Wintersport zählt nicht zu den Themen, die Literaten bisher besonders interessiert haben. Aber: Erich Kästner hat die Berge geliebt – und berührende Geschichten darüber geschrieben.

Hamburg. Es ist ja nicht so wie im Sommer. Wenn sich die Körper der Athleten in Sonnenstrahlen hüllen, die Sonne ist dann der Scheinwerfer, unter dem alles zum Leben erwacht: die Radrennpflaster und Regattastrecken, die Hindernisparcours und Hockeyfelder. Und erst dann erst wird einem die ganze Bandbreite der Sportarten klar, denen man als Zuschauer so beiwohnen kann, im Wasser oder an Land, Freiluft oder Halle, mit Schlägern, Bällen, Waffen, Pferden oder ohne, in der Mannschaft oder allein. Und auch, wenn der Wettkampf drinnen stattfindet, dann ist es trotzdem Sommer im Leben, die Abende sind lang, und man kann früh aufstehen, um die ersten Wettbewerbe im Fernsehen zu schauen, so ein Olympiatag im Sommer, der kann erstaunlich lang sein.

Im Winter ist das anders. Alles fühlt sich schließlich anders an im Winter, weil das Leben dann schwieriger ist und die Umwelt feindlicher, und vielleicht ist das der Grund, dass so wenige Romane und Erzählungen bislang über Wintersport geschrieben wurden. Es gibt Romane über Fußball, Gedichte über Boxer und Rennfahrer, aber noch nie hat ein Autor das Leben eines Skilangläufers in Prosa gepackt. Die wenigen Werke, die es gibt, handeln vom Eishockey; aber selbst die „New York Times“, die sich jüngst auf die Suche nach der „Great American Hockey Novel“ machte, fand derer gerade mal zwei: Ken Drydens großartige Aufarbeitung seiner letzten Saison als Torhüter der Montreal Canadiens („The Game“, 1983) sowie Don DeLillo’s Roman „Amazons“. Auch das mangelnde Interesse amerikanischer Literaten am Eishockey spielt darin eine Rolle. „Es gibt in diesem Sport keine schwarzen oder hispanischen Elemente“, sagt einer der Protagonisten. „Wer möchte zwei weiße Typen zusehen, die sich schlagen? Die Gewalt hat keinen Biss. Sie ist irrelevant.“

Erich Kästner ging es nicht um die Überhöhung einer im Spiel ausgeübten Gewalt – er hat einfach nur den Winter geliebt. Wobei, da muss man genauer sein: Er liebte den Schnee und ganz besonders den Schnee und den Sonnenschein im Hochgebirge.

Er selbst war in Dresden aufgewachsen, in „ganz kleinen Verhältnissen“, wie er selbst einmal schrieb, der Vater Sattlermeister, die Mutter ein Dienstmädchen. 1917 wurde Kästner zum Militärdienst einberufen, der damit verbundene Drill zeichnete ihn für den Rest seines Lebens - er machte ihn herzkrank. Später, als er als Schriftsteller in Berlin lebte, waren die Ausflüge in die winterlichen Alpen für ihn wie Medizin: Er konnte schreiben und nebenbei zur Ruhe kommen. Und immer versuchte er dabei auch, einen Blick auf die Verrückten mit ihren Skiern und Schlittschuhen zu erhaschen. Manchmal war aus seinen Zeilen Wehmut zu hören, zu gerne hätte er die eine oder andere Sportart ausprobiert – wäre da nicht seine Herzschwäche gewesen.

Bobsleigh? Ein idiotischer Sport!

Es gibt ein wundervolles Buch, das der Deutsche Taschenbuch Verlag kürzlich herausgebracht hat, rechtzeitig zum Auftakt der XXII. Olympischen Winterspiele, die an diesem Wochenende in Sotschi beginnen. „Kästner im Schnee“ heißt es und enthält neben Gedichten und Auszügen seiner Romane viele Briefe an seine Eltern. „Es schneit ununterbrochen. Ich sah nach kurzem wie ein Schneemann aus, und die Schnürsenkel waren wie Streichhölzer“, schreibt er an seine Mutter Ida am 14. Januar 1935. Und drei Tage später: „Heute ist ein Bobsleigh vor der Tribüne verunglückt, auf der ich stand. 2 Fahrer wurden abtransportiert wegen Verletzungen. Ein idiotischer Sport!“

