In der Dokumentation „The Human Scale“ geht es um die Frage, wie Architektur das öffentliche Leben verbessern kann. Mit der „Wort!“-Reihe geht das Filmfest neue Wege.
Hamburg. Die Welt ist beim Filmfest zu Gast in Hamburg. Mit bewegten Bildern aus anderen Kulturen, mit Themen von regionaler Brisanz, mit spannend erzählten Geschichten, hinreißenden Naturaufnahmen und knallhart recherchierten Dokumentationen. Ein Beispiel für eine Doku, die auch für die Hansestadt von großer Aktualität ist, heißt „The Human Scale“. Es geht darin um die Frage, wie Architektur das öffentliche Leben verbessern kann, wie unsere Megacitys in der Zukunft aussehen werden und um Fehlplanungen in den Metropolen der Welt.
Ein Architekt, der seit den 1960er-Jahren die Ströme von Fahrrad- und Autofahrern erforscht, ist der Däne Jan Gehl. Viele Untersuchungen, die Gehl initiiert hat, kommen zu dem Ergebnis, dass Städte sich eine neue Struktur geben müssen, wenn sie nicht veröden wollen. „The Human Scale“ zeigt eine ganze Reihe von aktuellen Fehlentwicklungen auf, gibt aber auch ermutigende Beispiele für ein Umdenken, das inzwischen vor allem in der westlichen Welt stattfindet.
Als negatives Beispiel muss China mit seinen rapide wachsenden Städten herhalten. Die Chinesen orientieren sich am Vorbild der USA mit riesigen Einkaufsmalls, breiten Verkehrsadern, die immer mehr Autoverkehr in die Städte ziehen und dem Aussterben der kleinen Geschäfte. In Nordamerika dagegen denkt man um, wie das Beispiel New Yorks zeigt. In Manhattan entstehen immer mehr Fußgängerzonen und Fahrradwege, der Times Square ist 2009 zu einem großen Teil in eine Fußgängerzone verwandelt worden.
„The Human Scale“ blickt auch ins italienische Siena oder nach Dhaka in Bangladesh, wo 300.000 Rikschafahrer von den Straßen zugunsten der Autos vertrieben werden sollen. Ein aktuelles Beispiel ist der Wiederaufbau der 2011 durch ein Erdbeben zerstörten Stadt Christchurch in Neuseeland. Die Kommune beteiligt die Bevölkerung an ihren Plänen, um städtischem Leben und Wohnen eine neue Qualität zu geben. In Christchurch bedeutet das: keine Hochhäuser mehr. Für Hamburg könnte es bedeuten: mehr und bessere Radwege.
Die grüne Reihe ist bereits seit Jahren erprobt. Aber das Filmfest Hamburg geht auch neue Wege und legt mit „Wort!“ erstmals eine Reihe auf, die sich Sprache und Literatur im Film widmet. Der Klassiker in der Kategorie ist die Literaturverfilmung. Eine sehr sehenswerte ist darunter, allerdings eine, die ziemlich harten Tobak serviert. Agota Kristofs mehrfach preisgekrönter Roman „Das große Heft“ erzählt das tragische Schicksal zweier heranwachsender Zwillingsbrüder in den Wirren des Zweiten Weltkrieges. Der ungarische Theater- und Filmregisseur János Szász hat ihn prominent mit Ulrich Matthes, Yolande Moreau und Ulrich Thomsen verfilmt.
Die Kargheit von Kristofs Sätzen setzt sich auf der Leinwand fort. Die Zwillingssöhne werden im Krieg von ihrer Mutter in ländliche Abgeschiedenheit verfrachtet. Bei der von Yolande Moreau mit fieser Hexenhaftigkeit ausgestatteten Großmutter setzt es Hiebe, Arbeit und Hunger. Die Zwillinge trainieren sich Schmerzempfinden, Gefühle und bald auch jede Moral ab. Selten sah man die Schrecken des Kriegs und entsetzliche Traumata nüchterner und eindringlicher dargestellt.
Mehr Heiterkeit verspricht da das Werk „Opium“, in dem die Französin Arielle Dombasle 14 Gedichte des drogensüchtigen Schriftstellers Jean Cocteau zu einem rauschhaften, biografisch gefärbten Filmmusical verbindet. Eigentlich ist ja das ganze Filmfest Hamburg ein einziger Rausch. Ein weltumspannender Bilderreigen, in dem jeder seinen Lieblingsfilm finden kann.
„The Human Scale" 29.9., 20.30, Abaton, „Das große Heft" 1.10., 21.30, Passage, 5.10., 17.45 , Abaton; „Opium“ 3.10., 19.15, 4.10., 17.00; Alle Infos zum Programm unter www.filmfesthamburg.de