Der Thriller „Mitternachtsspitzen“ erlebt an diesem Donnerstag im Imperial seine deutschsprachige Erstaufführung. Der Film mit Dors Day und Rex Harrison von 1960 war weniger tiefgründig als die Theaterfassung.
Hamburg. Der Frühling bietet auch für Hamburger Theater Anlass, sich besonders herauszuputzen. Das fängt bei der Fassade an und hört auf der Bühne noch lange nicht auf. Bestes Beispiel ist das Imperial.
Ein Mitarbeiter hat just das Motiv abmontiert, das seit August über dem Eingang auf „Die toten Augen von London“ hingewiesen hatte. Der gruselige Edgar-Wallace-Klassiker – Auslastung 95 Prozent – ist abgespielt. Im Schatten der Tanzenden Türme an der Reeperbahn haben sich jetzt auf dem Boden in Form eines neuen Banners die „Mitternachtsspitzen“ ausgebreitet.
Im Saal dominieren hellblaue Wände, weiße Ledersessel und ein weißer Teppich die Kulisse, die Schauspieler stecken in feinen Anzügen und glamourös-kitschigen Kleidern. Fotoprobe im noblen Ambiente. Nur der Regisseur trägt Jeans und T-Shirt. Von hinten, direkt beim Notausgang, übertönen Bohrgeräusche seine Anweisungen. „Baulärm, sogar auf der richtigen Seite“, sagt Frank Thannhäuser gelassen.
Einen Großteil seiner Arbeit hat er schon geleistet, bevor die Endproben im Bühnenbild begonnen haben. Thannhäuser, der das Imperial Theater 1994 gegründet hat und bis heute als Intendant leitet, bringt am morgigen Donnerstag mit seinem Ensemble die „Mitternachtsspitzen“ als deutschsprachige Erstaufführung heraus. Wer dabei an den Kinothriller mit Doris Day und Rex Harrison von 1960 denkt, liegt nur zum Teil richtig.
„Ich fand den Film schon immer klasse“, erzählt Thannhäuser beim Pausengespräch am Stehtisch vor dem Eingang. „Ich bin bekennender Doris-Day-Fan, die meisten Schwulen mögen die, ich mag aber auch Rex Harrison.“ Wie bei den bisherigen zehn Edgar-Wallace-Stücken geht es Thannhäuser aber nicht darum, eine Kopie des jeweiligen Films auf die Bühne zu bringen, vielmehr spezifische Versionen der Bücher und Stücke. Seit das Imperial vor elf Jahren vom Musical-Betrieb auf rein spannungsgeladene Stoffe umgestellt hat, hat es sich mit dieser Maxime zum größten und erfolgreichsten deutschen Krimitheater gemausert.
Diesmal hat Thannhäuser Janet Greens Bühnenwerk „Matilda Shouted Fire“, das Vorbild für den Film „Mitternachtsspitzen“, ins Deutsche übersetzt. Dafür reiste der gebürtige Kasseler wieder mal zu Bekannten nach Atlanta im US-Bundesstaat Georgia, eine Art kreativer Urlaub. „Der Vormittag ist Schreibtag, der Nachmittag ist Spaß“, skizziert Thannhäuser seine Arbeitsweise in der inspirierenden englischsprachigen Umgebung. Nach nur zwei Wochen stand die deutsche Fassung. „Das Buch hat mehr Ecken und Kanten als der Film“, sagt Thannhäuser. Auf der Leinwand verkörperte Doris Day, die ewig blonde Sauberfrau des US-Filmgeschäfts, eine verwöhnte Amerikanerin, die in London von einem Unbekannten – erst in einem nebligen Park, dann mit Anrufen und Attentaten – bedroht wird. Aber weder ihr Ehemann noch Scotland Yard glauben ihr.
„Warum lässt sie ihren Mann nicht an sich ran?“, diese Frage schwebt laut Thannhäuser über dem Stück. Der Regisseur blinzelt in der Nachmittagssonne: „Sie hat einen erheblichen psychischen Knacks und ist sexuell zurückgeblieben“, konstatiert der Übersetzer. Lesley, so ihr Bühnenname und im Imperial gespielt von Verena Peters, ist eine, die als Kind mehr Geld als Liebe bekommen hat. Bei der Kinofassung spiele das keine Rolle, räumt Thannhäuser ein. „Ein sehr spannender und gepflegter Kriminalfilm, ohne Leichen, aber auch ohne Tiefgang“, urteilte der „Evangelische Filmbeobachter“ denn auch nach der Premiere vor 54 Jahren.
Anno 2014 auf der Bühne Lesleys Entwicklung zu einer gestandenen Frau aufzuzeigen sei „eine schwierige Gratwanderung“, meint Thannhäuser. „Ich hoffe, dass sie uns gelingt.“ Und wo bleibt bei diesem Psychothriller das fürs Imperial schon typische ironische Augenzwinkern? Das soll sich vor allem in den männlichen Nebenrollen zeigen, in denen alternierend skurrile potenzielle Schurken wie Janis Zaurins oder Sönke Städtler zu sehen sind. Außerdem im Bühnenbild und in den Kostümen, für die Thannhäuser wieder mal selbst verantwortlich zeichnet.
Kulissenbauer Alexander Beutel unterbricht das Gespräch, er drängt mit seiner großen Leiter durch die Eingangstüren. Die Wände hat er schon blau bemalt, aber im Foyer liegen noch einige Holzbalken und eine Bohrmaschine. Auch Intendant Thannhäuser will lieber zurück in den Saal. Das Leben ist eine (Theater-)Baustelle.
Noch einmal fällt der Blick auf den Eingangsbereich. Das neue Banner für die „Mitternachtsspitzen“ hängt inzwischen gleich links über den Türen. Und rechts oben kündigt ein zweites Banner ein weiteres neues Stück an, „Jerry Cotton“. Den hat Frank Thannhäuser bei seinem Aufenthalt in Atlanta gleich mitübersetzt – rechtzeitig zum 20. Imperial-Geburtstag im August. Aber das ist eine andere Geschichte.
„Mitternachtsspitzen“ Premiere Do 13.3., 20.00, bis Juli jew. Do–Sa, Imperial Theater (U St. Pauli), Reeperbahn 5, Karten zu 15,- bis 33,- unter
T. 31 31 14; www.imperial-theater.de