36 junge Leute absolvieren zurzeit das Freiwillige Soziale Jahr in der Kultur in Hamburg. Heute begrüßt sie Kultursenatorin Barbara Kisseler bei einem Festakt im Opernloft.

Hamburg. Es gibt sie noch, die Idealisten unter den jungen Leuten – mögen die Altvorderen auch noch so genüsslich in das jahrtausendealte Lamento über den Verfall der Sitten im Allgemeinen und den Niedergang des Ethos im Besonderen bei der jungen Generation einstimmen. Zwei dieser Idealisten sitzen an einem strahlenden Oktobertag im Literaturhaus Café am Schwanenwik, locker, fröhlich, sichtlich hoch motiviert. Die beiden Abiturienten Marthe Fock und Johannes Middelbeck absolvieren in Hamburg ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Kultur, wie es amtlich heißt, kurz FSJ Kultur. Obwohl das Jahr offiziell erst am 1. September begonnen hat, sind die beiden schon seit Anfang August an ihren Einsatzstellen dabei, am heutigen Mittwoch wird ihr Jahrgang offiziell von Kultursenatorin Kisseler begrüßt.

Damit enden die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden aber auch schon. Die eine ist in Hamburg aufgewachsen, der andere kommt aus Oldenburg und ist eigens in die Hansestadt gezogen. Middelbeck arbeitet in der Abteilung Marketing und Öffentlichkeitsarbeit am Schauspielhaus und Fock beim „Spielmobil Falkenflitzer“. Das Spektrum der Betätigungsmöglichkeiten reicht von den heiligen Hallen der sogenannten Hochkultur bis zu Stadtteilprojekten; zu den Einsatzstellen gehören Institutionen von A wie Alfred Toepfer Stiftung F. V. S. bis W wie W3 – Werkstatt für internationale Kultur und Politik e. V.

Nun kann man sich bei Einrichtungen wie dem „Spielmobil Falkenflitzer“ fragen, ob der Schwerpunkt nicht eher im Sozialen liegt als auf der Kultur: Fock kümmert sich um die Instandhaltung von Spielgeräten, die der Verein vermietet, und an zwei Nachmittagen pro Woche fährt sie mit dem Team im Sattelschlepper, dem „Spielmobil“, zu einer anderen Wohnunterkunft für Zuwanderer. Die Betreuer spielen mit den Kindern; mitunter studiert auch – und hier wird es tatsächlich im engeren Sinne kulturell – eine Tanzpädagogin eine Aufführung ein. „Außerdem treffen bei uns doch ganz unterschiedliche Kulturen aufeinander“, ergänzt Marthe Fock.

Für die 19-Jährige stehen freilich die menschlichen Eindrücke im Vordergrund, etwa die Begegnung mit der Zwölfjährigen, die Fock erzählte, dass sie ihr Sonntagskleid auf der Flucht hatte zurücklassen müssen. An der Rudolf-Steiner-Schule Harburg, wo Fock Abitur gemacht hat, kamen Begegnungen mit den Nöten und Lebenswelten der Zuwanderer kaum vor. Beworben hat sich Fock auf das Projekt, weil sie die Verbindung von Handwerklichem, Gestalterischem und Pädagogischem reizte: „Wir können da viel selbst machen“, sagt sie. „Letzte Woche habe ich ein Glücksrad repariert, da konnte ich entscheiden, wie es aussehen soll.“

Dass Abiturienten nicht die ganz zentralen Aufgaben einer Institution bekommen, ist allen Beteiligten klar. Aber Fock hat wie Middelbeck das Gefühl, zu deren Arbeit einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Diese Motivation muss sozusagen das Gehalt ersetzen: Schlanke 300 Euro Taschengeld erhalten die Freiwilligen pro Monat; die Kosten für Sozialversicherung, Berufsgenossenschaft und Haftpflicht übernimmt die Einsatzstelle.

Wie wichtig es dem Träger ist, dass die Freiwilligen von ihrer Arbeit profitieren, zeigt sich auch darin, dass die Teilnehmer ein eigenständiges Projekt entwickeln sollen, bis hin zur Umsetzung und Akquise von Geldern. Dafür haben sie das ganze Jahr Zeit, aber Middelbeck hat schon eine Idee: „Man könnte Studenten einladen und in Gesprächsrunden überlegen, wie das Theater mehr ins studentische Umfeld zu integrieren ist.“ Da trifft es sich, dass der 18-Jährige mit zwei Studenten in einer WG wohnt. Der Zielgruppe ist er näher als vermutlich die meisten festen Mitarbeiter im Schauspielhaus.

Middelbeck strahlt, wenn er von seiner Arbeit spricht: „Ich habe total Lust, später in dem Bereich zu arbeiten.“ Allein für diese Erkenntnis hat sich das FSJ Kultur für ihn schon gelohnt. Nun ist das Schauspielhaus eine der beliebtesten Einsatzstellen überhaupt. Doch jeder der 36 Freiwilligen kann sich glücklich schätzen, einen Platz bekommen zu haben. Bundesweit hatten sich etwa 10.000 Bewerber auf 1500 Plätze beworben.

So viel zu der Behauptung, die Jugend engagiere sich nicht.