Dass das Philharmoniker-Konzert mit David Garrett zum Erlebnis wurde, lag am Zusammenwirken der Beteiligten

Hamburg. Einer Berühmtheit wie den Geiger David Garrett kann man kaum noch unbefangen hören. Zu viele Boulevardlegenden ranken sich um den Mann, der seine jugendlichen und nicht mehr ganz so jugendlichen Fans schon mal mit bloßem Oberkörper in Ohnmächte treibt. Garrett macht es nicht unter den ganz großen Arenen, mit Bühnenshow und dem entsprechenden Repertoire. Und dieser Popstar soll bei einem Klassikkonzert auftreten? Man hört schon die Kritiker das Messer wetzen nach dem Motto, wer sein Brot in solchen künstlerischen Niederungen verdient, der kann ja gar nicht seriös geigen können.

Um es gleich vorwegzunehmen: Er kann. Zum Sonderkonzert mit den Philharmonikern Hamburg in der Laeiszhalle erschien Garrett natürlich nicht im Frack, sondern mit Lederhose, offenem Hemd und blondem Dutt. Setzte sich auf den bereitstehenden Basshocker und wiegte sich schwärmerisch lächelnd mit geschlossenen Augen zur Orchestereinleitung des Brahms-Violinkonzerts. Und lieferte dann, Habitus hin oder her, eine zwar nicht höchst inspirierte, aber durchaus manierliche Solistenleistung ab.

Abgesehen davon, dass Garrett öfter mal zu tief spielte, zeigte er sich als müheloser Virtuose. Jeder Lauf war deutlich zu verstehen. Der klare Klang seiner Stradivari tat sein Übriges dazu, auch wenn Garrett das Instrument hin und wieder überforderte und den Klang abdrückte.

Bei einem Meisterwerk wie dem Brahms-Konzert gibt es keine allein selig machende Lesart, diese Offenheit ist ja gerade das Wesen großer Kunst. Garrett kann für seinen konventionellen Zugriff mit klanglicher Vollfettstufe, viel Vibrato, Glissandi und Schluchzern einerseits und geradezu brachialen Akzenten andererseits auf eine Reihe illustrer Vorgänger verweisen; schließlich haben Geschmack und Interpretationsstil sich stets gewandelt, seit das Stück 1881 uraufgeführt wurde.

Manche Momente verschenkte Garrett, indem er eine Phrase falsch betonte, weil es vom Bogen her gerade so auskam. Doch was die Rezensentin an seinem Spiel unberührt ließ, lag jenseits solcher Details: Es entstand nie der Eindruck, an etwas Persönlichem teilzuhaben. Dabei ist gerade dieses Werk von großer Subjektivität geprägt mit seinen zwischen Melancholie und Glück changierenden Kantilenen, seinen Verzweiflungsausbrüchen und Stimmungsumschwüngen. Garretts Übergänge und Tempostauungen ließen einem eben nicht das Herz stehen – sie klangen häufig aufgepfropft, äußerlich, ja plakativ. Wer auf seine Wirkung bedacht ist, kann sich nicht wirklich hingeben.

Dass das Violinkonzert trotzdem ein Erlebnis wurde, lag an etwas anderem. Nämlich am Zusammenwirken der Beteiligten. Der Dirigent Cornelius Meister und die Philharmoniker hatten eingangs mit Brahms’ spritzig-geistreicher „Akademischer Festouvertüre“ schon eine fabelhafte Visitenkarte hingelegt – und genauso aufmerksam und klangsensibel spielten sie auch das Violinkonzert. Mit welcher Subtilität Meister dessen Seelenlandschaften ausleuchtete, schon das suchte seinesgleichen. Und es war ein Vergnügen zu erleben, wie Dirigent und Solist aufeinander eingingen, wie bewusst Garrett auch mit den Orchestersolisten zusammenspielte. Pars pro toto sei hier Nicolas Thiébaud genannt, der den langsamen Satz zu dem machte, was die Geiger immer beklagen, als das Brahms ihn aber nun einmal angelegt hat – nämlich zu einem Oboenkonzert mit Violinbegleitung.

Garrett hatte sowieso genug Bühne an diesem Abend: Stürmisch gefeiert, plauderte und flirtete er mit dem Publikum und gab noch drei Zugaben. Bei den Zirkusnummern von Paganini und Kreisler war er hörbar in seinem Element, der langsame Satz aus der Solosonate a-Moll von Bach dagegen wirkte stilistisch etwas unausgeglichen. Aber wichtiger als derlei Einwände ist Garretts unbezweifelbares Verdienst, ein junges, nicht unbedingt klassikaffines Publikum für diese Musik zu begeistern. Wir brauchen Musikvermittler.

Nach der Pause stand gleich noch ein weiteres Schlachtross des Konzertrepertoires auf dem Programm, Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ in der kongenialen Orchesterfassung von Maurice Ravel. Ein Stück zum Mitpfeifen – denkt man. Dass Mussorgski in Wahrheit eine Trauermusik auf einen befreundeten Maler geschrieben hat, das zu hören braucht es schon einen Interpreten wie Meister. All die Empfindungen und Bilder meißelte er aus der Partitur heraus, als wären sie gerade erst zu Papier gebracht worden. Nie klang die Musik nach leerem Pathos: Sie grummelte und seufzte, splitterte und tanzte, Witz und Trauer hatten gleichermaßen Platz. Der fette Blechbläsersatz ließ die Crescendi nur so gleißen, die Holzbläser zauberten russisches Kirchenkolorit, und der Streicherklang blühte warm und dunkel. Ein großer Moment.

Das Orchester, ist zu hören, freue sich immer sehr, wenn Meister am Pult stehe. Hoffentlich kommt er bald wieder.