Beim Theaterfestival wurde „Kleiner Mann, was nun?“ bejubelt

Hamburg. Seit Dennis Johnson, Chef eines kleinen Verlags aus New Jersey, den deutschen Autor Hans Fallada wiederentdeckte, ist dieser noch einmal zu Weltruhm gekommen. Wie kein zweiter Romanautor hat Fallada den Alltag der Deutschen in den 30er- und 40er-Jahren beobachtet, die Arbeitslosen, Entrechteten, Zukurzgekommenen stehen im Zentrum seines Schaffens. Seine Romane sind in den vergangenen Jahren an vielen deutschsprachigen Bühnen und fast immer mit großem Erfolg aufgeführt worden, wohl auch, weil man in ihnen so viele Parallelen zur heutigen Zeit entdeckt, zum unmenschlichen Raubtierkapitalismus oder dem Druck in der Arbeitswelt. „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ und „Jeder stirbt für sich allein“ waren in den vergangenen Jahren am Schauspielhaus und am Thalia Theater zu sehen. Nun kam „Kleiner Mann, was nun?“ als Gastspiel vom Schauspiel Frankfurt zum Hamburger Theaterfestival nach Kampnagel und wurde bejubelt.

Die Geschichte vom Buchhalter Johannes Pinneberg und seiner Freundin Lämmchen die wild dazu entschlossen sind, glücklich zu werden, aber durch Elternschaft, Arbeitslosigkeit, Not und ihre anachronistische Gefühlswelt daran gehindert werden, sie ließe sich mühelos auch ins Heute übertragen.

Regisseur Michael Thalheimer hat den sozialen und menschlichen Abstieg des Paares radikal entkernt und gestrafft. Lämmchen (Henrike Johanna Jörissen), ein naives und immer nur ans Gute glaubendes Mädchen, und Pinneberg (Nico Holonics) spielen vorne an der Rampe, wie in einem großen Bilderrahmen. Oben im Hintergrund und Dämmerlicht stehen aufgereiht Geschäftsinhaber, Väter, Mütter, Lebedamen, Schieber, Kriminelle, Kollegen, die mal chorisch das Geschehen kommentieren, mal bedrohlich als Feinde agieren. Ein Horrorkabinett aus der Weimarer Republik, das bis heute lebendig ist. Pinneberg, der Zweckoptimist, der Abstieg und Verarmung mitmacht und wie ein Mantra vor sich hinsagt: „Nur nicht arbeitslos werden.“ Und Lämmchen, dieses Kindchen, das an Pinnberg, ihren „Jungen“ glaubt: „Es wird schon gut gehen, so lange wir uns lieben.“ Sie steigen schon auf der Bühne ab (Olaf Altmann), bevor sie mühsam nach oben, in den Rahmen klettern.

Thalheimers Inszenierung schwankt zwischen Märchen und Horrortraum

Natürlich geht es nicht gut. Pinneberg, der Verkäufer, bekommt vom Geschäftsführer eine Quote – nachdem der Unternehmensberater in der Firma war. Wenn er nicht soundso viele Anzüge pro Monat verkauft, fliegt er raus. Die Verkaufsgespräche des Johannes Pinneberg werden als sportive, akrobatische Pantomimen und Sprachanfälle inszeniert, begleitet vom Anfeuerungsgebrüll der Weimarer Lemuren. Lämmchen verkörpert unerschütterlich das Gute. Die Inszenierung schwankt zwischen Märchen und Horrortraum, musikalisch begleiteter Liebesschnulze und bitterer Sozialstudie („Schuften, alles ertragen, nicht aufmucken“). Sie trifft, sie bewegt, sie gefällt. Was will man mehr?