Carl Philipp Emanuel Bach, Christoph Willibald Gluck und Giacomo Meyerbeer stehen im Schatten der Komponisten-Prominenz, doch jetzt werden auch sie gefeiert.

Hamburg. Künstlerpech, so muss man es wohl nennen. Nachdem 2013 mit Wagner, Verdi und Britten gleich drei populäre Superschwergewichte der Musikgeschichte als Jubilare groß und breit von allen abgefeiert wurden, ist 2014 eher etwas für Feinschmecker. Denn abgesehen von Richard Strauss, der mit seinem 150. Geburtstag und seinen Werken wirklich nicht in die Kategorie „zu Recht vergessen“ gehört, könnten in den nächsten Monaten zwei Komponisten rehabilitiert werden, an denen das undankbare und unverdiente „Kleinmeister“-Etikett schon viel zu lange klebt wie Pech.

In Hamburg, wo er lange wirkte und 1788 seine letzte Ruhe in der Michel-Krypta fand, geht es vor allem um Carl Philipp Emanuel Bach, der vor 300 Jahren geboren wurde und seinerzeit weitaus bekannter war als sein Vater und jeder seiner Brüder. „Er ist der Vater, wir sind die Buben. Wer von uns was Rechtes kann, hat’s von ihm gelernt“, mit diesem Kniefall hat Mozart ausgedrückt, was damals Konsens war. Doch obwohl Bachs „Versuch über die wahre Art Clavier zu spielen“ als Lehrwerk Pflichtlektüre sein sollte, lassen praktisch alle im Konzertsaal die Finger davon.

Den Opernreformer Christoph Willibald Gluck, vier Monate jünger als der Kollege, ereilte im Laufe der Jahrhunderte, die nach ihm kamen, das gleiche Schicksal wie Johann Sebastians Zweitältester. Auch er wurde vom gefeierten Originalgenie auf Zwischengröße-Format heruntergestutzt und mehr und mehr schlicht überhört. Sie wurden zu kleineren Lichtern degradiert, im unentrinnbaren Schatten der barocken Vorgänger und von nachfolgenden Genies wie Mozart oder Beethoven.

Die ganz besondere spätbarock-vorklassische Kunst von Gluck und Bach ist in verstaubte Randbereiche der Traditionspflege abgeschoben worden und dieser Teufelskreis scheint unentrinnbar. Wer kaum aufgeführt wird, kann auch nicht mit Kompetenz und Beliebtheit rechnen, was kaum gehört wird, klingt länger ungewohnt. Und den meisten Musikern und Ensembles fehlt die Erfahrung im praktischen Umgang damit, sie fremdeln und verspannen. Das Ergebnis: Mittelmaß und damit noch mehr Entbehrlichkeit. Vieles klingt dann nach der Meterware, die weder Bach noch Gluck abliefern wollten. Und das trotz der Wichtigkeit, die beide Tonsetzer größer machen sollte, als sie sind.

Beide hatten zu Lebzeiten das Glück, im kleinen, feinen Zwischenzeitalter der Empfindsamkeit Wegbereiter stilistischer Neuerungen gewesen zu sein: Nicht mehr Barock, noch nicht ganz klassisch, ansatzweise aufgeklärt, aber noch nicht so radikal wie folgende Generationen. Die Wiener Klassik inszenierte sich vielleicht aber auch nur konsequenter. Hier konnten die Komponisten-Egos noch besser aufblühen, hier gab es mit der Donaumetropole einen Nabel der Musikwelt, einen geradezu magischen Ort, in dem man sein musste, um zu den Großen zu zählen. Auch die Kunst der Selbstvermarktung von Kunst und ihren Produzenten wurde in Wien oder im Wiener Dunstkreis immer raffinierter gestaltet.

Bachs Genius, als Cembalist am Hof Friedrichs des Großen geprägt und in Hamburg als Nachfolger Telemanns gereift, litt unter der Ungnade der zu frühen Geburt. Und Glucks Opernreform, mit der er wieder das Individuum und seine Gefühle in den Mittelpunkt des Bühnengeschehens stellen wollte? Musik und Wort als gleichberechtigt, kein Koloraturengeschleuder mehr, keine schematisch durchorganisierte Affekt-Besichtigung wie im Barock? Sie wurde mit den allermeisten seiner rund 50 Opern als ästhetischer Debattenbeitrag abgeheftet. Noch unterhalb der frühen Oper-seria-Fingerübungen Mozarts, die bei liebloser Behandlung auch arg zäh sein können.

