Der Münsteraner „Tatort: Die chinesische Prinzessin“ ist vordergründig ein Fernseh-Film über die chinesische Mafia, doch in Wirklichkeit geht es um einsame Herzen und eine ganz unerwartete Männer-Freundschaft.
Dieser "Tatort" hat einen ganz besonderen Tatort: den Seziertisch. Darauf liegt eine chinesische Prinzessin. Gerade noch hat sie sich als Künstlerin feiern lassen, ein bisschen Koks genommen, sich interessiert Leichen und Organe angesehen und einen Mann verführt, nun tropft das Blut aus ihrer durchgeschnittenen Kehle. Professor Boerne (Jan Josef Liefers) steht irritiert daneben – und sofort unter Mordverdacht. Denn es ist seine Rechtsmedizin, in der sich die Tote befindet, sein Skalpell, mit dem sie ermordet wurde und sein Herz, das die Prinzessin kurz zuvor eroberte.
Der Fall scheint klar, doch ausgerechnet Kollege Thiel (Axel Prahl) glaubt unbeirrt an seine Unschuld. Eigentlich können sich der Ermittler und der Rechtsmediziner nicht leiden, liefern sich regelmäßig Auseinandersetzungen und Wortgefechte, zu groß erscheinen ihre Unterschiede. Auf der einen Seite der erdverbundene St. Pauli-Fan Thiel, auf der anderen Seite der exzentrische Operngänger Boerne.
Gerade diese gegensätzliche Kombination hat die Münsteraner zum beliebtesten "Tatort"-Team gemacht, die letzte Folge im März schauten 12,81 Millionen Zuschauer. Trotz allem Erfolg gab es negative Stimmen: zu übermütig, zu klamaukig sei der Münsteraner "Tatort" inzwischen geworden. Gerade die Kritiker sollten diese Folge anschauen! So ernst ging es in Westfalen selten zu. „Ich wollte der Figur Boerne mal was zumuten und sie rausholen aus der Harmlosigkeit“, erklärt Regisseur Lars Jessen.
Also setzt er den Rechtsmediziner unter Druck, lässt ihn verknittert und kleinlaut durch den Film wandern. Das nimmt Boerne viel von dem Witz, den er sonst versprüht, bringt ihm auf der anderen Seite mehr Tiefe und eine unerwartete Form von Demut. So spricht er seine von ihm mit dem Spitznamen „Alberich“ bedachte Assistentin erstmals respektvoll mit „Frau Haller“ an. Und geradezu rührend wird es, wenn Boerne seinen Retter Thiel am Ende zu Hause besucht.
Beide wünschen sich insgeheim eine Frau an ihrer Seite, doch das Leid aller Ermittler ist bekanntlich die ewige Einsamkeit. Doch zumindest haben sie einander. Zumindest einen, der versteht. Zwei einsame Herzen gemeinsam auf einem Sofa weinen lange nicht so laut wie ein einsames Herz alleine in einer leeren Wohnung. „Eigentlich lieben die beiden sich ja“, sagt Lars Jessen, der mit diesem "Tatort" – in der es vordergründig übrigens um die chinesische Mafia geht – einen Film über Freundschaft gemacht hat.
Der Hamburger Regisseur sorgt für den Münsteraner Lokalkolorit
Jessen kommt aus Hamburg-Altona und hat bereits viel Erfahrung als Krimiregisseur (zum Beispiel von „Großstadtrevier“ sowie „Mord mit Aussicht“), doch die öffentliche Wahrnehmung beim Produzieren eines "Tatorts" übertrifft für ihn alles. „Es ist fast wie eine Ikone, an der man sich abarbeitet. Ich hatte bei jeder Szene das Gefühl, dass ganz Deutschland zuguckt.“ Die Dreharbeiten waren auch insofern besonders, dass Jessen sein Team mit dem Stichwort „grünes Drehen“ überraschte. Er appellierte an alle, so wenig Müll wie möglich zu produzieren, Transporte effektiv zu planen und effiziente Lichttechnik einzusetzen. „Eines Tages werde ich sogar den fleischfreien Tag beim Catering durchsetzen“, glaubt der 44-Jährige.
Neben Nachhaltigkeit zählt die Vermittlung von Lokalkolorit zu Jessens Talenten, was diesem "Tatort" extrem zugute kommt. Ein neues Buch „Schauplatz Tatort. Die Architektur, der Film und der Tod“ (Callwey-Verlag) zeigt, welche Bedeutung den Städten und ihrer Architektur zukommt, in denen die jeweiligen "Tatorte" spielen; das auch sie ein Medium sind und zum jeweiligen Lokalkolorit beitragen. So wird im Münsteraner "Tatort" gerne der Dom oder die Lambertikirche gezeigt. Heißt: In dieser Stadt regiert eigentlich Gott und nicht das Böse.
Sehr beliebt als Kulisse sind zudem unendlich überfüllte Fahrradständer und der traditionsreiche Prinzipalmarkt. In dieser Folge rennt Thiel nachts am typischen Bogengang vorbei, im Hintergrund erahnt der Ortskundige den „Großer Kiepenkerl“, ein historisches Gasthaus, in welches Studenten mit ihren Eltern gehen, wenn sie am Wochenende zu Besuch sind. „Es ist mir wichtig zu spüren, wo man sich befindet“, sagt Regisseur Lars Jessen. Gerade vor dem Hintergrund, das immer weniger Geld für Dreharbeiten direkt vor Ort bereitgestellt wird, ist dies keine Selbstverständlichkeit.
Fünf Drehtage hatte das Team in der Studentenstadt. Der heimelige, nette, wissenschaftliche Charakter Münsters wird sehr gut getroffen, und genau auf diese Weise ermitteln Thiel und Boerne. Die „Faust auf Faust, hart ganz hart“-Methode war nie ihre Art. Sie benutzen ihr Köpfchen, verzichten auf Action und stoßen lieber miteinander an. Wer weiß, vielleicht nimmt Thiel seinen neuen besten Freund Boerne eines Tages sogar mit zu einem St. Pauli-Spiel.
„Die chinesische Prinzessin“ So 20.15, ARD