Nur drei Tage lang – von Donnerstag, 29. Mai, bis Sonnabend, 31. Mai – ist die Millerntor Gallery geöffnet. 80 Künstler stellen ihre Werke und Projekte aus, 70 Prozent der Einnahmen gehen an das Netzwerk Viva con Agua.
Hamburg. Kann ein Einzelner die Welt verändern? Sie sogar verbessern? Für Osca, alias Fabian Jentsch, steht die Antwort fest: Ja! Er ist der künstlerische Leiter der sich als Kollektiv verstehenden Millerntor Gallery. Ihm und dem Idealismus der 80 teilnehmenden Künstler ist es zu verdanken, dass Osca diese alte philosophische Frage so klar beantworten kann. Rund 750 Millionen Menschen leben auf der Erde ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. 2013 hat die Millerntor Gallery mit ihrer Versteigerung 50.000 Euro eingenommen, und damit konnte das Netzwerk Viva con Agua, dem die Stadion-Galerie auch in diesem Jahr wieder 70 Prozent der Einnahmen gibt (30 Prozent gehen an die Künstler) schon einige Brunnen bohren oder instand setzen.
Wer jetzt das Stadion besucht, der staunt, was sich in den Gängen hinter den Tribünen tut. Auf 4000 Quadratmeter malen, sprayen, nageln und bauen rund 80 Künstler, um die Ausstellung für diese soziale Kunstgalerie fertig zu bekommen. Nur drei Tage ist sie geöffnet, vom 29. bis zum 31. Mai.
Mit dem Lichtkünstler Olafur Eliasson sitzt auch ein Weltstar mit im Boot (an dem Event kann er persönlich nicht teilnehmen). Er schafft, wie dereinst in der Londoner Tate Modern, den Rahmen für eine interaktive Lichtskulptur: Wer einen dunklen Raum im Stadion betritt, kann mit einer kleinen Licht-Sonne ein Graffiti in die Luft zeichnen, das fotografisch dokumentiert wird. Diese Graffitis werden dann im Internet hochgeladen und bilden eine permanent veränderliche, digitale Sonne. Eliasson will mit seinem Kunstprojekt „Little Sun“ darauf aufmerksam machen, dass weltweit 1,6 Milliarden Menschen ohne Strom leben.
Die Künstlerin Melissa Steckbauer hat Lampedusa-Flüchtlingen Einweg-Kameras mitgegeben, um zu fotografieren, was für sie Heimat bedeutet. Hier stehen sie an einem großen Tisch und sprechen über die Fotos, denen die Künstlerin Einschnitte verpasst, und die sie collagiert. Das dokumentarische Moment taucht häufiger auf, im ersten Stock steht sogar eine Hütte aus dem Operndorf des verstorbenen Theatermannes Christoph Schlingensief, in der man sich über Videofilme ein Bild von dem Projekt machen kann. Ein Symposium zum Thema „Wie verändert kreatives Engagement die Welt?“ am 31. Mai, 15 Uhr, verspricht, interessant zu werden: Angekündigt sind Friedrich von Borries, Adrienne Goehler, die Musikerin Onejiru und die Bühnenbildnerin Aino Laberentz.
Street Art bildet den Schwerpunkt der Schau: Ihr prominentester Vorkämpfer, der Franzose JR, wird über einen mobilen Fotoautomaten Porträts von Besuchern in Plakatgröße ausdrucken, um sie dann zu einer haushohen Gesichter-Galerie an der Außenfassade zusammenzufügen. Schräg unter seiner Arbeit, gleich neben einer der Bühnen, auf denen diverse Musiker auftreten, tobt sich das Duo Low Bros in bunt-geometrischen Wandgemälden aus, in denen man maskenartige Tigergesichter entdecken kann. Auf einer der Bühnen wird Jim Avignon mit seiner Einmann-Band Neoangin auftreten, außerdem das Reggae Soundsystem Silly Walks oder die Pop-Band Liedfett. Eine Mini-Bühne nennt Osca „Speaker’s Corner“: Hier finden Lesungen statt, zum Beispiel am Donnerstag mit Joachim Schwarz von der Welthungerhilfe (15.30Uhr), mit Jasmin Ramadan und Sven Amtsberg.
Vis-à-vis der Lesebühne geht es breite Treppen hinauf; die kantige Seitenwand hat die Engländerin Billy mit fröhlich bunten, piktogrammartigen Figuren gestaltet. Droben an der Wand trifft man auf die Holz-Assemblagen des brasilianischen Künstlers Zezao, in die er fast immer eine stilisierte Welle einbaut. Das Obstkistenholz stammt zum Teil aus den brasilianischen Favelas. Auf diese Weise stellt auch er die Frage nach weltweiter sozialer Gerechtigkeit und legt einen kleinen Sprengsatz in die alltagsübliche Verdrängungsmasse. Nicht weit von hier hat der Mexikaner Yescka seine Kritik an Coca-Cola auf die Wand gesprüht: Ein Mann trägt eine Kiste „Toma-Agua“, aus den Flaschen steigen Flammen auf, und das Wort „Revolucion“ ziert die Kiste. Laut Spiegel Online wurde dem Coca-Cola Konzern vorgeworfen, in Indien das knappe Wasser zum Flaschenspülen zu verschmutzen und in Kolumbien aufbegehrende Arbeiter zu bedrohen oder sogar ermordet zu haben.
Alles hängt offenbar doch mit allem zusammen, zeigt diese engagierte Kunstausstellung. Und was schadet es, wenn der eine oder andere Fußball-Fan sich auch mal mit einem Kunstwerk beschäftigt, das dann vielleicht seine Sicht auf die Welt ein klein wenig beeinflusst?
Millerntor Gallery, Do, Fr 14.00–24.00,
Sa 12.00-24.00. Harald Stender Platz 1, U St. Pauli, Eintritt 5,- bzw. 2,-, Kinder unter 12 Jahren frei