Stoff für dröge Seminare, das vielleicht noch, aber nichts fürs echte Musikleben unserer Gegenwart, wo es auf der Opernbühne oft um Show und Stars geht und nicht ums Fingerspitzengefühl, das diese so gefällig und dezent daherkommende Musik benötigt, um nicht unter dem Erwartungsdruck zu zerbrechen. Gluck wollte, ganz ähnlich wie der Hamburger Bach, das Beste aus zwei Welten auf einen Nenner bringen, bei ihm sollten französische und italienische Opern-Elemente eine anrührend menschliche Synthese eingehen. Für Wagner, der sich nur die Besten als Idole gönnte, war er deswegen ein „einsamer Leitstern“.

Als dritter Sonderbarling des Jahres, der ganz anders aus der Reihe fällt als Bach und Gluck, wäre der vor 150 Jahren gestorbene Opern-Maniker Giacomo Meyerbeer zu nennen. Dessen exaltierte Breitwand-Opern für das Pariser Publikum werden heute fast nur noch als Spektakelsuchtbefriedigung erwähnt und in der Praxis kaum noch aufgeführt. Meyerbeer war der Steven Spielberg seiner Zeit, seine Grand Opéras funktionierten nach dem Prinzip „Größer, voller, teurer“, und der Erfolg gab ihm Recht. Keine Oper im 19. Jahrhundert wurde so oft gespielt wie „Die Hugenotten“, ein pompöser Fünfakter, den man inzwischen nur noch vom Hörensagen kennt. Und während C.P.E. Bachs Werke heute oft als zu pétit abgetan werden, weil sie eben nicht mit der Tür ins Haus fallen wie eine grundsätzlich auf Krawall gebürstete Beethoven-Sinfonie, scheuen die meisten Opernhäuser den immensen Aufwand, den ein Meyerbeer-Kraftakt ihnen abverlangen würde.

Den dynastischen Aspekt des posthumen Pechvogel-Schicksals von C.P.E. Bach schildert, wenn auch eher am Rande, eine episch weit ausholende Sammelbiografie: „Die Bachs. Eine deutsche Familie“ fängt zwar nicht bei Adam und Eva an, aber immerhin beim Stammvater, Veit mit Vornamen, 1550 geboren. Johann Sebastian, der viel spätere Thomaskantor, tritt erst auf Seite 169 persönlich als einzigartiges Talent ins Rampenlicht dieser Komponistengroßfamiliensaga.

Bei dieser Aufzählung der vielen tugendsamen Fleißarbeiter für Kirchen und Dienstherren kommt allerdings auch ein weiterer Misserfolgsfaktor ins Spiel: die mitunter erdrückende Last, die der Respekt vor dem Übervater Johann Sebastian mit sich brachte. Sie mussten aus seinem Schatten stürmen und drängen. Wirklich gelungen ist es keinem von ihnen. Musikgeschichte hat mit Gerechtigkeit nur wenig zu tun.

Termine: Ensemble Resonanz spielt Werke von C.P.E. Bach, Hämeeniemi, Haydn, Dvorak 28.1., 19 Uhr, Laeiszhalle, Kl. Saal. Am 28.2. hat am Theater Lübeck die Gluck-Oper „Armide“ Premiere.

Infos: www.theaterluebeck.de.

CDs: Die Pianistin Ana-Marija Markinova hat für Hänssler Classics das Klavierwerk von C.P.E. Bach eingespielt, die 25-CD-Box erscheint Ende Februar. Einen Querschnitt bietet die CD „300 Years. His Music – His Life“.

Buch: Klaus-Rüdiger Mai „Die Bachs. Eine deutsche Familie“ Propyläen, 460 S., 26,99 Euro.

Infos zum C.P.E.-Bach-Jubiläum: www.cpebach.de