Zum Tod des großen kolumbianischen Romanciers, Castro-Freunds und Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez. Der Autor des Weltbestsellers „Hundert Jahre Einsamkeit“ starb am Donnerstag im Alter von 87 Jahren.

Einer war nun doch schneller gewesen. „Ich gehöre zu denen, die sich mit ihren Freunden begraben lassen“, hatte Gabriel García Márquez vor rund einem Jahrzehnt gesagt, um sein merkwürdig loyales Verhältnis zu Fidel Castro zu erklären. In Erinnerung wird der 1928 (nach Angaben seines Vaters allerdings: 1927) an der Karibikküste Kolumbiens geborene Romancier dennoch nicht als „Diktatorenfreund“ bleiben, denn auch in seinem Fall wusste es das Werk zumeist besser als der Autor selbst.

Mochte man über die Jahre hinweg auch reichlich spekuliert haben, was es wohl auf sich hatte mit jener Márquez von Castro angeblich lebenslang zugestandenen Luxusvilla in Havanna (dem zweiten Domizil neben dem in Mexiko- Stadt), mochte die Gerüchteküche gekocht haben über den Inhalt der nächtlichen Gespräche zwischen dem unbestrittenen Erneuerer der lateinamerikanischen Literatur und dem erstarrten, selbst erklärten Helden der kubanischen Revolution: In seinem 1975 erschienenen Roman „Der Herbst des Patriarchen“ wird gnadenlos das zwischen vitalistischem Paternalismus und purer Vernichtungsfreude oszillierende Leben eines Diktators geschildert – in atemberaubenden Rückblenden nach dessen Tod, den in Fäulnis übergehenden Korpus voller Wortmacht umkreisend.

Darüber hinaus hatte sich Márquez bei Castro mitunter diskret für die Freilassung von Dissidenten eingesetzt – sofern sie ihm denn bekannt oder Schriftsteller waren. Was ihm 1986 zu Recht Mario Vargas Llosas öffentlich herausgeschleuderten Vorwurf einbrachte, ein „Höfling Castros“ zu sein, und gleichzeitig ein Lehrbeispiel ist für die Blindheit der sogenannten öffentlichen Meinung: Während Jorge Luis Borges, der andere Schriftstellergigant Lateinamerikas, seinen einmaligen Händedruck mit dem Putschistengeneral Pinochet trotz späterer Distanzierung mit der Nichtzuerkennung des Nobelpreises bezahlen musste, strahlte „Gabo“, der von Stockholm Ausgezeichnete des Jahres 1982, stets in voller Pracht.

1985 erschein sein Roman „Die Liebe in Zeiten der Cholera“

Obwohl – man könnte hier von ausgleichender Ungerechtigkeit sprechen – über all die Jahre hinweg auch so mancher Kritiker dekretiert hatte, seit „Hundert Jahre Einsamkeit“, dem bis heute millionenfach verkauften Welterfolg von 1967, sei nur noch metaphern- inflationäre Selbstimitation, wenn auch eine von Graden, entstanden. Zuträglicher wäre es gewesen, so die maliziösen Bemerkungen, der um seinen Ruhm doch penibel besorgte „Gabo“ wäre in genau jenem Jahr – damit zeitgleich zu Che Guevara – verschwunden, irgendwie mythisch eins geworden mit seiner von ihm so fantasiereich erfundenen Macondo-Dschungelwelt an der Küste Kolumbiens.

Nun aber hatte Gabriel García Márquez eben jenes verwunschene, doch keinesfalls idyllische Macondo ebenso wenig „erfunden“ wie William Faulkner sein Yoknapatawpha-County, dem er bereits als blutjunger kolumbianischer Journalist in der Karibikstadt Barranquilla staunend Tribut gezollt hatte. (Und sich in seiner regelmäßigen, „Die Giraffe“ betitelten Kolumne im Jahre 1950 gründlich geirrt hatte, als er prophezeite, ein solitärer Kraftkerl wie Faulkner werde wohl nie und nimmer den Literaturnobelpreis erhalten.)

„Der Herr Oberst Aureliano Buendia zettelte zweiunddreißig bewaffnete Aufstände an und verlor sie allesamt. Er hatte von siebzehn verschiedenen Frauen siebzehn Söhne, die in einer einzigen Nacht ausgerottet wurden. Er entkam vierzehn Attentaten, dreiundsiebzig Hinterhalten und einem Erschießungskommando.“ Die Familiensaga der „Hundert Jahre Einsamkeit“ sparte nicht mit (vor allem von westlichen Lesern fast schuldbewusst bestaunten) Superlativen und war dennoch weniger fabulierende Übertreibung denn souveränes Wirklichkeitskonzentrat. Schließlich hatte das 20. Jahrhundert in Kolumbien mit dem sogenannten Tausendtagekrieg begonnen, dem mehr als 100.000 Menschenleben zum Opfer gefallen waren.

