Heute feiert die Hamburger Medienbranche auf dem Süllberg die „Nacht der Medien“ – da kommt die Ansiedlung des Kurznachrichtendienstes gerade recht
Hamburg. Diskussionsstoff gibt es in diesen Tagen fraglos reichlich in der Hamburger Medienszene: Der „Stern“ wechselt den Chefredakteur, der herausgebende Verlag Gruner+Jahr plant umfangreiche Stellenstreichungen, beim „Spiegel“ wird über Personal und Richtung gestritten. Doch es gibt auch rundheraus positive Nachrichten: So wurde am Donnerstag endgültig bestätigt, dass der Internet-Kurznachrichtendienst Twitter ein Büro in der Hafencity eröffnet. Die Begründung von Deutschland-Chef Thomas de Buhr klingt wie eine Lobeshymne: „In Hamburg finden wir große Medienhäuser, große Unternehmenskunden, wichtige Kreativagenturen, starke Online-Player und vielversprechende Start-ups vor.“ Diese Nähe will Twitter künftig nutzen, um seine digitalen Werbeflächen zu verkaufen. Werbung ist die wichtigste Einnahmequelle des Online-Netzwerks, über das Nutzer knappe Texte von höchstens 140 Zeichen Länge verschicken können. Auch viele Prominente verbreiten so Fotos, Berichte und Kommentare zu aktuellen Ereignissen. Am Standort Berlin sitzt weiterhin das „Partnership-Team“ von Twitter, das Kooperationspartner in den Medien, im Sport, bei Musik-Labels sowie berühmte individuelle Twitter-Nutzer betreut. Außerdem halten Twitter-Manager Rowan Barnett und seine Mannschaft im Berliner Start-up-Zentrum „Factory“ den Kontakt zur Politik.
Über die vielen aktuellen Entwicklungen wird heute Abend sicher auch bei der zehnten Auflage der „Nacht der Medien“ diskutiert, bei der sich auf dem Süllberg die Top-Entscheider der Branche auf Einladung des Hamburger Presseclubs zu Talk und Party treffen. Vorab sprachen Mitglieder des Vorstands des Hamburger Presseclubs im Rathaus mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der die Medienpolitik direkt mit seinem Amtsantritt als Chefsache ins Rathaus geholt hatte, über die Situation der Branche.
Wir treffen uns hier am – zumindest für Journalisten – frühen Morgen bei Ihnen im Rathaus. Welche Medien haben Sie bis hierhin schon genutzt?
Olaf Scholz:
Ich bin ein klassischer Mediennutzer und informiere mich jeden Morgen durch die Lektüre verschiedener Zeitungen. Viele davon lese ich vollständig. Die besondere Qualität von Zeitungen ist für mich, dass ich immer wieder auf Nachrichten und Geschichten stoße, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass sie mich interessieren würden. Mindestens einmal im Tagesverlauf verfolge ich auch die Nachrichtensendungen im Radio und Fernsehen, die „Tagesschau“ auch gern zeitversetzt im Internet.
Sie checken demnach nicht morgens zuerst Newsseiten im Internet oder lesen gar Blogs?
Scholz:
Ich suche nicht im Internet nach Meinungen oder Nachrichten, lese aber Zeitungen auch als E-Paper, wenn es praktischer für mich ist. Zuletzt etwa im Urlaub in den USA.
Sie orientieren sich also sehr nach politischen Nachrichten. Was ist mit den Unterhaltungsangeboten? Haben Sie schon den ehemaligen Innensenator Ronald Schill im Big-Brother-Container gesehen?
Scholz:
Ich gebe zu: Ich war neugierig und habe mal reingeguckt. Politik ist das jedenfalls nicht.
In vielen Medienhäusern, auch in einigen in Hamburg, herrscht gerade große Unruhe. Strategien werden kontrovers diskutiert, Führungspersonal wird ausgetauscht oder steht stark unter Druck. Können Sie das verstehen?
Scholz:
Ich kann zu punktuellen Debatten in den Häusern nichts sagen. Aus der Distanz betrachtet, sollte man sich aber auch nicht wundern. Es geht um schwierige, kontrovers diskutierte Fragen, die alle betreffen: Wie kann erreicht werden, dass Zeitschriften und Bücher, die mit dem Papierdruck entstanden und groß geworden sind, eine Zukunft in der digitalen Welt haben? Es hätte ja niemand ein Problem damit, wenn die Artikel wichtiger Redaktionen in Zukunft vor allem im Internet gelesen werden und wenn diese journalistischen Angebote durch entsprechende Einnahmen finanziert werden könnten. Dieser Prozess ist aber derzeit von vielen Unsicherheiten geprägt, die sich in einigen Verlagen deutlich auch nach außen zeigen. Der Nutzer etwa wird mit sehr vielen unterschiedlichen Preis- und Abomodellen konfrontiert. Schon daran sieht man, dass es bisher keinen eindeutigen Weg gibt, der klar in die Zukunft der Branche führt. Dann darf es aber auch niemanden wundern, wenn Einzelne nervös sind. Und natürlich erleben angesichts dieses digitalen Wandels einzelne Häuser auch tatsächlich schmerzliche Veränderungen. Es kommt darauf an, dass sie sozial verträglich gestaltet werden und Räume öffnen für eine erfolgreiche Zukunft.
