Das Gesamtkunstwerk Lady Gaga veröffentlicht sein neues Album „Artpop“. Es hat ordentlich Bums und einen fetten Sound, beweist aber einmal mehr, dass das Phänomen interessanter ist als die Musik.
Die Songs auf „Artpop“, dem neuen Album der Verkleidungskünstlerin Lady Gaga, heißen „Fashion!“, „Donatella“, „Dope“, „Applause“, „Sexxx Dreams“ und „Venus“, und als geübter Pop-Analytiker muss man eigentlich ja gar nicht mehr wissen. Lady Gaga ist das derzeit faszinierendste Phänomen der Gegenwartskultur. Das Beste: Sie ist so herrlich plakativ. Lady Gaga, 1986 in New York als Stefani Joanne Angelina Germanotta geboren, peitscht den Pop-Diskurs nach vorne, indem sie zum Bum-Bum ihres Sounds das Staccato der Pop-Imperative mitliefert und den Kommentar gleich dazu.
Sei berühmt! Sei sexy! Sei smart! Sei interessant! Trage nie zwei Mal dasselbe! Spiele mit deiner Identität!
Und lass ruhig durchsickern, dass du mal eine Kunstschule besucht hast und tiefenanalytisch genug bist, um Essays über ästhetische Fragen und so zu schreiben. Lady Gaga erfindet sich optisch beinah mit jedem Song neu. Als sie kürzlich in Berlin im Berghain ihr neues Album vorstellte, war sie wie immer schwer anspielungsreich unterwegs: Mit Fake-Bart pinselte sie sich mal wieder zwischen die Geschlechter, und ein bisschen Dietrich-Kühle legte sie sich auch über ihre Performance. Lady Gaga – Status: 40 Millionen Twitter-Follower, 60 Millionen Likes auf Facebook - ist derzeit das bestverkaufte Pop-Versprechen, wobei „bestverkauft“ nicht nur ihre Nummer-Eins-Alben und -Alben meint.
Sondern vor allem ihre Kunstfertigkeit, sich mit schillernden Kostümen und klugen Strategien der Aufmerksamkeitsgewinnung, mit Fan-Pflege und theoretischem Überbau interessant zu machen. Genauer: zum interessantesten Popstar der Jetzt-Zeit. Dass sie nicht einfach eine aus dem Ladies Club der Rihannas, Beyoncés und Adeles ist, liegt an der Gesamtheit ihres Auftritts. Sie kann nicht mit der Stimmgewalt der Neo-Soul-Diven konkurrieren, sie kann nicht mit ihrem Busen renommieren wie Katy Perry, und sie ist nicht ganz so schamlos wie die frühe Madonna. Mit der wird sie seit ihrer Landung in den Celebrity-Spalten und iTunes-Lieblingslisten vor fünf Jahren häufig in Verbindung gebracht. Da ist Miss Gaga im übrigen auch wenig bescheiden, ihr erklärtes Ziel ist es, die Madonna der Gegenwart zu sein.
Die Sängerin kokettiert mit dem Slogan „Gaga is over“
Deswegen muss sie auch kunstgeschichtlich groß denken: Das neue und vierte Album „Artpop“ ist natürlich ein glasklarer Verweis auf Andy Warhol. Ihre 15 Minuten Ruhm hat sie schon gehabt, und zwar schätzungsweise eine Million Mal – mindestens. Die Sängerin kokettiert gerade mit dem Slogan „Gaga is over“, dabei weiß sie, dass für sie gerade das Spiel mit der Publicity, dem Superstardom und dem Kommerz gerade wieder so richtig los geht. Lady Gaga ist ein durch und durch marktkonformes, ihn gleichzeitig kritisierendes und feierndes Produkt, das seine Bewunderer vor allem bei Teenagern findet. Aber ein Vorbild ist sie doch vor allem den Mädchen, denen sie die Emanzipationsgeschichte der Powerfrau vorlebt.
Weil sich der Kunstmarkt genauso wie die Popmusik aufs Geldverdienen versteht, ist das Establishment bei „Artpop“ unter sich: Das Cover des Albums stammt von Jeff Koons, Marina Abramovichs Institutsgründung hat Lady Gaga unlängst mit einer Nackt-Performance beworben. In „Applause“, der ersten Single, heißt es: „Pop culture was in art/now, art's in pop culture/in me. I live for the applause, applause“.
Wie gesagt, an Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht, und nur so kann Glamour funktionieren. Man muss aber sagen, dass Lady Gaga im Gegensatz zu Madonna beispielsweise visuell wesentlich reizvoller ist als akustisch – das neue Album verstärkt diesen Eindruck noch. Es vereint das Beste aus R&B, Synthiepop, Kirmesdisco, Proll-Beats und Rock, ist also sehr heutig und für jede Party gut zu gebrauchen, die jeglicher Avantgarde den Stinkefinger zeigt.
In „G.U.Y“, das mit seinen extrarauen Sounds jeden Dancefloor weg haut, exerziert die Künstlerin noch einmal die sexuelle Selbstermächtigung der Frau durch: „Touch me, don’t be shy“. Dass man ihr immer auch Selbstironie attestieren sollte, spielt die Gaga einem andererseits in „Manicure“ vor – ein Hoch auf die Handpflege.
„I'm not a wandering slave/I am a woman of choice“, heißt es dagegen in „Aura“. Wahrscheinlich braucht es noch etwas mehr, um Ausstrahlung zu haben. Die 27-jährige Lady Gaga, die ihre Fans „little monsters“ nennt und einer der größten Popstars des Planeten ist, hat die Aura-Formel, wenn es sie denn gibt, jedenfalls schon lange gefunden.
Lady Gaga: „Artpop“ (Universal)