Die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses spricht über den folgenschweren Unfall, die Größe des Schadens am Theater, über die Suche nach Spielstätten und die späte Eröffnungspremiere.

Hamburg. Karin Beier, von Natur aus energiegeladen und gut organisiert, wirkt gefasst. Dabei hat die neue Schauspielhaus-Intendantin drei Wochen vor ihrer Eröffnungspremiere das größte anzunehmende Bühnenunglück getroffen: Der Eiserne Vorhang ist nach oben gerauscht und dabei deformiert worden, die Gegengewichte haben den Bühnenboden teilweise zerstört. Das Deutsche Schauspielhaus kann erst nach gründlicher Analyse und Reparatur des Schadens wieder eröffnet werden. Wann das sein wird, steht in den Sternen. Beier war „eine Nacht lang“ schlecht, probt aber zwei Tage nach dem Unglück, ganz Profi, erst mal weiter ihren Antikenmarathon „Die Rasenden“ auf der Probebühne in der Gaußstraße. Arbeit, das weiß sie, gibt Halt und lenkt ab. Wir sprachen mit Karin Beier über den Schaden und die Folgen für das Schauspielhaus.

Hamburger Abendblatt:

Wie ist die Stimmung im Theater?

Karin Beier:

Natürlich sind wir alle froh, dass kein Mensch verletzt worden ist. Es waren ja 45 Techniker auf der Bühne, als es passiert ist. Es gab eine dicke Staubwolke und man konnte anfangs gar nichts erkennen. Es hat bis in die vierte Etage gerumst. Das Schrecklichste für uns war, dass es anderthalb Tage, bevor wir auf die Bühne umziehen wollten, passiert ist. In der Zielgeraden. Technik, Schauspieler, alle stehen im Startblock und können nun nicht lossprinten. Das ist, als ob man im neunten Monat schwanger ist und der Arzt sagt, ‚ich habe mich geirrt, Ihre Schwangerschaft dauert 16 Monate‘. Wir waren alle total darauf eingerichtet, dass die Eröffnung am 15. November stattfinden wird. Jetzt ist das erst mal runtergesackt, wie abgeschnitten. So ein Interruptus in einer Phase, in der man alle Kräfte gebündelt hat, ist schlimm. Sehr schlimm.

Wie haben Sie reagiert?

Beier:

Ich war zu Hause, im Schlafzimmer, als ich den Anruf bekam. Ich stand vor einem verspiegelten Schrank und konnte während des Gesprächs zusehen, wie ein Mensch total grün wird. Meine Lippen waren total weiß. Zuerst habe ich gedacht, wir müssen am 15. rauskommen, egal wo. Wir wollen das spielen. Es sind mehr als 100 Menschen an der Produktion beteiligt, das kostet auch viel Kraft, alles zusammenzuhalten. Ich bin dann auf die Bühne gegangen, habe in den Zuschauerraum geguckt und wusste, die Eröffnung des Deutschen Schauspielhauses, die kann man nicht irgendwo machen. Die muss hier stattfinden. Die Inszenierung ist als Statement für dieses Theater geplant. Wenn wir das woanders spielen, dann würde irgendwann irgendeine Premiere die Eröffnung sein. Das wollen wir nicht. Wir haben dann am nächsten Morgen pünktlich um 10 Uhr alle wieder auf der Probe gestanden, um zu arbeiten.

Was planen Sie?

Beier:

Wir werden warten. Das ist schwierig, weil wir momentan überhaupt nicht wissen, wann der Schaden behoben sein wird. November ist jedenfalls ziemlich unwahrscheinlich. Ich versuche, den Marathon ‚Die Rasenden‘ fertig zu probieren. Das legen wir dann in die Gefriertruhe, um es wieder rauszuholen, wenn feststeht, wann wir eröffnen können. Wir werden aber sicher noch zwei Wochen Bühnenproben brauchen. Alleine die Toneinrichtung ist hochkomplex, die Beleuchtung auch. Das Problem sind nicht die Vorstellungen, sondern die Endproben. Das wird schwierig, etwa mit dem Ensemble Resonanz, die ja auch Gastspielreisen ins Ausland haben. Wir werden alle Inszenierungen, die nicht auf der großen Bühne stattfinden, nach Plan herausbringen. Momentan gehen wir davon aus, dass es eine Spielzeit geben wird, aber erst mal keine Eröffnung im großen Haus. Für die Produktionen, die um die Eröffnung herum geplant waren, ist das sicher eine Herausforderung. Aber wir können auch dem Publikum nicht zumuten, noch länger zu warten. Wir haben ja auch neue Abonnenten.

Die Erwartungen sind hoch.

Beier:

Dann legen wir sie noch etwas höher. Wir werden sicher Federn lassen müssen, aber so wenig wie möglich. Wir müssen neue Spielstätten suchen. Aber auch wenn wir Produktionen woanders herausbringen, werden wir noch mal Bühnenproben brauchen, um die Inszenierung ins Haus zu holen. Das bedeutet leider auch Schließtage.

Ist der Eiserne Vorhang bei den Umbauarbeiten kaputt gegangen?

Beier:

Die Analyse ist noch nicht abgeschlossen. Der Eiserne Vorhang hat ein neues System bekommen, aber wodurch der Schaden entstanden ist, kann man noch nicht sagen. Auf jeden Fall wird die Reparatur teuer werden. Dazu entstehen Kosten für die Anmietung neuer Räume. Der Vorhang war monatelang während der Umbauarbeiten geschlossen, damit der neue Zuschauerraum nicht im Staub verschwindet. Er ist vorgestern das erste Mal wieder aufgezogen worden. Alle beteiligten Firmen werden wohl ihre Sicherheitsbeauftragten schicken. Wenn der Eiserne Vorhang abgelassen wird, kann man den Schaden am abgelassenen Vorhang prüfen. Erst dann kennt man die Größe des Schadens. Dann müssen Teile bestellt werden. Es gibt Lieferzeiten. Und das Neukonstruierte muss technisch wieder abgenommen werden. Das kann dauern. Wir wissen ja noch nicht, ob wir den alten Eisernen Vorhang behalten können. Wenn man einen neuen einbauen müsste, hätte das zur Folge, dass es noch viel länger dauern würde. Hoffentlich wissen wir Ende kommender Woche mehr.

Könnten das Thalia, die Oper oder Kampnagel Ihnen „Bühnen spenden"?

Beier:

Das würde nicht helfen, weil man auch dort ja nur fertige, also auf einer Bühne zu Ende geprobte Produktionen zeigen kann. Selbstverständlich suche ich jetzt für andere Inszenierungen nach Spielorten mit Infrastruktur. Auf dem Gelände von Studio Hamburg werden wir ja auch spielen. Die technische Einrichtung dort hat allein 14 Tage gedauert. Und das ist schon rekordverdächtig. Einen adäquaten Ort wird es nicht geben. Alles ist kleiner als das Schauspielhaus. Dementsprechend ändern sich auch die Inszenierungen. Man inszeniert in einem kleinen Raum anders als wenn man für den zweiten Rang spielt. Ansonsten läuft unser Programm weiter wie geplant. Meine Proben enden am 15. November, dann sind die Schauspieler wieder frei für neue Proben. Wir alle warten auf ein zeitnahes Eröffnungsdatum.