Die Politik kann in diesen Fragen ja vordergründig wenig machen, aber eines doch: Regulierungen schaffen, etwa durch einen neuen Medienstaatsvertrag, der dafür sorgt, dass die sehr unterschiedlichen Medienanbieter die gleiche Basis für ihr Handeln erhalten. Sie haben das im Gespräch mit den anderen Bundesländern vor einiger Zeit angestoßen. Wie weit sind Sie in der Ausarbeitung?
Scholz:
Wir sind erstaunlich weit. Es gibt ja eine Menge an Vorschriften, Verträgen und Regulierungen auf Landes- und Bundesebene, aber diese bilden nicht ab, dass die Medien sich immer mehr technisch und inhaltlich verbinden und verschränken, Stichwort Medienkonvergenz. Die bestehenden Regeln sind zu sehr allein auf eine Gattung oder eine Branche bezogen, aber die Wirklichkeit sieht längst anders aus. Wir brauchen also eine der Konvergenz angemessene Medienordnung. In diesem Prozess müssen aber sehr viele verschiedene Beteiligte eingebunden werden, zumal die Entwicklung ja schnell voranschreitet und wir aufpassen müssen, dass ein neuer Vertrag nicht schnell wieder veraltet. Hamburg leitet eine Arbeitsgruppe der Länder, in der wir zu einem gemeinsamen Verständnis kommen wollen.
Was macht aus Ihrer Sicht darüber hinaus gute Medienpolitik aus? Die Unternehmen haben ja sehr unterschiedliche Interessen und sind sehr unterschiedlich groß.
Scholz:
Sie darf nicht losgelöst sein von der alltäglichen Situation in den Unternehmen. In Hamburg sind alle Medien in einer relevanten Größenordnung versammelt, das macht den Standort aus, und das macht ihn auch für weitere Ansiedlungen so attraktiv, wie gerade bei Twitter. Darum haben wir uns intensiv gekümmert, aber nicht zwangsläufig müssen die Gründe dafür immer im politischen Umfeld liegen, es sind ja vor allem unternehmerische Entscheidungen. Wir hier im Rathaus und den Behörden müssen gewährleisten, dass wir ein Verständnis haben für die wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Medien von den Zeitungen bis zur Games-Branche. Und es muss immer klar sein, dass wir hier in Hamburg diese Unternehmen fördern und bei uns haben wollen.
Apropos Twitter: Was hat das Unternehmen aus Ihrer Sicht dazu bewogen, ein Büro in Hamburg zu eröffnen?
Scholz:
Das ist jedenfalls eine gute Nachricht. In der Medienbranche gibt es derzeit, wie ja eben besprochen, viel Bewegung. Twitter hat sich für ein Büro in Hamburg entschieden, wo andere große Plattformen wie Facebook, Google, Xing oder Jimdo schon Teil einer vitalen Digital-Szene sind. Das zeigt auch, dass die Verantwortlichen Hamburg für einen Ort halten, an dem man diese Bewegung in wirtschaftlichen Erfolg umsetzen kann. Über diese Einschätzung freuen wir uns natürlich sehr.
Für politische Themen wird es in der heutigen Medienwelt zunehmend schwieriger, ausreichend Sendeplätze oder Titelseiten zu bekommen. Wie wird aus Ihrer Sicht der politische Diskurs, der ja maßgeblich ist für das Gelingen einer Demokratie, künftig stattfinden?
Scholz:
Es ist für die Demokratie tatsächlich unabdingbar, dass es in den Medien Plätze gibt, die nicht verkauft oder gesponsert sind und die dazu dienen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger eine Meinung bilden können. Das wird offenbar komplizierter, auch durch die neue Breite der Medienlandschaft. Die Mediennutzer haben jede Chance, die politischen Themen zu umgehen. Das war früher schwerer möglich. Die klassischen Medien müssen meiner Meinung nach zwei Versprechen für ihre Nutzer abgeben, wenn sie Erfolg mit Politik-Themen haben wollen: Nur gut und vollständig recherchierte Artikel und Nachrichten dürfen auf den Markt. Das ist eine Ware, die nicht überall zu bekommen ist. Das andere Versprechen ist: Nicht nur die äußeren Umstände eines Vorgangs werden beschrieben, sondern vor allem der Vorgang selbst. Wir müssen an die Substanz ran, das gilt auch für Politiker, die sich seriös mit Sachthemen auseinandersetzen sollten. Sonst entwerten sich Politik und Medien gleichermaßen, wenn nur auf Stimmungen und Äußerlichkeiten geachtet wird.
Heute Abend trifft sich die Hamburger Medienszene zum zehnten Mal zur „Nacht der Medien“. Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt etwas zu feiern?
Scholz:
Ja klar! Hamburg ist in der Bandbreite der Branche der bedeutendste Medienstandort Deutschlands. Und das, was hier in Hamburg in den Medien entsteht und produziert wird, ist richtig gut. Mit Blick auf den Standort als Ganzes kann man ohne falschen Stolz sagen: Das ist schon etwas Besonderes, und das gibt uns die Kraft, die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen.