Das Drama „The Forbidden Zone“ von Duncan Macmillan und Katie Mitchell wurde bei den Salzburger Festspielen gefeiert. Erzählt wird von einem grausigen Zufall der Weltgeschichte.

Salzburg. Es ist einer dieser grausamen Zufälle, die Weltgeschichte immer wieder produziert und die sich kein noch so zynischer Dramatiker für sein nächstes Theaterstück am Schreibtisch ausdenken könnte. Die Forschungen des Chemikers Fritz Haber, eines deutschen Juden und glühenden Patrioten, ermöglichten den Einsatz von Giftgas auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs.

Haber beobachtete den Chlorgas-Einsatz bei Ypern im April 1915 und wurde anschließend zum Hauptmann der Reserve befördert. Später erhielt er den Chemie-Nobelpreis für die Ammoniak-Synthese zur Herstellung von lebenserhaltenden Düngemitteln und tödlichem Sprengstoff – und lieferte, obwohl er nach der Machtergreifung der Nazis nach Cambridge emigrierte, mit seiner Arbeit an Schädlingsbekämpfungsmitteln anderen Wissenschaftlern wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung des KZ-Gases Zyklon B. Seine Frau, die Chemikerin Clara Immerwahr, erschoss sich aus Protest gegen die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen am Tag nach der Ypern-Siegesfeier mit der Dienstwaffe ihres Mannes im Garten der Berliner Familienvilla.

Das alles sollte man tunlichst schon gewusst haben, bevor es auf der Perner-Insel, der kampnagelverwandten Off-Theater-Spielstätte der Salzburger Festspiele, dunkel wird im Saal, bevor ein komplex verästeltes Trauerspiel über eine sepiafarbene Leinwand flimmert, die mit ihrer Patina wie ein vergilbtes Fotoalbum wirkt. Denn in Katie Mitchells „The Forbidden Zone“, einer 70-Minuten-Collage aus Texten und Deutungen zum diesjährigen Themenschwerpunkt Erster Weltkrieg, geht es um nicht weniger als die übermächtig großen Fragen zu Schuld und Sühne, es soll auch um Frauen gehen, die sich dem Automatismus der männlich beherrschten Gewalt entziehen wollen.

Mitchells diffizile Arbeitsmethode ist längst bekannt und doch immer wieder beeindruckend: Die Britin, die seit dem Beginn Karin Beiers am Hamburger Schauspielhaus zu den festen Größen unter den Gastregisseuren zählt, modelliert vor den Augen ihres Publikums einen Film aus den Einzelteilen der Handlung. Der Grat zwischen der Präzisionsarbeit einer Bühnen-Maschinerie und der Zurschaustellung bloßen Theater-Kunst-Handwerks ist dabei mitunter schmal. Während auf der Leinwand über der Bühne das Live-Ergebnis zu sehen ist, geht der Seitenblick immer wieder staunend in den geöffneten Maschinenraum der Inszenierung, hin zu den Kameramännern, die mit der Präzision von Hirnchirurgen operieren. So auch hier: Mit einigen Kameras, vier Filmsets, sieben Akteuren und einem raffiniert aufklappbaren U-Bahn-Waggonmodell erzählen Mitchell und der Dramatiker Duncan Macmillan auch mit Textfragmenten von Virginia Woolf, Hannah Arendt und Simone de Beauvoir drei ineinander verwobene Geschichten gleichzeitig, um eine über Jahrzehnte und Frontverläufe hinweg einende Haltung zu zeigen.

Clara Immerwahrs einsames Ende wird gegen die hinterlassenen Tagebuch-Eindrücke einer Amerikanerin geschnitten, die im WK1-Feldlazarett den qualvollen Gastod eines unbekannten, von ihr geliebten Soldaten miterlebte. Und da sich für Mitchell ganz offenkundig Geschichte immer wiederholen kann, zeigt sie, um den Kreis des Verderbens zu schließen, auch den Freitod von Claire Haber, Claras Enkelin, die einige nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den USA – welche Ironie des Schicksals – an Gegenmitteln für Gasangriffe arbeitete und dort entdeckte, welche Mitschuld ihr Großvater auf sich geladen hatte.

Der beklemmenden Intensität dieser Geschichte ist es zu verdanken, dass dieser kurze Theaterabend nicht in sämiger Befindlichkeit stecken bleibt. Schauspielerische Höchstleistungen sind auch in den vielen Nahaufnahmen eher selten zu beobachten, die Darsteller bleiben vor allem Text aufsagende Staffage, austauschbare Mittel zum Erzählzweck der Schein-Dokumentation. Doch das lässt sich leicht verschmerzen, denn gerade diese Austauschbarkeit macht den moralischen Konflikt, um den es geht, zum Theaterereignis.

Mitchells Szenen-Mobile aus Realismus und Inszenierung präsentiert in diesem Stück, das vom Premierenpublikum gefeiert wurde, ein Bilderrätsel, das sich zum bitteren Ende hin auflöst; ein grauenvolles Meisterwerk über Erkenntnis und Ohnmacht im Angesicht des Krieges, das lange im Gedächtnis bleiben wird.