Standing Ovations für Siegfried Lenz: Der Schriftsteller kam im Rollstuhl zur Premiere seiner Kurzgeschichten-Verfilmung „Die Flut ist pünktlich“ ins Passage-Kino.

Hamburg „So viel Prominenz in unserer Hütte, das ehrt uns total!“ Wenn Albert Wiederspiel seine Ehrengäste begrüßt, ist es immer unkonventionell und von Herzen charmant. So wie am Sonnabend im Passage-Kino, in dem nicht nur Hamburgs Erster Bürgermeister ein Grußwort hielt, sondern auch einer der beliebtesten Ehrenbürger der Stadt über den wohl kürzesten roten Teppich des Filmfests gekommen war, um eine ganz besondere Verfilmung zu bestaunen: „Die Leute, die meine Stoffe auf die Leinwand bringen, haben meine Hochachtung und meine Bewunderung“, sagte Siegfried Lenz vor der Premiere des ZDF-Films „Die Flut ist pünktlich“ nach seiner gleichnamigen Erzählung.

Im Rollstuhl, mit schlohweißem Haar und in gewohnt bescheidener Freundlichkeit, wurde der Schriftsteller, der nicht mehr oft in der Öffentlichkeit auftritt, auf die eigens für ihn eingerichtete Rampe geschoben. Er sollte der Einzige bleiben, der für diesen Moment sitzen blieb – alle anderen erhoben sich spontan von ihren Kinosesseln und applaudierten dem 87-Jährigen im Stehen, den Olaf Scholz zuvor als einen „der großen Erzähler dieses Landes“ gewürdigt hatte. Einen Trailer des Films hatte der Bürgermeister schon auf YouTube gesehen, die Langfassung – eigentlich fürs Fernsehen gedreht – wirkte dann umso beeindruckender auf der Kinoleinwand.

Weite norddeutsche Wattlandschaften und eine hochkarätige Besetzung in konzentriertem Spiel, darunter Jürgen Vogel, Ina Weisse und Nicolette Krebitz, dürften nicht nur das Kinopublikum, sondern auch den Schriftsteller selbst überzeugt haben. Alle anderen können „Die Flut ist pünktlich“ Anfang Februar im ZDF sehen. Lenz übrigens, der den Film bereits in seinem Haus in Dänemark gesichtet hatte, feierte nach der Premiere noch einige Stunden mit Filmteam und seinen Verlegern vom Hoffmann und Campe Verlag im an die Spielbank angrenzenden Restaurant Tarantella.

Frisch vom Dreh kam am Freitag Regisseur Mikkel Nørgaard zum Filmfest, um zusammen mit Hauptdarsteller Nikolaj Lie Kaas (als eigenwilliger Inspektor Carl Mørck) den Thriller „Erbarmen“ vorzustellen. Der beklemmende Film, der im Februar in die Kinos kommt, basiert auf einem Roman von Jussi Adler-Olsen. Auch beim nächsten Film „Fasanendræberne“ nach den Büchern des Bestsellerautors steht der 39 Jahre alte dänische Regisseur hinter der Kamera, der auch einige Folgen der erfolgreichen TV-Serie „Borgen“ („Gefährliche Seilschaften“) inszeniert hat.

Gedreht wird der neue Adler-Olsen-Film zurzeit in der Nähe von Bad Segeberg. „Erbarmen“ wiederum fand seine Kulisse unter anderem im schleswig-holsteinischen Schloss Bredeneek – dort, wo einst Fassbinder seine „Effi Briest“ drehte. Dass die Dänen ein untrügliches Gespür für Spannungsaufbau besitzen – in „Erbarmen“ wurde es ein weiteres Mal sichtbar. Der 100-minütige Thriller, der auf dem Filmfest erneut am 4. Oktober (19 Uhr, Cinemaxx 3) gezeigt wird, ist kein Film für sensible Gemüter und empfindliche Mägen. Aber selbst Kenner von Adler-Olsens Bestsellerroman krallten sich im vollbesetzten Saal im Passage-Kino an ihren Sessellehnen fest.

Nach der Vorführung von „Closed Curtain“, dem neuen Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi im Abaton, spielte Mohammad Reza Mortazavi im Filmfestzelt gegenüber 20 Minuten lang sehr leise und mit feinen Fingern auf der Tombak, der iranischen Trommel. Sein Beat: Der Herzschlag Panahis, aufgenommen von einem Freund. Auch viele in Hamburg lebende Iraner hörten zu, es war schön still im Raum.

Auch der Film braucht Stille. In „Closed Curtain“, einer bedrückenden, dabei sehr aufgeräumt gefilmten Fantasie über das Eingesperrtsein, über das Misstrauen, über die Verletzung der Menschenwürde, filmt Panahi seinen möglichen Selbstmord. Durch den ältesten Trick der Filmgeschichte macht er ihn wieder rückgängig. Nein, ins Meer vor seinem Haus wird Panahi nicht gehen. Den Gefallen tut er seinen Peinigern nicht.