PEN-Generalsekretärin Regula Venske fordert in einem offenen Brief „eine lebendige und ehrliche Buchkultur“. Hintergrund sind die Streiterein zwischen Verlagen und dem Online-Händler.

Hamburg. Der Protest der Schriftsteller gegen den Onlinehändler hat mittlerweile auch Deutschland erreicht, jetzt ist der angekündigte offene Brief an Amazon-Gründer Jeff Bezos und Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber öffentlich: Dort fordern 555 deutschsprachige Autoren „eine lebendige, ehrliche Buchkultur“ und „einen fairen Buchmarkt“. Sie werfen dem Internet-Kaufhaus vor, in seinen Preis-Auseinandersetzungen mit den Verlagen vor allem in Amerika die Autorinnen und Autoren „in Beugehaft“ zu nehmen. Abrufbar ist der Brief unter www.fairer-buchmarkt.de.

Hintergrund der Vorwürfe ist der Streit zwischen Amazon und den Verlagen Hachette und Bonnier um die Konditionen, unter denen E-Books verkauft werden. Als Druckmittel benutzt Amazon unter anderem die Funktion der Vorbestellung, die bei Büchern der genannten Verlage abgeschaltet wurde. Außerdem verzögert es die Auslieferung.

Zur Bonnier-Gruppe gehören auch Aladin, arsEdition, Berlin Verlag, Carlsen, Hörbuch Hamburg, Piper, Thienemann-Esslinger und Ullstein. Zuletzt protestierten in Amerika mehr als 900 Autoren in einem offenen Brief, der in der „New York Times“ abgedruckt wurde, gegen Amazons Methoden, seine Vertragsbedingungen durchzusetzen. „Wir haben uns dem Engagement der amerikanischen Autoren angeschlossen“, sagt die Hamburger Schriftstellerin Regula Venske. Sie ist seit 2013 Generalsekretärin des PEN-Zentrums Deutschland. Unter anderem Elfriede Jelinek, Nele Neuhaus, F. C. Delius, Sten Nadolny, Ferdinand von Schirach und Eva Menasse haben den Brief an Bezos unterschrieben.

„Der Protest ist Genre-übergreifend und verbindet Autoren aus allen Bereichen“, sagt Venske, die erklärt, dass sich nicht alle Autoren, die unter anderem vom PEN-Zentrum angefragt wurden, beteiligen wollten. Manche hätten Angst, dass eine Unterschrift ihnen schaden könne, andere verwiesen darauf, dass, wer Amazon angreife, doch auch andere Internetversandhändler wie Libri oder Buchhandelsketten wie Thalia kritisieren müsse, die ebenfalls Verlage unter Druck setzten. Konkret protestieren die Autoren in ihrem Schreiben gegen die angebliche Praxis von Amazon, Empfehlungslisten zu manipulieren. „In den ‚Kunden haben auch gekauft / sich angesehen‘-Listen fehlen die Bonnier-Autoren und Autorinnen. Gerade diese Listen wirken als Empfehlungen, manche bisher unbekannte Autorin, mancher Autor ist dadurch bekannt geworden. Obendrein hatten Amazon-Kunden bisher den Eindruck, dass diese Listen nicht manipuliert würden und sie sich auf Amazon verlassen konnten“, heißt es in dem Schreiben der Autoren.

Deutlich soll werden, dass niemand der Autoren Amazon verteufeln will, im Gegenteil verweisen diese auf die lange Verbindung mit dem seit 1994 bestehenden Unternehmen: „Viele Autoren und Autorinnen haben Amazon unterstützt, als es eine kleine Startup-Firma mit neuen Ideen war. Auch unsere Bücher haben Amazon geholfen, eines der größten Unternehmen der Welt zu werden. Wir haben Amazon Millionen in die Kassen gewirtschaftet, viele haben mit Amazon kooperiert und tun das noch heute. Viele von uns haben ihre Backlist bei Amazon, haben Rezensionen und Beiträge geschrieben.“

Trotzdem haben nicht wenige Autoren Furcht vor der Marktmacht Amazons. Es sei zu erwarten, dass sich Amazon nach Bonnier – und dem Medien- und Filmkonzern Disney – die nächste Verlagsgruppe vornehmen werde, später dann im Preiskampf erst auf kleine Verlage und letztlich auf die selbstpublizierenden Indie-Autoren und -Autorinnen Druck ausüben werde.

Es sei aber keineswegs so, dass man sich in der Literaturbranche gesellschaftlichen Entwicklungen entziehen wolle, sagt Venske: „Die Menschen kaufen heute online ein.“ Dennoch wolle man, dass Amazon die Geschäftspraktiken ändere – und außerdem Politik und Öffentlichkeit sensibilisieren. Die Politik müsse, so Venske, dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen im Buchhandel erhalten bleiben – Stichwort: Buchpreisbindung.

Und die Konsumenten müssten sich ihrer Macht bewusst werden. „Sie müssen sich fragen, was es für Städte, aber auch kleinere Orte bedeuten würde, wenn es dort keine Buchhandlungen mehr gäbe.“

Es sind bewegte Zeiten derzeit in der Branche, in der man in vielerlei Hinsicht gespannt nach Amerika blickt. Amazon deckt dort einen weit größeren Teil des Geschäfts ab als hierzulande und erprobt gerade das Modell einer Buch-Flatrate. Mehrere 100.000 Titel sind dort gegen einen Festpreis abrufbar, und auch wenn die Bücher der größten Verlage dort (noch) nicht dazu gehören: Sollte sich die Geschäftsstrategie durchsetzen, stünde der Verlagsbranche ein ähnlicher Strukturwandel wie der Musikbranche bevor.