Beyoncé überrascht mit ihrem über Nacht veröffentlichten neuen Album ihre Fans – und bricht auf iTunes alle Rekorde. „Beyoncé“ ist ein audiovisuelles Werk – und musikalisch ein bisschen langweilig.

Es mag derzeit ein Stoßseufzer durch die Tonträgerindustrie gehen – einerseits. Die R&B- und Soulkünstlerin Beyoncé hat gerade in drei Tagen knapp 822.000 Alben auf iTunes verkauft. Das ist einsamer Rekord und zeigt, dass die „Divendämmerung“, die angesichts „Spiegel Online“ kürzlich angesichts schwacher Verkaufszahlen ausrief, nicht alle weiblichen Popsängerinnen betrifft.

Andererseits ist es so, dass die Amerikanerin, deren neues und fünftes Album „Beyoncé“ heißt, einen weiteren Beweis dafür geliefert hat, dass es große Plattenfirmen gar nicht braucht, um großen kommerziellen Erfolg zu haben. Über Monate hatten sich die Fans gefragt, wann wohl das neue Album des Superstars endlich erscheine. Dann war es plötzlich da, über Nacht, veröffentlicht nur auf iTunes. Keine Werbung, kein Radio-Airplay, keine CD – zunächst einmal, seit gestern ist „Beyoncé“ als Doppelalbum zu haben. Keine Marketingmaschine, die angeworfen wird, sondern das Vertrauen auf die eigene kreative Leistung und die Multiplikationsmöglichkeiten der sozialen Netzwerke – und sicherlich auch die Gewissheit, dass Journalisten die „Weniger ist mehr“-Strategie derzeit aufregend genug finden, um immer wieder darüber zu schreiben.

Das wird sich geben, denn bald schon wird die neue Einfachheit im Lancieren eines Produkts der Kulturindustrie alltäglich sein. Mit der digitalen Wende ändern sich nicht nur die Tonträger, sondern auch die Art ihrer Verbreitung. Radiohead haben das im vergangenen Jahr so gemacht, in diesem war die größte Überraschung David Bowies plötzliches Auftauchen: Im Januar war von jetzt auf gleich sein neues Album „The Next Day“ zu haben. Niemand hatte irgendetwas davon gewusst. Ganz so geheim war die Sache weder bei Arcade Fire, die bei „Reflektor“ auf sibyllinische Verlautbarungen setzten statt auf herkömmliche Werbebanner. Und bei Beyoncé wusste man ja, dass etwas im Busch war.

Trotzdem ist „Beyoncé“ in seiner Fülle und in seinem Konzept eine unerwartete Angelegenheit. Wer das Album erwirbt, bekommt 14 Songs und 17 Videos: Ladetechnisch ist „Beyoncé“ eine Sache im Gigabyte-Bereich.

Es sei ein „visuelles Album“, erklärt die Sängerin auf ihrer Homepage – und lässt in den manchmal selbstironischen, bisweilen gar intim anmutenden Clips sowohl Ehemann als auch Tochter auftreten. Musik ist bei Beyoncé Family Business, Gatte Jay-Z gilt als einer einflussreichsten und erfolgreichsten Rapper überhaupt. Bezüglich des Ruhms bleibt festzuhalten: Balladen und R&B gehen immer, aber der Clou bei Beyoncé ist die audiovisuelle Zweispurigkeit, auf der sie an die Spitze der Pop-Charts rauscht. Ein tolles Gesamtpaket, das seinen Ursprung wohl in dem Dokumentarfilm „Life Is But A Dream" hat, den Beyoncé für HBO drehte. Sie selbst führte Regie, Anfang des Jahres lief der Film mit herausragender Quote im amerikanischen Fernsehen. In der Riege des Superstars ist die Sängerin mittlerweile, das kann man wohl sagen, eine Größe für sich. Trotzdem gewinnt sie dem Genre ästhetisch nichts Neues hinzu, sie mag eine makellos aussehende Frau sein mit einer perfekten Stimme und dem Sound der Gegenwart, aber in eine aufregende Zukunft, mit neuen Beats oder neuen Tricks, weist „Beyoncé“ nicht. Natürlich wohnt die Dame im Wohlfühlwinkel dieser Welt (das weiß sie auch), dort ist man trunken vor Liebe und singt im Duett mit Jay-Z „Drunk In Love“: „I've been drinking, I've been drinking/I get filthy when that liquor gets into me/I've been thinking, I've been thinking/Why can't I keep my fingers off it, baby?/I want you, na na/Why can't I keep my fingers off it, baby?/I want you, na na".

Sinnlich und sexy ist das Beyoncé-Programm, aber die Frau ist längst nicht nur Oberfläche: In „Flawless“ ist die Stimme der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie zu hören, sie setzt sich für Frauenrechte ein.