Der Journalist Michael Scholten hat Anekdoten, Fakten und Hintergründe aus seiner Zeit als Reporter bei der „TV-Spielfilm“ zusammengetragen und als Buch veröffentlicht.
Sich als Fan des laufenden Fernsehprogramms zu outen ist heutzutage so populär, wie aufs tägliche Schnitzel zu pochen. Wer was auf sich hält, futtert vegan. Und konsumiert ausschließlich amerikanische Serien auf DVD, nicht unter drei Emmy-Trophäen und nicht weniger als drei Folgen am Stück. Gewisse anachronistische Züge kann man dem schmalen Buchband von Michael Scholten also nicht absprechen, das mit Fernsehfachwissen punktet, skurrile Fakten und absurde Hintergründe aus 60 Fernsehjahren auflistet. Als „Liebeserklärung an das deutsche Fernsehen“ will der Autor sein Werk verstanden wissen, nicht als Debattenbeitrag zum Knalltütenfernsehen, nicht als Aufschreibuch zur Gebührenverschwendung. Die Botschaft von „Eigentlich gucke ich gar kein Fernsehen...“ (Schüren Verlag) ist so schlicht wie sympathisch: Das deutsche Fernsehen ist voll von flüchtigem Wahnsinn, funkensprühenden Einfällen, schrägen Zufällen. Und nur in der geballten Dosis kommt man seinem diffusen Charakter von Daniela Katzenberger über Kurt Krömer bis Harald Schmidt halbwegs nahe.
Die Auflistung erfolgt nach dem Motto: Hätten Sie’s gewusst? Und selbst passionierte Sofasitzer mit geschultem Blick auf die Röhre werden zugeben müssen, dass die ehrliche Antwort meistens lautet: Nö. Dass Jörg Pilawa vier Jahr lang Hape Kerkelings persönlicher Fahrer war, zum Beispiel. Dass Günther Jauch seine Moderationstexte stets auf der Schreibmaschine schreibt — aus Angst, sein Computer könnte vor der Show abstürzen und der Text verloren gehen. Oder dass der Kinderklassiker „Bernd das Brot“ ursprünglich als „Karl, der Kaktus“ konzipiert wurde. Unter den gesammelten „Tatort“-Fakten finden sich diese: Die Bremer Folge „Abschaum“ von 2004 ist mit 14 Mordopfern bislang der „Tatort“ mit den meisten Toten. Und: Als „Tatort“-Leiche bekommt ein Statist 150 Euro. Ist die Leiche nackt, gibt es 100 Euro mehr.
Gut, die PISA-Studie bleibt von Wissenshäppchen dieser Art unberührt. Andererseits hat das Zeitgeistmagazin „Neon“ seine regelmäßige Rubrik „Unnützes Wissen — Fakten, die man im Gedächtnis behält, obwohl man sie sich nicht zu merken braucht“ aufgrund der Beliebtheit längst in Buchform gebündelt. Und so lange sich Millionen Zuschauer finden, die Intelligenz und Abiturwissen an der 500-Euro-Frage von „Wer wird Millionär?“ abgleichen, werden sich wohl auch zahlreiche Leser für Scholtens gesammeltes Wissen aus der bunten Fernsehwelt finden. Wie muss man ticken, um ein solches Buch zu schreiben? Scholten war Redakteur bei der Hamburger Programmzeitschrift „TV Spielfilm“; viele Fakten im Buch sind das Ergebnis früherer Recherchen, auch aus seiner Arbeit für den Online-.Auftritt von „Wetten dass..?“. „Ende 2008 telefonierte ich mit dem Comedyautor Michael Gantenberg. Wie es meine Unart ist, habe ich immer mal wieder Fernsehfakten eingeworfen, woraufhin er mir den Befehl gab, das gefälligst aufzuschreiben und als Buch zu veröffentlichen“, erzählt Scholten. Es folgten etliche Interviews, darunter ein vier Stunden langes Gespräch mit Anke Engelke über ZDF-Ferienprogrammerinnerungen.
Im Jahr 2007 kündigte Scholten, Jahrgang 1971, den Reporterjob und zog nach Kambodscha, wo er bis heute mit seiner Familie lebt, sein Geld als freier Journalist und Korrespondent verdient. Vermisst er das deutsche Fernsehen aus der Ferne? Nein, sagt Scholten, es finde sich ja schließlich fast alles im Netz: „Mein Sonnabend in Phnom Penh beginnt traditionell mit der gerade in Deutschland ausgestrahlten ‚heute show‘ in der ZDF-Mediathek. Und was die Sender nicht selbst ins Internet stellen, das findet sich erfahrungsgemäß schnell auf YouTube.“ Andererseits lehrt der Blick auf Fremdes ja auch Demut. Das kambodschanische Programm lebt von Karaokeshows mit überschminkten Frauen, Comediens mit angeklebten Hitlerbärtchen und Verkehrstoten, berichtet Scholten. So sieht es aus, das wirkliche Fernsehgrauen.