Kurz vor dem Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft zeigt Arte viele TV-Produktionen über das WM-Land. Es geht um die Küche, den Kampf gegen Drogenbarone, den Amazonas und natürlich um Fußball.
Hamburg. Was weiß man eigentlich als durchschnittlicher Mitteleuropäer über Brasilien? Wenig, wenn man einmal ganz ehrlich ist: Samba, Karneval, Fußball und Zuckerhut. Darauf erstrecken sich die spontanen Eingebungen zumeist, wenn es um das fünftgrößte Land der Erde geht. Ein wenig Nachdenken führt noch den Regenwald und die Tatsache, dass man dort nicht Spanisch, sondern Portugiesisch spricht, zu Tage. Das war es dann aber meistens auch schon.
Arte schafft da Abhilfe. Der deutsch-französische Sender startet am Montag die große Wissensoffensive in Sachen WM-Austragungsort. Den Anfang macht die Köchin Bel Coelho. Ihre „Kulinarische Reise durch Brasilien“ verdeutlicht macht schnell, wie viel unterschiedliche Kulturen und Landschaften in dem riesigen Vielvölkerstaat stecken: Von den pulsierenden Metropolen, deren Märkte das Erbe der portugiesischen Kolonialherrschaft, des Sklavenhandels und die Verschmelzung unterschiedlichster Einflüsse sichtbar machen, bis zu den tief im Regenwald lebenden Yanomami-Indianern, für die Papageien keine exotischen Haustiere, sondern ein Festmahl darstellen, reicht die Spanne. Selbst für die Götter wird gekocht, der Canbomblé-Priester sagt, sie seien echte Feinschmecker. Coelho ist selbst Brasilianerin, und trotzdem lernt auch die aus Sao Paulo kommende Restaurantinhaberin viel Neues über ihr Land. Kein Wunder, schließlich nimmt Brasilien fast die Hälfte des südamerikanischen Kontinents ein. Die mehr als 192 Millionen Einwohner verteilen sich auf 8,5 Millionen Quadratkilometer und drei Zeitzonen. Da ist Platz für eine Vielzahl von lokalen Küchen zwischen einfach und raffiniert, zwischen arm und reich.
Platz für Kritik an den Verhältnissen ist da wenig, es geht Coelho eher um die positive Darstellung der Unterschiede, Kritik klingt allenfalls einmal durch, wenn es um die gewalttätige Vergangenheit, um Sklaverei und die Verdrängung der indigenen Urbevölkerung geht. Und auch dann nur, um die aus den Verwerfungen resultierende hybride Küche hervorzuheben. Die Favelas, die Drogenmafia, die wütenden Proteste gegen das Multimillionen-Spektakel Fußballweltmeisterschaft, sie haben keinen Platz in der idyllischen Fernsehküche.
Eine Ahnung davon, wie sehr es dicht unter der Oberfläche brodelt, bekommt man etwas mehr als eine Woche später. „Rio – Kampf um Frieden“ zeigt am 10. Juni, wie die Polizei seit 2008 versucht, die Herrschaft über die Armenviertel Rios den Drogenbaronen zu entreißen. Mit der Vergabe der WM an Brasilien hat die Regierung begonnen, besonders den touristischen Süden zu „befrieden“, ein Projekt, das nicht nur auf Zustimmung stößt: Die Urbanisierungsmaßnahmen gehen oft mit Enteignungen und Umsiedlungen einher. Wie viel davon dem ernsthaften Bemühen um gesellschaftliche Stabilität und wie viel der Erschließung neuer Viertel für den Geldadel oder auch nur Tourismus-orientierter Kosmetik dient, ist schwer zu entscheiden.
Wieder ganz andere Facetten Brasiliens zeigen verschiedene Dokumentationen, die in dieser Woche jeden Tag um 16.10 Uhr gezeigt werden: Am Montag reist man „In der Hängematte auf dem Amazonas“, genauer gesagt, auf einem „Recreio“, einem Passagierboot, das mit nur 28 Stundenkilometern über den riesigen Fluss fährt. Am Dienstag kommt „Brasiliens unbekannte Seite“ zu Wort. Im Wortsinn: Den Volkspoeten Chico Pedrosa zieht es zu einem Dichterstreit in die karge Sertao, das Hinterland im Nordosten Brasiliens. Katrin Buhbut begleitet am Donnerstag die Calons, Nachfahren iberischer Roma, die über Jahrhunderte hinweg als „Kinder des Windes“ quer durch das Land zogen und erst in jüngerer Vergangenheit sesshaft geworden sind. Viel unterwegs sind auch die Ärzte, die Torsten Mehltretter zu den indigenen Achuar ins Amazonasbecken begleitete. Am Freitag zeigt Arte „Die Wanderärzte von Rio Pastaza“.
Und natürlich geht es auch immer wieder um den Karneval, um die Sambaschulen, für die der Tanz weit mehr als nur ein Zeitvertreib ist. Genau wie der Fußball. „Das Maracana-Stadion in Rio de Janeiro“ ist mehr als nur ein Spielfeld. Dort schoss Pelé sein 1000. Tor, dort las Papst Johannes Paul II. die größte Messe auf lateinamerikanischem Boden. Und dort verlor Brasilien 1950 das Finale der Weltmeisterschaft im eigenen Land gegen Uruguay. Am Pfingstmontag erfährt man, wie wichtig das einst größte Stadion der Welt für die Brasilianer ist.
Wenn der Brasilien-Schwerpunkt endet und die Fußball-WM am 12. Juni in São Paulo beginnt, kann man das Turnier dank viel neu hinzugewonnenen Wissens mit ganz anderen Augen verfolgen.
Kulinarische Reise durch Brasilien, ab Mo, 11.15 Uhr und 15.45 Uhr, Arte. Weitere Sendetermine zum Brasilien-Schwerpunkt auf www.arte.tv