Bereits zum dritten Mal ermittelt der Schauspieler im „Tatort“ als Felix Murot. Diesmal im Zirkus, wo er mit dunklen Geheimnissen und amourösen Gefühlen konfrontiert wird.

Hamburg. Die Welt des Zirkus folgt eigenen Gesetzen. Immer unterwegs, alle paar Tage in einer anderen Stadt, wird die schöne, bunte Illusion von familienähnlichen Clans erzeugt, in denen Zusammenhalt alles ist und individuelle Bedürfnisse nichts gelten.

Durch zwei Episoden im Leben des LKA-Chefs Felix Murot hat sich Ulrich Tukur im Hessischen bereits gearbeitet. Markenzeichen seines „Tatort“-Kommissars: Melancholischer Blick auf die Welt und ein Tumor mit Namen Lilli im Kopf. Den ist er in der dritten Episode „Schwindelfrei“ auf wundersame Weise los, nur am Rande wird erwähnt, dass es Operationen und eine lange Genesung gebraucht hat.

Diesmal ermittelt Murot also im Zirkusmilieu. Dort erwecken Artisten bevorzugt osteuropäischer Herkunft aus Albanien, dem Kosovo bis Moldawien mit teils traumatisierender Kriegsvergangenheit seinen Verdacht. Eigentlich will Murot in Fulda beim gemeinsamen Zirkusbesuch mit seiner patenten Assistentin Magda Wächter (souverän mit ruppigem Charme: Barbara Philipp), die er immer nur seltsam geschlechtslos „Wächter!“ ruft, sein wiedergeschenktes Leben feiern. Während der Zirkusvorstellung wird er Zeuge eines hysterischen Anfalls einer Besucherin. Wenig später ist sie verschwunden und dabei längst tot. Regisseur Justus von Dohnányi, der schon Murots zweiten Fall in Szene setzte und hier auch das Drehbuch verfasst hat, ist selbst Schauspieler und kennt die geheimen Wünsche seiner Kollegen. Den zweiten Teil hatte er in eine surreale Szenerie der 50er-Jahre verlegt. Die Zirkusluft ist das ideale Umfeld für Ulrich Tukur, den viel begabten Schauspieler, Musiker, Autor, der hier wiederum alle Narrenfreiheiten genießt und den ohnehin mehr zu interessieren scheint, in welcher Ecke wohl ein Klavier zu finden ist, das darauf wartet, bespielt zu werden.

Man ahnt es schon: Murot heuert undercover als Pianist bei der Zirkuskapelle an, hinter der sich ziemlich vorhersehbar mit Ulrich Mayer, Kalle Mews und Günter Märtens Tukurs erprobte Begleitband Die Rhythmus Boys verbirgt. Bei den gemeinsamen Feiern nach Vorstellungsende greift Murot auch mal zum Akkordeon. Verguckt sich außerdem in der Enge eines Zirkuswagens in die schöne, traurige Trapezkünstlerin Caja (Dorka Gryllus). Liebäugelt mit einer Wende in seinem Leben. Und vergisst darüber beinahe den aktuellen Fall. Alle, das spürt der Zuschauer sofort, haben hier ein Geheimnis, tragen eine seltsame Schwere mit sich herum.

Manche, wie der Albaner Buca (Jevgenij Sitochin), sind leicht reizbar. Der Messerwerfer Frank (Uwe Bohm) erscheint undurchsichtig, und Caja und ihre Tochter hüllen sich hinter ihren verschlossenen Gesichtern in Schweigen. Manches deutet auf einen Zusammenhang von Macht und Erpressung hin. Ein ominöses Tagebuch bringt weitere Menschen in Gefahr. „Schwindelfrei“ nimmt sich auf angenehme Weise Zeit, die Zusammenhänge zu erzählen.

Für Hamburger Zuschauer ist dieser Tatort wie eine Begegnung mit guten alten Freunden. Viele bekannte Theaterschauspieler sind in Nebenrollen zu sehen. Josef Ostendorf, soeben vom Thalia ans Schauspielhaus gewechselt, zeigt seine gewohnte Klasse als verschlagener Zirkusdirektor Raxon. „Halte deine Truppe zusammen“, lautet sein Credo. Thalia-Actrice Victoria Trauttmansdorff spielt die verschwundene jugoslawische Imbissverkäuferin. Katharina Matz ist als klatschlustige Kaffeetante zu erleben. Und Zazie de Paris, unter Peter Zadek zehn Jahre lang am Schauspielhaus engagiert, gibt eine hinreißende Pudel-Dompteuse in Pink. Auch hier rückt der Krimiplot in den Hintergrund – zugunsten eines menschlichen Dramas, das mitten im Milieu der Zauberer und Artisten von der Enge erzählt, die die Erinnerungen und die Vergangenheit erzeugen.

Auch den musikbegeisterten Murot wird sie einholen. Es könnte ja doch ein Schaden zurückgeblieben sein, der seine Wahrnehmung so beeinträchtigt, wie zuvor der Tumor in seinem Kopf. „Vielleicht waren Sie etwas verwirrt in dem Moment“, vermutet eine Kollegin, der er von Beobachtungen erzählt. Selbst Wächter schafft es, ihn mit der Annahme „Sie sehen Gespenster“ in Rage zu bringen. „Es wird nie mehr so wie früher“, antwortet er nur knapp, „auch nicht bei Ihnen.“

Und so fasziniert dieser durchweg exzellent gespielte „Tatort“ weniger mit dem Rätsel um das Ableben einiger Figuren, sondern vor allem mit einem philosophischen Blick auf das Leben, das mit seinen Volten immer neue Möglichkeiten schafft. Auch für einen LKA-Chef.

„Tatort: Schwindelfrei“, 8.12., 20.15 Uhr, ARD