Am Tag darauf kommt er kaum dazu, einen ganzen Satz aufzuschreiben: „Ich hab nämlich ziemlich steife Finger, weil ich auf dem Eisstadion war und der Schlittschuhmeisterschaft zusah.“ Auch beim Skispringen war Kästner dabei. „Es sind viele Leute da. Denn heute war großes Skispringen. Sehr interessant“, schreibt er am 31. Januar 1932. „Ich sah zufällig diese Aufnahmen vom gestrigen Skispringen. Und weil ich mit auf der Tribüne stehe, hab ich sie gleich erworben, um sie Dir zu schicken. Siehst Du, daß ich schon ganz hübsch braun geworden bin? Man muß schon sehr genau hinschaun. Immerhin, besser als nix, ja?“ Und tatsächlich: Auf der Postkarte ist Kästner schemenhaft zu erkennen, mit Baskenmütze und Pelzkragen. Um ihn herum, auf der notdürftig zusammengenagelten Holztribüne, tragen die Männer Hut und Anzug mit Krawatte, darüber einen Mantel.

Es ist erstaunlich, wie wenig Kästner von den Sportereignissen, die er als Zuschauer verfolgte, später in seine Werke einfließen ließ. Seine Verwechslungskomödie „Drei Männer im Schnee“ aus dem Jahr 1934 nährt sich zwar aus den Erlebnissen mehrerer Aufenthalte im Grandhotel Kitzbühel, es diente ihm als Vorbild für das Grandhotel Bruckbeuren. Aber Wintersport kommt in der Erzählung nur am Rande vor. Anders in der Geschichte „Zwei Schüler sind verschwunden“, in der Kästner Matthias und Uli, seine Helden aus dem „Fliegenden Klassenzimmer“, zu den Olympischen Winterspielen nach Garmisch-Partenkirchen schickt – beziehungsweise, sie aus dem Internat „türmen“ lässt. Unbedingt wollen die beiden das Eishockeyspiel Kanada gegen England sehen. Allerdings hatte Matthias für seine zwei Mark natürlich keine Eintrittskarten bekommen.

Was fesselt die Menschen am Wintersport?

Am Ende schaffen sie es trotzdem ins Stadion, und man bekommt einen Eindruck davon, wie sehr auch Kästner fasziniert von den Massen und dieser Sportart gewesen sein muss. „Vor ihnen auf der von schwarzen Menschenmassen umgebenen Eisfläche jagten die Hockeyspieler auf Schlittschuhen hin und her und schwangen die gebogenen Schlaghölzer. Zwei Spieler prallten gegeneinander. Der eine fiel um und blieb regungslos liegen. (...) Der Torhüter schleuderte den Puck in die Mitte der Eisfläche zurück. Die Spieler erhoben sich hastig und flitzten hinter ihm her wie die wilde Jagd. Das Publikum fieberte. Der Lärm drang bis in die fernen Berge und kam als Echo wieder.“ Natürlich geht das Abenteuer für Matz und Uli gut aus – ein Lehrer findet die Ausreißer, immerhin mitten im Getümmel des Zweierbobrennens am Rießersee.

Die Faszination für Wintersport und überhaupt, für das Treiben der Flocken ist ja vor allem eine kindliche. Wer sonst hätte sie besser in Worte fassen können als Erich Kästner? Schade, dass er sich bei seinen Aufenthalten in den Alpen nie mit einem Eismacher unterhalten hat. Ihre Kunst ist bislang noch nie von der Literatur gewürdigt worden, wirklich verwunderlich ist das. Gutes Eis, erzählte ein Eismacher einmal in der „Berliner Zeitung“ könne man am Geräusch erkennen, das die Kufen auf ihm erzeugten – es klinge dann so schön fauchig.

Was fesselt die Menschen am Wintersport? Vielleicht ist es das Gefühl von vorgespulter Zeitlupe, das Eisschnellläufer erzeugen, wenn sie Runde um Runde ihre Kufen auf die glänzende Bahn setzen. Vielleicht ist es der Todesmut der Rodler, die sich flach auf ein Paar Kufen gestreckt durch Loopings und Kurven schleudern lassen. Aber wer verarbeitet all dies alles endlich einmal in einem Roman?