28 Programme mit 40 Filmen aus Deutschland, der Tschechoslowakei, Großbritannien und den USA haben die Filmhistoriker Erika Wottrich und Hans-Michael Bock für das Cinefest zusammengetragen.
Hamburg. Mit dem Reiz des Verbotenen beschäftigt sich das Cinefest, das an diesem Sonnabend beginnt. Das 10. internationale Festival des deutschen Film-Erbes dreht sich um das Thema Filmzensur, besonders in Europa. Welcher Film wann und aus welchen Gründen verboten wurde, erzählt einiges über den Zeitgeist und das Selbstverständnis von Staat, Kontrollbehörden, Filmemachern und Verleihern. Bis zum 24. November kann man im Metropolis dazu zahlreiche Filme sehen, die irgendwann ins Visier der Zensur geraten sind.
Politik, Religion, Sex und Gewalt. Fast alle Filme, die irgendwann verboten wurden, haben etwas mit einem oder mehreren dieser Reizthemen zu tun. Ein aktuelles Beispiel ist erst wenige Wochen alt. Der Trailer zu Lars von Triers neuem Film „Nymphomaniac“ wurde nach kurzer Zeit bei YouTube blockiert, weil er offenbar gegen die Richtlinien der Website zu den Themen Nacktheit und Sexualität verstieß. Das ist ein Dauerbrenner für Zensoren. 1921 beurteilte die Berliner Prüfstelle Fritz Langs Film „Herr der Liebe“ und registrierte entsetzt über Hauptdarstellerin Gilda Langer: „Ihre wollüstigen Bewegungen sowie ihre verlangenden Blicke, die den Hausierer zum Beischlaf anreizen sollen, (sind) geeignet, die Lüsternheit des Beobachters in geschlechtlicher Beziehung stark anzuregen und so entsittlichend zu wirken.“
Auch das Cinefest geht mit seinen Beispielen in die Vergangenheit zurück. 28 Veranstaltungen mit 40 Filmen aus Deutschland, der Tschechoslowakei, Großbritannien und den USA haben die Filmhistoriker Erika Wottrich und Hans-Michael Bock von der Hamburger CineGraph zusammengetragen. Das älteste Beispiel stammt aus dem Jahr 1912, das jüngste ist von 1981. Eingebettet in das Cinefest ist der Internationale Filmhistorische Kongress, der für ein Fachpublikum vom 21. bis zum 23. November läuft.
Aus dem Jahr 1974 stammt Peter Fleischmann Film „Dorotheas Rache“. Von Regisseur Peter Fleischmann in Hamburg als ein Anti-Porno gedreht, der auch das Thema Inzest umkreist, wurde er zuerst vom Amtsgericht wegen angeblicher Pornografie beschlagnahmt, später vom Landgericht wieder freigegeben, weil dort der satirische Ansatz erkannt wurde. Fleischmann kommt am Sonntag, 17. November, ins Metropolis, um den Film vorzustellen.
Aber Zensur muss nicht unbedingt etwas mit staatlichen Eingriffen zu tun haben. Der Kinoklassiker „Casablanca“ kam 1952 in einer Fassung in die Kinos, in der 20 Minuten fehlten. Der Verleih hatte Szenen aus dem im Zweiten Weltkrieg spielenden Drama herausgeschnitten, weil er meinte, Nazis auf der Leinwand könne man dem deutschen Publikum sieben Jahre nach Kriegsende noch nicht zumuten. Die Folge: Aus dem Widerstandskämpfer- wurde ein Abenteuerfilm. Der unvergessliche Satz „Ich schau dir in die Augen, Kleines!“ entfällt ebenso wie der Auftritt von Conrad Veidt, der den Nazi-Major Heinrich Strasser spielt. Der Film wird am Donnerstag, 21. November, gezeigt
Kurios ist auch die Geschichte von „A Clockwork Orange“. Der großartige britische Regisseur Stanley Kubrick verfilmte den gleichnamigen bereits umstrittenen Roman von Anthony Burgess. Protagonist Alex durchlebt eine negative Utopie voller Sex und Gewalt. Die britischen Behörden gaben den polarisierenden Film frei, aber das Presseecho war groß. Kubrick wurde es offenbar zu viel. Er zog den Film aus den britischen Kinos zurück. Dabei blieb es 25 Jahre lang. Die deutsche Synchronfassung, bei der Wolfgang Staudte Regie führte, blieb auf dem Markt und wurde von Kubrick aber ausdrücklich gelobt.
Infos unter www.cinefest.de
Lesetipp: Michael Humberg. „Vom Erwachsenenverbot zur Jugendfreigabe. Die Filmbewertungen der FBW als Gradmesser des kulturellen Wertewandels“. Telos Verlag. 307 S. 29,50 €