Anna Netrebko sorgt für Jubelstürme in Alvis Hermanis’ „Il Trovatore“-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen
Salzburg. Seltsam eigentlich, dass eine so beliebte Oper wie Verdis „Il Trovatore“ soviel Häme abkriegt. Sie solle nur die Sängerleistungen ausstellen, die Handlung sei unglaubhaft, die Figuren holzschnittartig und so fort. Auch wenn sich die Musikwissenschaft viel Mühe gegeben hat, den Gegenbeweis anzutreten: Etwas Wahres ist schon dran. Tragische Verwechslungen, hanebüchene Zufälle und eine Frau, die bis zur völligen Selbstaufopferung liebt – das Libretto von Salvadore Cammarano und Leone Emanuele Bardare ist eben aus typischen Verdi-Zutaten angemischt.
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis erzählt das Stück gut verständlich. Doch nach dem überwältigenden Erfolg bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus muss man sagen: Das hätte es womöglich gar nicht gebraucht. Denn für den großen Jubel sorgt Anna Netrebko als Leonora fast allein. Netrebkos Timbre ist deutlich dunkler und schwerer geworden, es geht fast schon Richtung Mezzo. Mit diesem Rolls-Royce von Stimme bewältigt Netrebko jedes Terrain. Die Töne schwingen wie Glocken, die Koloraturen sitzen, die Decrescendi leuchten.
Sie ist sich auch nicht zu schade, erst einmal mit dicker Brille und Strümpfen als Wärterin an der Seite zu sitzen. Hermanis hat die Handlung – er ist mal wieder sein eigener Bühnenbildner – nämlich in ein Museum verlegt. Das funktioniert anfangs prima: Riccardo Zanellato als Ferrando erzählt die Geschichte von der Zigeunerin, die einst den Bruder des Grafen Luna verbrannt haben soll, nicht seinen Mitsoldaten, sondern er erläutert einer Touristengruppe alias Wiener Staatsopernchor ein Bild. Und steigert sich so in seine Erinnerungen, dass die Gruppe schließlich entsetzt flieht.
Natürlich lassen sich zu all den alten Meistern wunderbare Querbezüge herstellen. Nach und nach ziehen die Sänger die zeitlich passenden Renaissancekleider an, die Eva Dessecker entworfen hat; sie verschwinden immer weiter in den gemalten Welten. Als Farbe dominiert allseits Rot. Rot wie die Flammen, in die die Zigeunerin Azucena einst ihr eigenes Kind warf, das sie für den Sohn des verhassten alten Grafen hielt. Weshalb Manrico, die Titelfigur, mit Schmelz und berückendem Ausdrucksspektrum gesungen von dem Tenor Francesco Meli, in Wahrheit nicht Azucenas Sohn ist, sondern der Bruder seines Widersachers in Sachen Leonora. Und weshalb Azucena von ihren Erinnerungen unbarmherzig verfolgt wird. Marie-Nicole Lemieux hat den leichtem Drall zum Wahnsinn schon in der Stimme; ihr Vibrato überschlägt sich beinahe. So farbig sie gestaltet, vom Volumen her bleibt sie hinter Netrebko zurück.
Das gilt auch für Plácido Domingo als Luna. Jawohl, der jahrzehntelang weltbeste Tenor übernimmt neuerdings Baritonrollen. Aber seinem Timbre fehlt das Untergeschoss, und gerade zu Beginn klingt die Stimme zu wenig fokussiert. Szenenapplaus bekommt er trotzdem. Domingo sprüht vor Präsenz, bei ihm stimmt jede Phrasierung. Mit der Intensität seines Spiels rettet er den vierten Akt. Da ist Regisseur Alvis Hermanis nämlich leider nicht mehr viel eingefallen.
Aufregend ist der Abend auch so. Daniele Gatti und die Wiener Philharmoniker veredeln das viele Schrumm-Schrumm der Partitur zu einem geradezu unverschämt süffigen italienischen Klangbild. Agogisch biegsam und mit spannungsgeladenen Pianissimi eskortieren die Musiker die Sänger bis zum blutigen Schluss.
Eins zu null für die Musik. Aber das ist bei Verdi ja nichts Neues.