Joanne K. Rowling hat unter dem Pseudonym Robert Galbraith einen lesenswerten Kriminalroman geschrieben: „Der Ruf des Kuckucks“. Ihr Buch ist in der Tradition britischer Detektivgeschichten verankert.

Es gab ein mächtiges Rauschen im Blätterwald, als im vergangenen Sommer bekannt wurde, wer sich hinter dem bis dato völlig unbekannten Autor Robert Galbraith verbarg. Unter diesem Namen war in Großbritannien gerade der Kriminalroman „The Cuckoo’s Calling“ erschienen – und geschrieben hatte den Roman die „Harry Potter“-Erfinderin Joanne K. Rowling. Ihr Anwalt, so wurde kurz darauf kolportiert, habe das Pseudonym enttarnt, die Empörung bei der Autorin war groß, der Marketing-Coup perfekt. Alle Welt sprach über das Buch.

Jetzt ist der Roman unter dem Titel „Der Ruf des Kuckucks“ auf Deutsch erschienen, ebenfalls unter dem Autorennamen Robert Galbraith, wenngleich mit einem knallroten Aufkleber, wer denn das Buch tatsächlich geschrieben hat. 300.000 Exemplare schickt der Verlag Random House in der Erstauflage ins Rennen. Die mediale Aufgeregtheit hat sich mittlerweile gelegt, was bleibt, ist allein die Geschichte, die Rowling erzählt, und die ist lesenswert.

Ihren Roman hat die Autorin tief in der Tradition britischer Detektivgeschichten verankert. Das ermittelnde Personal ist klassisch: Da ist der nahezu mittellose Detektiv Cormoran Strike, dem einst eine blendende Karriere beim britischen Militär in Aussicht stand, bis ihn ein während eines Afghanistan-Einsatzes verlorener Unterschenkel jäh in seinen Ambitionen bremste. Zu Beginn des Romans verlässt er seine verwöhnte Freundin und muss aus deren Luxusapartment ausziehen. Jetzt haust er mit einer Campingliege und ein paar Pappkartons voll der nötigsten Klamotten in seinem kleinen Büro mitten in London. Und dann ist da die junge Robin Ellacott, sie steht kurz vor der Eheschließung und wünscht sich doch ein bisschen mehr vom Leben, sie hofft, eines Tages jenes Abenteuer zu entdecken, das gleich um die Ecke liegt. In der Jugend träumte sie sich hinein in ein Leben als Detektivin, nun ist sie auf der Suche nach einem Job. Und wird von einer Arbeitsagentur an Cormoran Strike vermittelt, in das karge Büro eines Detektivs also. Robin kann ihr Glück kaum fassen.

Das alles steckt voller Klischees, gewiss, doch im Laufe der Geschichte entwickelt sich aus den beiden Protagonisten ein wirklich charmantes Ermittlerduo: das schmuddelige Raubein und die liebevolle Pedantin, Robin wird für den kriegstraumatisierten Strike zu einer Art weiblicher Dr. Watson.

Alles beginnt mit dem Tod eines Supermodels. Die junge Lula Landry, Covergirl exklusiver Modegazetten und bei einem exzentrischen Designer unter Vertrag, ist vom Balkon ihres Fünf-Sterne-Apartments auf den schneebedeckten Asphalt gestürzt und verblutet. Die Polizei gibt sich schnell mit der Erklärung Selbstmord zufrieden, schließlich galt Lula als psychisch äußerst labil. Allein ihr Bruder John Bristow glaubt nicht an die Suizidtheorie, allzu viele Fragen sind aus seiner Sicht während der polizeilichen Recherchen ohne Antwort geblieben, also wendet er sich an Cormoran Strike, den er noch aus seiner Jugendzeit kennt. Und so kommt der mittellose Strike zu einem äußerst lukrativen Job, denn Bristow ist Teilhaber einer florierenden Anwaltskanzlei.

Rowling treibt ihren Ermittler durch die unterschiedlichen Milieus – in die so glamouröse wie blasierte Welt der Models und der Reichen, hinter deren strassbesetzten Fassaden Hass, Gier und Missgunst lauern, wie auch in die dunklen Gassen Londons, in denen jene Armut wohnt, die sich längst aufgegeben hat und Moral nicht mehr kennt. Wobei es der Autorin glückt, die jeweilige Diktion ihrer literarischen Klientel pointiert zu Papier zu bringen.

Cormoran Strike watet knietief und stoisch durch einen moralischen Morast, bis er all die Lügen, die ihm aufgetischt werden, zu demaskieren weiß. Wie er das schlussendlich macht, das stellt ihn hinein in die klassische Tradition englischer Detektivromane, wie man sie von Agatha Christie und ihren Epigonen kennt. Der Detektiv entpuppt sich am Ende als nahezu Allwissender. Modernität in Form und Inhalt kann man Joanne K. Rowling wahrlich nicht unterstellen. Was dem Vergnügen an diesem kriminalliterarischen Schmöker jedoch keinen Abbruch tut.

Gewiss, ihre Geschichte hätte Rowling auch auf gut 200 Seiten erzählen können, sie aber gönnt sich knappe 640. Und letztlich ist es eben gerade dieser epische Erzählstil, den Rowling auch in ihren „Harry Potter“-Romanen pflegt, ist es ihre Liebe zur detaillierten Schilderung, die die Atmosphäre dieses Kriminalromans und damit seine Stärken ausmachen. Trotz aller Klischees und literarischen Schablonen, derer sich die Bestsellerautorin spielerisch und in einigen Szenen auch schon mal ironisierend bedient.

Es ist ein unterhaltsames kriminalistisches Puzzle, das Rowling ausbreitet. Wobei natürlich nicht viele Wege, sondern nur einer zur Lösung geleitet. Die Autorin schickt ihre Leser dabei auf eine Spurensuche, als gelte es, die verwinkelten, hier und dort ins Ungewisse führenden Treppenstufen in dem Zauberinternat Hogwarts zu ersteigen. Schüler Potter lässt grüßen. In „Der Ruf des Kuckucks“ aber führen diese Stufen zu einem recht schlüssigen Ziel. Und hinter dem Tod des Supermodels öffnet sich ein Abgrund familiärer Dramen.

Das ermittelnde Duo Cormoran Strike und Robin Ellacott jedenfalls dürfte auf Serie angelegt sein. Man möchte schon gern wissen, wie es mit den beiden, die sich am Ende zusammengerauft haben (wenngleich nicht als Liebespaar), weitergeht. Zwei wunderbar konträre Charaktere sind das, die Joanne K. Rowling da ersonnen hat, in ihnen steckt reichlich erzählerisches Potenzial. Im Herbst kommenden Jahres soll offenbar der zweite Band erscheinen. Ob es am Ende dann wieder sieben Romane werden, wie in Rowlings „Harry Potter“-Reihe, sei mal dahingestellt.

Der deutsche Verlag versichert zudem standhaft, er habe sich die Rechte an dem Manuskript bereits gesichert, bevor klar war, wer eigentlich hinter dem Pseudonym Robert Galbraith steckt. Das mag glauben, wer will. Wunder, so sagt man ja, gibt es immer wieder. Bei einer Autorin wie Joanne K. Rowling sind sie offenbar Programm.

Robert Galbraith: „Der Ruf des Kuckucks“.

Dt. von Kristof Kurz, Christoph Göhler und Wulf Bergner, Blanvalet Verlag, 640 Seiten, 22,99 Euro