Rund 30.000 Menschen kam zur 14. Lange Nacht der Museen. In 54 Kulturstätten hatten sie bis zwei Uhr morgens Gelegenheit, bekannte und unbekannte Kulturschätze zu besichtigen.

Hamburg. „Mama, da ist doch der Ausgang, oder?“, fragt ein etwa fünfjähriges Mädchen seine Mutter. Es ist 22.30 Uhr, die Lange Nacht der Museen ist seit viereinhalb Stunden in Gange, zu viel für die Kleine, aber noch lange nicht für die meisten der etwa 30.000 Besucher. Die Busse der sieben Museumslinien sind immer noch proppevoll und transportieren Tausende zwischen den teilnehmenden 54 Häusern hin und her. Auch für Erwachsene ist so eine lange Nacht anstrengend. Am Ende des Abends tun die Füße weh, die verschiedenen Eindrücke und Begegnungen müssen verarbeitet werden – nicht nur für Kinder ist das angesichts des immensen Angebots nicht einfach. Doch die Strapazen lohnen sich, diese Kulturnacht ermöglicht das Eintauchen in fremde, oft längst vergangene Welten – wie zum Beispiel eine Fahrt mit der Linie 307 zum Hafenmuseum im Kaischuppen 50A.

Der denkmalgeschützte Ort liegt abseits der touristischen Hauptströme. Die Fahrt vom Dar-es-Salaam-Platz in der HafenCity mit seinen hypermodernen Glaspalästen vorbei an Brachflächen Richtung Hansahafen ist eine Reise vom 21. zurück ins späte 19. Jahrhundert. Auf hohen Stellagen sind Fässer, Kisten und Säcke gestapelt, die Geschichte des Hamburger Hafens als Warenumschlagplatz ist hier dokumentiert – vom hölzernen Ewer bis zum Modell eines modernen Containerfrachters. Stände laden zur Verkostung von Tee und Eierlikör ein, draußen zeigt das Duo Flamba Feuerartistik, Frauen vom Verein Hafenmuseum verkaufen selbst gemachten Butterkuchen und schenken Bier aus. Die Atmosphäre ist gemütlich, hier tickt die Zeit weniger schnell als auf der anderen Seite der Elbe oder stromabwärts am Containerterminal, wo die großen Schiffe nur noch wenige Stunden festmachen.

Entspannt geht es auch im Electrum zu. Das private Museum der Elektrizität, früher als HEW-Museum in Barmbek zu Hause, hat in Harburg eine neue Heimstatt gefunden und wird von einem Verein mit 80 Mitgliedern betrieben. Manfred Matschke hat die Sammlung seit Ende der 70er-Jahre auf- und ausgebaut. „Für Vitrinen hatten wir kein Geld, deshalb haben wir Regale als Gestaltungsprinzip gewählt“, sagt der weißhaarige Vereinsvorsitzende. Mit Begeisterung und Witz erklärt er vielen Besuchern wie gefährlich zum Beispiel ein Lockenwickler-Gerät vor 100 Jahren war, wann Hamburg die erste Straßenbeleuchtung bekam und wie eine Jukebox funktioniert – das Modell Seeburg zum Beispiel mit Singles von 50er-Jahre-Stars wie Gus Backus, Rocco Granata und Chris Howland. „Bei uns finden Besucher alte Bekannte wieder, also Elektrogeräte, die sie früher in ihren Wohnungen hatten. Diese Dinge erzählen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten“, sagt Matschke.

Im Electrum ist die Musikbox leise gestellt, im Kunstverein am Klosterwall dröhnt moderne Popmusik im Foyer aus den Boxen. Hier scheint man in einer völlig anderen Welt zu sein. Das Publikum ist überwiegend jung, hip und an den beiden Installationen von Bernhard Cella und Geoffrey Farmer interessiert, die auf zwei Stockwerken aufgebaut sind. Besonders Farmers „Let’s Make The Water Turn Black“ ist ein aufregendes Werk aus Licht, Objekten, Sprache und Tönen. Das Licht verändert sich bis zur totalen Dunkelheit, die Skulpturen bewegen sich, die Installation des Documenta-Teilnehmers wirken wie ein Theaterstück ohne Schauspieler. Neugierig bewegen sich die Zuschauer um die Bühne, auf der diese Licht- und Klangpartitur aufgeführt wird, die sich am Leben und Werk des Rockmusikers Frank Zappa orientiert. Auf dem Weg zu den Toiletten spricht der Meister selbst: In einem Fernseher läuft ein Interview, das er 1984 MTV gegeben hat.

Wer es in den Kunstverein geschafft hat, braucht erst mal keinen Bus-Shuttle mehr, denn an der Kunstmeile Hamburg liegen fünf Häuser, die bequem zu Fuß erreicht werden können. In der Rotunde der Kunsthalle geht um 22 Uhr gar nichts mehr. Dicht gedrängt stehen die Zuschauer dort, um eine Modenschau von Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften anzusehen. Lagerfeld macht’s möglich. Arbeiten des Modeschöpfers und Fotografen werden gerade unter dem Titel „Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models“ in der Galerie der Gegenwart gezeigt. Nicht jeder ist von den großformatigen Hirten-Bildern in schwarz-weiß beeindruckt: „Das hätte auch jeder andere Fotograf machen können“, kommentiert eine junge Frau abfällig.

Vor der Kunsthalle stehen Trauben von Menschen und warten auf den Bus der Linie 303. Sorgfältig sind eine Reihe von Bierflaschen an einer der Säulen aufgereiht. „This is art“, kommentiert ein junger Engländer und läuft durch den Regen Richtung Hauptbahnhof.

Der Bus ist voll, noch mal zehn Minuten warten, um ins Völkerkundemuseum zu kommen. Gedrängelt wird nicht, gelassen bleiben die zurück, die keinen Platz gefunden haben. Mit der nächsten Tour klappt es, Umfallen im Bus ist unmöglich, jeder Quadratzentimeter ist besetzt. Das Völkerkundemuseum lockt mit seinen Sammlungen, aber viele Besucher sind wegen des Tangos gekommen. Im Foyer spielt eine finnische Band den melancholischen Tanz, die Musiker sehen aus, als kämen sie direkt aus einem Kaurismäki-Film. Der Sänger ist gleichzeitig Animateur. Mit weichen Schritten im Rhythmus lang-lang-kurz-kurz gleiten bald mehrere Paare über das Parkett. Nach diesem musikalisch-sinnlichen Erlebnis findet diese Lange Nacht der Museen im Völkerkundemuseum langsam ein Ende.

Der Regen hat aufgehört. Die Busse fahren immer noch, in der Linie 303 Richtung Eppendorf ist es still. Eine junge Frau schläft an der Schulter ihres Freundes, andere hängen ihren Eindrücken nach. Erlebt hat jeder etwas in dieser langen Kulturnacht. Im kommenden Jahr gibt es die nächste.