Die in Hamburg ausgebildete Nachwuchsschauspielerin Julia Riedler erhält an diesem Sonntag im Thalia Theater den renommierten Boy-Gobert-Preis
Hamburg Der erste Eindruck: Die ist anders. Ein hübsches alabasterfarbenes Gesicht unter roten Locken. Niedlich, aber halt, da ist dieser aufmüpfige Blick aus großen Kulleraugen. Und dieser irritierend raue, wenig mädchenhafte Klang ihrer Worte. „Julia Riedler nutzt den Charme ihrer kratzig-brüchigen Stimme und die Entschiedenheit ihrer Jugend, die auf glatten Perfektionismus pfeift und Raum lässt für Überraschungen“, heißt es in der Jurybegründung für den diesjährigen Boy-Gobert-Preis. An diesem Sonntag wird Riedler die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung für Nachwuchsschauspieler an Hamburger Bühnen in einer Feierstunde im Thalia Theater entgegennehmen.
„Das ist eine große Ehre und Freude für mich“, sagt die 1990 in Salzburg geborene Schauspielerin und bewegt zwischen ihren Fingern eine lange schwarze Halskette. Dass sie den renommierten Preis der Hansestadt erhält, begeistert sie besonders. Denn obwohl sie von dieser Spielzeit an dem neuen Ensemble von Stefan Bachmann am Schauspiel Köln angehört, bezeichnet sie sich selbst als „Hamburgerin mit österreichischem Migrationshintergrund“. „Hamburg ist Pop und hat dabei Qualität, man kann es nicht auf eine Eigenschaft festlegen“, sagt Julia Riedler. „Das hat mich immer fasziniert. Ich mag es auch nicht, auf eine Kategorie festgelegt zu werden.“
In Hamburg hat sie von 2009 bis 2013 Schauspiel an der Theaterakademie studiert, ist in ersten Inszenierungen aufgetreten, als Teil des Kollektivs cobratheater.cobra in der Freien Szene und am Schauspielhaus in der Inszenierung „Ein Sommernachtstraum“ von Samuel Weiss. Nebenbei hat sie noch beim Kunstcamp des Dockville-Festivals die Performance-Sparte kuratiert. Vor allem in der Rolle des Puck im „Sommernachtstraum“ überzeugte sie die Jury unter dem Vorsitz des Schauspielers Burghart Klaußner.
Weiss habe sie nach vorne gepusht. Über den Ex-Thalia-Schauspieler Bruno Cathomas sagt sie, dass er sie als Lehrer auf der Akademie gerettet habe. „Ich wollte ihnen wegrennen, und damit hat es angefangen. Da ist etwas passiert“, sagt Julia Riedler. „Beide haben gesehen, dass ich unbequem bin, aber haben meine Risikobereitschaft eher unterstützt, als zu sagen, das geht nicht, das ist zu viel, zu anders, zu schwierig.“
Sie sagt das mit diesem engelsgleichen Lächeln, aber man spürt, die kann auch anders. „Ich hasse Langeweile auf der Bühne. Sehr. Ich finde, als Schauspieler bequem zu sein ist ein Verrat an der Menschheit.“ Starke Worte. Jeder wolle doch herausgefordert werden, sie als Spielerin und die Zuschauer genauso. Die wichtigste Erkenntnis ihres noch jungen Schauspielerinnenlebens: „Man muss bei sich anfangen, persönlich sein.“ Schlimm findet sie, wenn ein Darsteller versucht, vorgefertigte Bilder einer Figur lediglich auszufüllen. Am Theater gebe es viele fertige Kategorien von Menschen, Rollen, Genres. „Die muss man aufbrechen. Ich versuche, von mir auszugehen, mich zu radikalisieren, damit es dramatisch wird. Radikal sein heißt persönlich sein.“ Regisseuren, die sich eher als Dirigenten verstehen und die Spieler lediglich gut ausgeleuchtet von links nach rechts schicken, höre sie überhaupt nicht zu. Das sagt sie so überzeugend, dass keine Zweifel an ihrer Kompromisslosigkeit aufkommen.
Ihr eigenes Theaterverständnis formte sie innerhalb des Theaternetzwerks cobrathetaer.cobra. Sie fand einen Weg zwischen ihrem eigenen Verständnis von Schauspielerei und dem Zwang, eine Figur im Sinne der Regie abzuliefern. Ein breites Interesse auch an bildender Kunst und Performance ist ihr wichtig. Derzeit schreibt sie mit dem österreichischen Regisseur Julian Pölsler („Die Wand“) an einem Drehbuch. „Man darf nicht versumpfen, muss sich intensiver, größer denken.“ Viel Zeit verwendet Julia Riedler in Probenphasen darauf, den Text sehr genau zu verstehen, jedes Wort in seiner Bedeutung und im Zusammenhang zu erfassen, technisch exakt zu sein. Dann aber interessiere sie die Livesituation auf der Bühne, das „Hinfallen und Nichtkönnen“. Das alles erzählt sie mit einer für ihr Alter erstaunlichen Selbstgewissheit, doch auch Riedler räumt ein, in den Wochen vor einer Premiere Ängste auszustehen, auch mal nicht zu wissen, wie etwas geht. „Ich kann mir bequemere Berufe vorstellen.“
Lange Zeit wusste sie gar nicht, dass man die Schauspielerei als ordentlichen Beruf erlernen kann. In der Nähe von Salzburg auf dem Bauernhof der Großeltern aufgewachsen, besuchte Riedler ein elitäres Sprachgymnasium in Salzburg, studierte zunächst Jura. Das Spiel war Hobby. An der Rechtswissenschaft reizte sie, dass man sehr präzise denken musste. Eine Qualität, die ihr auch beim Spiel unverzichtbar ist. „Ich bin oft erschöpft. Auf der Bühne laufe ich viel herum, springe, stolpere, aber am anstrengendsten ist das Denken, das wahnsinnig schnell gehen muss.“ In Wien klappte es mit dem Vorsprechen am Max-Reinhardt-Seminar nicht, weil sie wohl nicht dem gesuchten Typ entsprach. Eine Ablehnung, die sie persönlich nahm und als schmerzhaft erlebte. In Hamburg wusste man sie zu schätzen. „Hier haben sie verstanden, dass Anderssein seinen Reiz hat.“
Am Schauspiel Köln hofft sie, überrascht zu werden und überraschen zu dürfen. Dafür hat sie Angebote in Dresden und in Hamburg am Schauspielhaus ausgeschlagen. Hamburg ist erst mal Geschichte. Aber eines steht für sie jetzt schon fest. „Ich komme wieder.“
Boy-Gobert-Preisverleihung an Julia Riedler
So 1.12., 11.00, Thalia Theater, Alstertor, Eintritt frei