Yasmina Rezas Roman „Glücklich die Glücklichen“ zeigt das Bürgertum bei seiner liebsten Beschäftigung, der schwierigen Suche nach dem Glück
Der alltägliche Kampf mit dem Partner gehört wohl zum Leben wie das Atmen. Sie will lesen, er will schlafen. Sie will einen bestimmten Käse kaufen, er aber einen anderen. Sie will, dass das Kind ins Bett geht. Er erlaubt dem Kind, noch etwas zu essen. Jeder, der mit einem Partner sein Leben teilt, kennt Szenen, wie sie Yasmina Reza in ihrem neuen Roman in kurzen Skizzen entwirft. Es gehört zu den ganz großen Qualitäten der Autorin, dass sie solche Begebenheiten nicht nur aufschreiben kann, sondern dass sie so viel Komik, so viel Tragik aus ihnen zieht, dass es für ihre Leser und Zuschauer zum herrlichsten Vergnügen wird, all diesen Zugeständnissen und Fluchten, den verlorenen Illusionen, den großen und kleinen Alltagslügen zu begegnen. Denn wir erfinden und benutzen sie alle, um nicht einsam und allein dazustehen.
Rezas Roman „Glücklich die Glücklichen“ ist wieder so ein Meisterstück, in dem ihre Figuren, Menschen wie du und ich, Funken sprühen. Unbarmherzig eskaliert alles, obwohl eigentlich gar nichts Schlimmes vorgefallen ist. Aber vielleicht sind diese Menschen so verzweifelt gallig, komisch oder wütend, weil ihre Glückserwartungen nicht erfüllt werden. Für uns Leser jedoch erfüllen sie sich aufs Schönste.
Yasmina Rezas Kunst ist es, das Große im Kleinen explodieren zu lassen. Das hat sie im Porträt über Nicolas Sarkozy „Frühmorgens, abends oder nachts“ gezeigt. Die weltweit meistgespielte zeitgenössische Autorin führt sie auch in ihren Theaterstücken vor. Etwa wenn, wie in „Der Gott des Gemetzels“, zwei gutbürgerliche Ehepaare, deren Söhne sich auf dem Schulhof geprügelt haben, alles „vernünftig“ regeln wollen, sich dann aber im Wohnzimmer bekriegen. Wenn, wie in „Drei Mal Leben“, der Chef versehentlich beim Angestellten zu Hause aufkreuzt und mit diesem, aber mehr noch mit dessen Ehefrau, aneinandergerät. Oder wenn drei Freunde wegen eines weißen Bildes, das einer von ihnen gekauft hat und für große Kunst hält, einander die Freundschaft aufkündigen („Kunst“).
Reza hat auch schwächere, im Kunstbetrieb spielende Stücke geschrieben, beispielsweise „Ein spanisches Stück“ oder „Ihre Version des Spiels“. Und auch ihre vorangegangenen Romane „Adam Haberberg“ oder „Im Schlitten Arthur Schopenhauers“ lassen jenes spezifisch Rezasche Element vermissen, das Komik aus dem ganz normalen, stets eskalierenden bürgerlichen Alltag zieht.
Umso schöner, dass die 18 Figuren, denen nach dem Prinzip des Reigens je ein Kapitel des neuen Romans gewidmet ist, wieder zeigen können, was in ihnen steckt: egoistische, verletzte, einsame Seelen, die hervorbrechen, wenn der Firnis der Kultur abplatzt. Sie alle sind locker miteinander verbunden, die drei Freunde Robert, Luc und Lionel, deren Ehefrauen, Eltern, Liebhaber, der Arzt Philip, ein berühmter Krebsspezialist, und einige seiner Patienten. Alle entstammen dem gutbürgerlichen Milieu. Viele kommen irgendwann an einen Punkt, an dem sie der Wahrheit ins Gesicht sehen.
Odile Toscano, die Ehefrau des Journalisten Robert, ist Anwältin, eine von den Guten. Sie vertritt die Opfer. Über ihren Liebhaber Rémi weiß sie: „Rémi rettet mich vor Robert, vor der verstreichenden Zeit und vor allen Arten von Melancholie.“ Rémi wiederum tut so, als ginge es mit Odile allein um „sexuelle Zerstreuung“. Doch wenn sie versehentlich den Namen ihres Mannes erwähnt, rumort es in ihm. „Es gefiel mir nicht, dass der Name Robert ins Gespräch einbrach. Es ärgerte mich, dass sie mir einen Einblick in ihr Leben gab, das mir egal ist in seiner Belanglosigkeit.“ Doch ganz so egal scheint es ihm nicht zu sein. Hektisch versucht er fürs Wochenende irgendeine andere Bekannte herbeizuzitieren.
„Liebe ist keine Garantie für Glück und sie kann auch ohne Glück existieren“, hat Yasmina Reza unlängst erklärt. In ihrem Roman legt sie Luc Condamine, einem verheirateten Chefreporter mit Freundin, die Worte in den Mund: „Du kannst in der Liebe nicht glücklich sein, wenn Du nicht zum Glücklichsein veranlagt bist.“ Zum Glück, das jeder Mensch im Leben sucht, braucht man also eine spezielle Veranlagung. Es liegt nicht im Erfolg, in der schicken Wohnung oder in der Ehe. Man findet es dort, wo sich Sehnsüchte erfüllen. Vielleicht findet es Hélène Barnèche, die nach Jahrzehnten einen alten Liebhaber trifft, der so dominant wie eh und je ist und sie einfach mit sich zieht: „Ich dachte, er ist vollkommen irre. Ich dachte, wir sind noch am Leben.“ Ganz gewiss findet es Jeanette Blot nicht, Odiles Mutter, die ewig ungeliebt in der Ehe mit einem Finanzpolitiker verharrte: „Mein Mann ist gerissen, verlogen, gnadenlos. Ich muss ja selber verdreht sein, dass ich von diesem Mann geliebt werden wollte.“
Pascaline und Lionel Hutner haben einen Sohn, der zuerst für die Sängerin Céline Dion schwärmt, bis er schließlich glaubt, er sei Céline Dion. Als Jacob 19 ist, muss er deswegen in die psychiatrische Anstalt. Dort ist er glücklich, denn er kann Autogramme geben. Die Eltern allerdings erzählen, ihr Sohn mache ein Praktikum in London. Bis es Lionel eines Abends vor seinen Freunden herausrutscht: „Jacob ist in der Geschlossenen.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, muss er losprusten. So ausgiebig, bis die Tränen fließen. Später lachen auch die Freunde mit. „Wir krümmten uns am Tisch, erstickten vor Lachen. Wir standen auf und flehten Lionel an, uns zu verzeihen.“ Dann stoßen sie an. Auf die Freundschaft.
Die Einsamkeit, sie verschwindet oft in den banalsten, nicht vorhersehbaren Momenten. Man kann es dann förmlich spüren, das Glück.
Yasmina Reza: „Glücklich die Glücklichen", Hanser Verlag, 176 S., 17,90 Euro