Brad Pitt im neuen Kinofilm „The Counselor“? Natürlich gut! Noch besser ist allerdings US-Schriftsteller Cormac McCarthy, der das Drehbuch zu dem Kinofilm schrieb. Unsere Empfehlung – lesen statt glotzen!

Hamburg. Es muss schon ein Drehbuch von Cormac McCarthy sein, das einfach vor Anlaufen des Films veröffentlicht wird – alles andere wäre Hybris oder Nonsens. Bevor „The Counselor“ unlängst in der Originalversion in den angloamerikanischen Kinos anlief, erschien das Skript in Buchform. Hierzulande kommen Vorlage („Der Anwalt“, Rowohlt Verlag) und Umsetzung etwa gleichzeitig heraus. Auf seine Art ist der Amerikaner eben ein genauso großer Star wie Brad Pitt, Michael Fassbender, Cameron Diaz und Penelope Cruz. Die spielen alle mit in dem von Ridley Scott regiemäßig verantworteten Film; sicherlich die größte Superstardichte in einen cineastischen Kunstwerk in diesem Kalenderjahr.

Natürlich ist die Literatur nicht annähernd so glamourös ist wie Hollywood. Aber im Reich der bedruckten Seiten ist es allemal bemerkenswert, dass sich einer so wichtig nehmen und dem Publikum seine Erfindung präsentieren darf, bevor Brad Pitt die Szene betritt. Cormac McCarthy war lange der beste unbekannte Autor Amerikas, seit einigen Jahren schon ist er einfach nur der beste Autor Amerikas, ganz vielleicht sogar der Welt, könnte man das denn messen. McCarthy zu würdigen heißt automatisch, ihm eine Liebeserklärung zu machen: für ein gewaltiges Werk, das im Verlauf von fünf Jahrzehnten in zehn Romanen erschienen ist und seinen festen Platz in der Weltliteratur hat.

Im Sommer hat der Solitär aus Santa Fe, New Mexico, der in Rhode Island geboren wurde, seinen 80. Geburtstag gefeiert. Den Nobelpreis hat er leider wieder nicht bekommen. Womit er sich ja in guter Gesellschaft befindet: Die Nichtberücksichtigung beim Stockholmer Lorbeerkranz-Flechten adelt auch irgendwie.

McCarthys Werk durchzieht eine Spur der Gewalt

McCarthys Status wird auf andere Weise gefestigt, der scheue und spröde Mann thront im Dichter-Olymp neben William Faulkner, dem meistgeschätzten unter den modernen US-amerikanischen Romanciers. Unter den zeitgenössischen Autoren rangiert McCarthy in den Einschätzungen der Literaturkritiker von San Francisco bis New York neben DeLillo, Updike und Roth. Kenner und auch diesseits des Atlantiks beheimatete Verbündete des literarischen Spätwesterns und Loner-Genres dürften der Meinung sein, dass McCarthy noch bedeutender als dieses Trio ist – für die spielt in der Faulkner-Liga.

Interessant sind für McCarthy immer Männer-Figuren gewesen, düstere, maulfaule Helden, die im Zweifel ihr Pferd lieber mögen als ihren Nachbarn oder als Junggesellen auf einem Hausboot leben und ihr Geld in zweifelhaften Etablissements lassen.

Sein vierter Roman „Verlorene“ (im Original: „Suttree“) handelt von einem dieser ungebundenen und unverbundenen Männern. Er lebt in einer verkommenen Gegend und vom Fischen, irgendwo in Tennessee in den 50er-Jahren. Jener Cornelius Suttree ist ein Isolierter in einer Welt, die ihre alten Fesseln hinter sich und die Modernisierungsverlierer ratlos zurücklässt.

In McCarthys Romanen sind archaische Zustände, die am Rande der Gesellschaft fortbestehen, ein wiederkehrendes Motiv. Seine rührendste Figur ist vielleicht der Farmjunge Billy Parham aus „Grenzgänger“. Der Teenager, der viel zu weise wirkt für sein Alter und gleichzeitig auf ewig unschuldig, ist auch ein Verlorener, und er weiß es nicht, weil er nichts anderes kennt.

