Beim Harbour-Front-Festival liest Sascha Arango aus seinem Roman „Die Wahrheit und andere Lügen“, dessen Protagonist es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und seine Frau mit der Geliebten betrügt.

Hamburg. Sascha Arango zählt zu den bekanntesten deutschen Drehbuchautoren. Aus seiner Tastatur stammen Borowski-„Tatorte“, er schrieb auch für die Sat.1-Serie „Blond: Eva Blond!“. Die Hamburger Regisseurin Hermine Huntgeburth inszenierte seine Adaptionen von „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ fürs Kino. Anfang des Jahres hat der zweifache Grimme-Preisträger einen Roman veröffentlicht. In „Die Wahrheit und andere Lügen“ erzählt er von Henry, einem Schriftsteller, dessen Geliebte von ihm schwanger wird. Er will es seiner Frau beichten, aber es kommt anders. Der Protagonist ist ein vielschichtiger Charakter, der es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nimmt. Am Sonnabend liest er daraus beim Harbour-Front-Festival.

Hamburger Abendblatt: Woran schreiben Sie gerade?
Sascha Arango: An einem Kapitel über einen Mann, der keine Lust zum Angeln hat, aber aus Langeweile Regenwurm-Weißbrot-Pasteten backt, um einen Köder zu improvisieren. Mein Hund frisst sie gerade.

Zu welcher Geschichte gehört das?
Arango: Zu meinem zweiten Roman um Henry Hayden.

Er lässt Sie nicht los?
Arango: Die Resonanz aus dem Ausland ist so positiv ausgefallen, dass ich lieber mit ihm weitermache.

Sie haben die Filmrechte und die Buchrechte für jeweils sechsstellige Beträge in die USA verkaufen können. Da können wir ja froh sein, dass das Festival sich Sie noch leisten kann.
Arango: Da bin ich ganz anders. Was mir Spaß macht, mache ich auch. Da bin ich der totale Hedonist. Das öffentliche Lesen ist für mich auch eine neue Erfahrung. Für die Summen, die für die US-Rechte gezahlt werden, habe ich keine Erklärung.

Sonst haben Sie zum Publikum eher eine Fernbeziehung. Warum jetzt ein Roman?
Arango: Ich kam bisher einfach nicht dazu. Drehbücher machen Spaß und werden gut bezahlt. Dann kam ein Angebot von Random House, dem ich nicht mehr widerstehen konnte. Und Feigheit türmt sich zu Bergen auf, wenn man nur lange genug wartet. Man möchte mit 50 auch nicht den großen Misserfolg produzieren, wenn man sich als Autor einigermaßen etabliert hat. Ich musste meinen inneren Feigling therapieren, aber das hat mir meine Freundin abgenommen.

Wie passt das alles zur Drehbuchtätigkeit in Deutschland, zum Beispiel zum Kieler „Tatort“
Arango: Es ist eine Zeitfrage. Ich beginne jetzt mit der Arbeit an „Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“.

Sie haben auch zwei Romane von Mark Twain für das Kino adaptiert. Aber in Ihrem eigenen Roman heißt es: „Meine Helga sagt, Literatur kann man nicht verfilmen, ich sage: Man darf sie gar nicht verfilmen.“ Wie passt das zusammen?
Arango: Was kann ich dafür, wenn meine Figuren nicht meiner Meinung sind?

Für einen Drehbuchautor sind Sie relativ bekannt. Eigentlich ist das ein Kunststück in einer Branche, die sich über mangelnde Aufmerksamkeit beschwert.
Arango: Es ist ein seltsam verkannter Beruf. Aber die Autoren haben ihn sich selbst gewählt. Wer berühmt werden will, soll Fußball spielen.

Sind Drehbücher Literatur?
Arango: Eher eine erweiterte Gebrauchsanweisung, ein Anstoß zu einer gemeinsamen Arbeit. Wenn man mit guten Regisseuren zusammenarbeitet, hören Streitereien auf wie: Du hast mein Drehbuch nicht verfilmt. Es ist schöner, wenn man eine gemeinsame Euphorie erreicht. Was ich nicht mehr richtig finde, ist, wenn es heißt, „ein Film von ...“.

TV-Maßstab aller Dinge sind momentan US-Serien, auch die Dänen halten sich wacker. Was fehlt in Deutschland, um da mithalten zu können?
Arango: Amerikaner machen nicht nur Spitzenprodukte. Man kann bei Serien viel lernen, wenn man den Autoren mehr Verantwortung übergibt. Man braucht Mut zur Dauer. „Verbrechen“ von Dominik Graf weist in die richtige Richtung. Das Publikumsinteresse ist dafür der falsche Maßstab. Die US-Superserien sehen teilweise ja auch nur 0,8 Prozent der Bevölkerung.

Ist das ein Plädoyer gegen die Quote?
Arango: Die Idee hat sich hier leider sehr verfestigt. Die Quote ist der Maßstab aller Dinge, und das ist nicht gut. Ich schlage vor, man sollte sie ersatzlos streichen und mal sehen, was passiert.

Sascha Arango liest, Moderation: Max Moor Sa 20.00, Kühne Logistics University, Großer Grasbrook 15-17, Eintritt 14,-