1979 ist Jeff Turek von New York nach Hamburg gezogen. Irgendwann landete er in der Kunsthalle – als Museumsführer. Hier erklärt er bis heute Erwachsenen und Kindern die Geschichte der Malerei. Eine Begegnung
Hamburg. „Welches Bild wollt ihr heute sehen?“, fragt Jeff Turek, mit deutlichem amerikanischen Akzent. Die Erstklässler stehen in der Rotunde der Kunsthalle, schauen zu dem hoch gewachsenen New Yorker auf und denken angestrengt nach. „Die ,Mona Lisa‘“, sagt ein Mädchen. „Sorry, geht nicht. Die hängt in Paris im Louvre“, sagt Turek und fragt zurück: „Aber wisst ihr vielleicht, wer die gemalt hat?“ Allgemeine Ratlosigkeit, dann meldet sich ein Junge, der sich zu erinnern glaubt: „War das nicht Leonardo DiCaprio?“
Jeff Turek, 57, liebt solche wunderbaren Missverständnisse und er hat schon viel erlebt, wenn er Kinder oder Erwachsene durch die Kunsthalle führt. Vor einem Kunstwerk zu stehen und darüber zu sprechen, findet er immer wieder spannend. Dabei spielt er nicht den allwissenden Experten, nicht den Lehrer, sondern eher den Entertainer.
Es geht ihm weniger um kunstgeschichtliches Spezialwissen, sondern darum, die Bilder zum Sprechen zu bringen. Immer wieder stellt er Bezüge und Verbindungen zwischen den Bildern und ihren Betrachtern her. Zum Beispiel vor dem Grabower Altar, einem der Spitzenwerke mittelalterlicher Kunst. Was haben die Menschen empfunden, wenn Sie im späten 14. Jahrhundert in der Petri-Kirche vor dem Altar von Meister Bertram standen und die geschnitzten Figuren betrachteten? „Da geht es um Liebe und Verrat, um Tod und Leben. Das war für die Menschen im Mittelalter so spannend wie für uns ein guter Krimi“, sagt Turek, der die Blicke seiner Zuhörer gern auf scheinbar nebensächliche Details lenkt, die plötzlich spannend erscheinen: Was essen und trinken die Leute auf einem mittelalterlichen Tafelbild? Wie sind sie angezogen, warum sind sie splitterfasernackt? Was bedeuten die Gegenstände, die sie bei sich haben. Wenn der Amerikaner kunstgeschichtliche Zusammenhänge erklärt, werden daraus spannende Geschichten. „Dieser Altar mit seinen vielen Figuren und Szenen, das ist bestes 3-D-Kino von anno 1379.“
Als Jugendlicher hat er sich zu Hause in New York auf CBS die „Young People’s Concerts“ begeistert angesehen, in denen Leonard Bernstein symphonische Musik so spannend erklärt hat, dass es Spaß machte, ihm zuzuhören. Auch er macht Musik, hat als 17-Jähriger im Tiddle Taddle Club bei den Hells Angels Bass gespielt aber auch gemalt und Grafiken gestaltet. Bis heute ist er Künstler und Musiker. Dass er nach Hamburg kam, war Zufall. Von der deutschen Stadt wusste er, dass dort die Karriere der Beatles begonnen hat, aber das war auch schon alles. Als er 1979 an einem New Yorker Strand ein paar Deutsche traf, die ihm begeistert von Hamburg erzählten, wollte er schließlich selbst dort hin.
„Kunst ist ein einsames Geschäft“
Bald darauf hat er sich ins Flugzeug gesetzt, ist nach Hamburg gereist und bis heute geblieben. Es begann mit einem Kunststudium. An der HfBK hat er unglaublich langweiligen Professoren zugehört, aber die hervorragenden Werkstätten zu schätzen gelernt. Er hat Kunst gemacht und außerdem Musik und ist irgendwann als einer Art „Mädchen für alles“ bei den Deichtorhallen gelandet. Für den damaligen Direktor Zdenek Felix musste er dolmetschen und auch mal amerikanische Besucher durch Ausstellungen führen. Dabei fiel ihm wieder Leonard Bernstein ein und dessen geniale Art, schwierige Musik spannend zu erklären. Das war ein ziemlich gutes Vorbild, irgendwann merkte auch Felix, dass der junge Amerikaner verdammt gute Führungen machte.
Aber es gibt noch einen Grund, warum er dabei blieb. „Kunst ist ein einsames Geschäft. Wenn ich einen Siebdruck mache, bin ich allein. Deshalb bringt mir die Kunstvermittlung einen wunderbaren Ausgleich“, sagt Jeff Turek, der nun schon seit den 90er-Jahren in der Kunsthalle Gruppen durch die Ausstellungen führt. Er findet es gut, dass dort ganz unterschiedliche Leute zum Führungsteam gehören: Kunsthistoriker, Pädagogen, aber auch Künstler wie er. „Es ist jedes Mal wieder spannend zu beobachten, wie die Menschen auf Kunstwerke reagieren. Was sie sehen und was sie nicht sehen, was sie berührt und was sie kalt lässt. Und wie es gelingt, ihnen für manche Dinge die Augen zu öffnen“, sagt Turek, der sich natürlich auch so seine Gedanken über das Publikum macht. Sind es überwiegend Kinder, die ja als Schulklassen mehr oder weniger freiwillig ins Museum kommen oder die Fraktion der kulturbeflissenen Grauhaarigen? „Ganz so erlebe ich das nicht, es sind durchaus nicht nur Kids und Greise, aber eins fällt mir schon auf: Merkwürdigerweise kommen überwiegend Frauen ins Museum. Komisch: Auf den Bildern sind oft Männer zu sehen, und Frauen schauen sie sich an.“ Dass er selbst immer wieder neue Entdeckungen macht, verdankt er nicht selten seinen Zuhörern. „Was könnt ihr hier alles sehen“, fragt er eine Schulklasse vor einem Landschaftsbild von Joseph Anton Koch. „Schmetterlinge“, sagt ein Junge, der irgendwo am Rand einen winzigen Kohlweißling entdeckt hat, der Turek jahrelang nicht aufgefallen war.
Oft und gern zieht er Vergleiche zum Kino
„Museen sind schon besondere Orte, ähnlich wie Kirchen oder Bibliotheken“, meint der Amerikaner, der es faszinierend findet, vor einem Flügelaltar zu stehen, der ganze 100 Jahre vor der Entdeckung Amerikas geschaffen wurde. „Museen sind echte Zeitmaschinen und die Bilder sind die Fenster, durch die wir Jahrhunderte zurückblicken können“, meint Turek. Oft und gern zieht er Vergleiche zum Kino. „Ohne die Kunstgeschichte wäre der Film gar nicht denkbar, das Kino hat unendlich viel aus der Kunst übernommen“, sagt er, und zeigt auf das Gemälde „Psyche vor ihren Richtern“ von Jean-Léon Gérôme: „Ridley Scott zum Beispiel hat seinen Film ‚Gladiator‘ komplett nach Bildern von Gérôme konzipiert.“
Und was ist sein eigenes Lieblingsbild in der Hamburger Kunsthalle? „Auch das ist ganz großes Kino, das größte überhaupt“, sagt er und zeigt mit leichtem Augenzwinkern auf Hans Makarts „Einzug Karls V. in Antwerpen“ aus dem Jahr 1878. 5,20 mal 9,50 Meter misst der „kapitale Schinken“, eine riesige Komposition, die ein historisches Ereignis aus dem Jahr 1520 bombastisch in Szene setzt und sich stilistisch bei Rubens und Tizian bedient. Prächtige Kostüme sieht man da, aber auch halb bis ganz nackte Damen, deren lebende Vorbilder in der Wiener Gesellschaft bestens bekannt waren. „Das ist Hollywood in Öl, die Leute waren damals total fasziniert. Als das Bild 1879 in Wien gezeigt wurde, kamen innerhalb von wenigen Tagen fast 40.000 Menschen, die Geld ordentlich dafür bezahlt haben, einen Blick auf diese tolle Action-Szene werfen zu können“, sagt Turek und zeigt auf die Figur gleich links neben Kaiser Karl. „Da hat sich Hans Makart übrigens selbst dargestellt. Der war ein echter Party-Boy, ein Andy Warhol des späten 19. Jahrhunderts“, sagt der Museumsführer voller Begeisterung. „Wissen Sie, wie groß das Bild ist? Fast 50 Quadratmeter“, sagt er bewundernd, und fügt noch einen interessanten Vergleich hinzu: „Damit ist es etwa doppelt so groß wie meine erste Hamburger Wohnung.“