft zu Hause an seinem Mini Cooper herumbastelt oder seinem Bruder lauscht, der als Luft- und Raumfahrttechniker arbeitet. In den Ferien, da hat er zwei Wochen lang an seinem Auto geschweißt und geflext mit dem Plan, bald einen Rallye-Motor einzubauen. Das habe ihm die nötige Distanz verschafft, wodurch er jetzt die Dinge wieder klarer und entspannter sehe.
Technik sei im Tanz entscheidend: „Ich hasse es, Sachen zu machen, die ich technisch nicht kann. Die Technik muss so einfach werden, dass sie mir keine Sorgen mehr bereitet. Dann kommen Flüssigkeit und Koordination hinzu.“ Dennoch weiß auch er, wie wichtig Kleinigkeiten sind. Wie man den Kopf hebt, den Arm ausstreckt, eine Rose überreicht. Als Tänzer versucht er, so zu tanzen, dass jede Bewegung einen Sinn hat.
An seinem Meister John Neumeier mag er die künstlerische Toleranz und das theatralische Verstehen: „John Neumeier ist nicht böse, wenn man einen anderen Geschmack hat, eine Rolle also anders interpretiert. Ich habe da viel Freiheit. Das weiß ich zu schätzen.“
Romantikern nimmt Trusch gern die rosa Brille ab: Wer ihn in Vorbereitung seiner Rolle irgendwelche Romane wälzen sieht, der irrt. „Wir tanzen sehr knappe Zusammenfassungen. Die müssen verständlich sein und trotzdem noch gefühlvoll. Was in den Büchern steht, ist doch viel komplexer. Das zu kondensieren, ist die Kunst.“
Wiederaufnahme „Giselle“ an der Staatsoper am 21.9. um 18.00 Uhr. Aufführungen: 26. /27.9. am 12., 14. , 15., 17., 20. und 21.5. und 10.7. 2015