García Márquez, Sohn eines Vaters, der seinerseits 15 Kinder, eheliche und uneheliche, in die Welt gesetzt hatte, war mit jenen Gräuelgeschichten aufgewachsen und machte später aus einem real existierenden Oberst Rafael Uribe Uribe jenen „magisch-realistischen“ Oberst seines bekanntesten Romans, einer bei allem Ab- und Ausschweifungen doch hoch konzentrierten Achterbahnfahrt durch Zeit und Raum.

Der oft zu hörende Vorwurf, Márquez’ Bücher seien vielleicht ja doch nur betörender Kitsch gewesen, fällt jedenfalls schnell auf dessen pikiert eurozentristische Urheber zurück, die den lateinamerikanischen Synkretismus, jenes auch mentalitätsprägende Ineinander aus spanischem Kolonialbarock und den Geschichten der Indigénas, Schwarzen und Mestizen, lediglich für ein cleveres Traummarketing halten.

„Gabo“ aber hatte auch seine wohl berührendste Liebesszene, das nach Jahrzehnten des Wartens und unglückseliger Verstrickungen endlich erfolgte Zueinanderkommen der inzwischen uralt gewordenen Fermina Daza und Florentino Ariza im 1985 entstandenen Roman „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ nach der Wirklichkeit komponiert: Auch seine eigenen Eltern hatten Jahrzehnte gebraucht für ihre nicht zuletzt körperliche Wiederannäherung.

Ein Faustschlag entzweite zwei Literaturlegenden auf Lebenszeit

Archaisch gesprochen und ohne kleinmütige Angst vor Pathosverdacht: Physisches wurde hier zum Wort, dessen vibrierende Aura dann stark genug war, allen in seinem Umfeld Tätigen ebenfalls eine zusätzliche Dimension zu schenken. Wer einmal das Privileg hatte, von der 1930 geborenen Literaturagentin Carmen Balcells, charismatische und millionenschwere Vermittlerin des mit Márquez untrennbar verbundenen Booms lateinamerikanischer Literatur, in ihren Herrschaftsräumen in Barcelona empfangen zu werden, war jedenfalls verblüfft: Hier schritt zwischen Bücherwänden eine voluminöse Krückstock-Matriarchin über Teppiche und Steinfliesen, die wiederum durchaus direkt aus der Macondo-Welt ihres im wahrsten Wortsinn teuersten Schützlings hätte stammen können.

Nicht zu vergessen den wohl berühmtesten Faustschlag der Literaturgeschichte. Immerhin war noch nie zuvor ein Nobelpreisträger in spe gegenüber einem anderen tätlich geworden. Abgespielt hatte sich die Szene Mitte der 70er-Jahre im Cine Lido in Mexiko- Stadt, und ein damals noch schnurbärtiger, an Errol Flynn erinnernder Mario Vargas Llosa versetzte seinem etwas älteren Kollegen, dessen Werk er doch zuvor in einer 700-seitigen Dissertationsschrift gepriesen hatte, jenen inzwischen ebenfalls ins Legendäre entschwundenen Schlag, der beide auf Lebenszeit entzweien sollte. Ging es um eine Frauengeschichte oder um politische Differenzen?

„Gabo“ wird man nun nicht mehr fragen können, doch auch der ansonsten so rational-eloquente Vargas Llosa hielt sich bislang beim Erhellen dieser Episode seltsam zurück. Profitiert hatte davon allerdings nicht nur der Klatsch, sondern wiederum die Literatur. Ein Jahr nach Márquez’ berühmtem Kurzroman „Chronik eines angekündigten Todes“ veröffentlichte Mario Vargas Llosa sein thematisch verwandtes „Wer hat Palomino Molero umgebracht?“

Vor über einem Jahrzehnt – Márquez’ Kräfte hatten bereits nachgelassen, sichtbar an seinem letzten Roman „Erinnerung an meine traurigen Huren“ – hatte der Peruaner dann noch einmal nachgelegt und mit seinem in der Dominikanischen Republik unter Trujillo spielenden „Das Fest des Ziegenbocks“ seinen Diktatorenroman präsentiert, der freilich auch eine kollegiale Hommage auf den „Herbst des Patriarchen“ war.

Kolumbianische Autoren der jüngeren Generation, von „Gabo“ zeitlebens gefördert, brauchten dann auch keinen Vatermord zu vollziehen, sondern konnten ganz entspannt den mit der Zeit womöglich zu routiniert mythisch gewordenen Magischen Realismus wieder in Richtung Alltagsnähe bringen. So bricht in einer aktuellen Erzählung von Tomás González ein Demenzkranker zu einer halluzinierten Reise an die geliebte Karibikküste auf. Geschrieben aber war die Geschichte selbstverständlich „für Don Gabriel“, den Jahrhundertromancier. Im Alter von 87 Jahren ist nun Gabriel García Márquez nach langer Demenz am Donnerstag in Mexiko-Stadt verstorben.