Die Geschichte spielt in den 1940er-Jahren im Grenzgebiet zwischen Mexiko und New Mexico, Billy ist dabei, ein Mann zu werden. Und er wird es, indem er in eine der McCarthy-typischen Zyklen von Ehre und Rache verstrickt wird. Er reitet nach Mexiko, das hoffnungslos rückständige Land der Bauern und Banditen, um den Mord seiner Eltern zu vergelten. Er reitet eigentlich immer, auch später, als er, mittlerweile 20, nach Hause zurückkehrt und dort schon längst Autos fahren. Im ersten Teil dieses herausragenden Buchs sucht er über Monate eine trächtige Wölfin, die ihre Herden bedrohte. Er fängt sie und bringt sie zurück nach Mexiko. Dort kommt das Tier zu Tode. Die Handlung ist eine meisterliche Parabel über die Freiheit und ihren Verlust, wie man sie besser nicht hätte schreiben können; Billy jagte, metaphorisch gesehen, seiner eigenen Freiheit hinterher. Am Ende hat er sie verloren.

„Grenzgänger“ ist der Mittelteil von McCarthys berühmter Border-Trilogie, zu der auch „All die schönen Pferde“ und „Land der Freien“ gehört. „All die schönen Pferde“ war 1992 das Buch, mit dem McCarthy, der einst Kunst studierte und für die Air Force arbeitete, Bekanntheit erlangte. Der Auftakt der Trilogie wurde ein Bestseller und spülte den Eigenbrötler dahin, wo Menschen massenhaft wahrgenommen werden. Nur wollte der puristische Epiker da nie hin: Er ist nicht so enigmatisch wie Pynchon, aber er meidet genauso jede Öffentlichkeit. Den Peak an Aufmerksamkeit erreichte er in den Nullerjahren, als die „No Country For Old Men“-Adaption von den Coen-Brüdern oscarprämiert in den Kinos lief und er für sein Endzeit-Stück „Die Straße“ den Pulitzer-Preis erhielt. Damals bequemte sich McCarthy sogar ins Fernseh-Studio Oprah Winfreys und gab eines seiner ganz seltenen Interviews.

Das Großartige der Landschaft wird bei McCarthy nie von den Gewaltexzessen und düsteren Szenarien besudelt

„Wenn Schreiben mit dem Leben zu tun hätte, wäre jeder Schriftsteller“, hat McCarthy einmal gesagt. Und im Interview mit der „New York Times“ äußerte er auch seinen Unwillen, Autoren wie Proust zu lesen – Autoren also, die nicht über das Leben und den Tod schreiben, als wären die letzten auch die ersten Dinge. „Die Straße“ verhandelt in einer biblischen Dringlichkeit die Fragen, die man die existenziellen zu nennen pflegt. Vater (stets nur „er“ genannt) und Sohn („der Junge“) schleppen sich durch ein verheertes, kaputtes Amerika, in dem nach einer Katastrophe kaum noch jemand lebt.

Und die, die noch am Leben sind, werden zu Kannibalen. Eine gottlose Welt, in der die Bösen in der Überzahl sind und alle auf der Suche nach etwas zu essen. Es gibt keine Moral mehr, und ein Alter sagt: „Wo keine Menschen leben können, ergeht es Göttern nicht besser“. McCarthys Werk durchzieht eine Spur der Gewalt. Da ist längst nicht nur der Killer Anton Chigurh, der in „No Country For Old Men“ mit einem Bolzenschussgerät durch das Land zieht, da sind auch die blutgeile Bande von Skalpjägern in „Die Abendröte im Westen“, der sich der 14-jährige Held anschließt.

Man erfährt nie, was McCarthys Figuren denken, auf die Innensicht wird vollkommen verzichtet. Die Männer sind nicht gedankenvoll, nicht komplex, sie sind leer und ohne Träume. Auf die paradoxe Opposition von verödeten Menschen und übervoller Natur ist oft hingewiesen worden: Das Großartige der Landschaft wird bei McCarthy nie von den Gewaltexzessen und düsteren Szenarien besudelt. In „The Counselor“ geht es um einen kolossal schief gehenden Koks-Coup, ein existenzielles Drama mit Shakespeare’schen Ausmaßen. Tolle Schauspieler sind dabei. Kann man sich angucken. Man kann aber auch einfach mal wieder ein Buch des großen Apokalyptikers McCarthy lesen, der sich keine Illusionen über die Natur des Menschen macht.

Am Ende gibt es aber immer noch welche, und seien es nur ein Vater und sein Kind, die zu den Guten gehören.